Annette Riemer

Das Problem mit Afrika


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doch noch aufschreien ließ.

      Als sie bemerkte, dass sich unter ihrer Behandlung die auf den Oberschenkel transplantierte Haut allmählich abzulösen schien, mischte Aurora Salz unter das Puder und vertauschte die Salbe mit einer ihrer kosmetischen Cremes, um diesen Prozess zu beschleunigen. Nur zu gern hätte sich Holger rücksichtsvolleren Händen anvertraut, doch verstand es Aurora überzeugend vorzugeben, nur das Beste für ihn im Sinne zu haben; auch wollte er weder eine Pflegerin zu sich holen noch sich in eine Klinik begeben, nahm er doch an, beides würde nicht unbemerkt bleiben und Zweifel an seiner wiedergewonnenen Vitalität aufkommen lassen, was es unbedingt zu verhindern galt. Und so blieb er, trotzdem sich sein Gesundheitszustand immer weiter verschlechterte, in der Pflege seiner Gattin, die ihm das wahre Ausmaß seiner Wunde verschwieg aus Furcht, er könnte sich ihr entziehen und so vollends genesen. Da sie diesen Moment jederzeit kommen wähnte, wandte sie umso verzweifelte Methoden an, ihn zu quälen, und redete ihm und auch sich geschickt seine Beschwerden, seine Einschränkungen und zuletzt sogar seine Bettlägerigkeit klein. Dass er fieberte, nahm sie kaum noch wahr, und obwohl sich die transplantierte Haut, einen starken, fauligen Geruch ausströmend, von seinem Oberschenkel ablöste und ein feucht vibrierendes Stück Fleisch freigab, trug sie weiterhin beharrlich ihre Creme auf. Erst als er ohnmächtig wurde, ließ sie von ihm ab, entsetzt über seinen schrecklichen Zustand, den sie erst jetzt in ganzem Ausmaße zu erfassen schien, entsetzt auch über sich selbst. Sie ließ Holger sofort in ein Klinikum bringen, doch die Fäulnis des Gewebes und eine Blutvergiftung hatten ihm inzwischen schwer zugesetzt; sein Bein war unrettbar.

      *

      Holger ging nicht gern an den Krücken, da es ihn über seine Kräfte und Geduld anstrengte, und so saß er meistens im Rollstuhl. Darüber in tiefe Depression verfallen, erging er sich in wehmütigen Klagen über seine Behinderung, zog sich in seine Villa zurück und suchte nur selten die Gesellschaft seiner Bekannten, was Aurora noch weiter zu beschränken wusste, als er es aus eigenem schwachen Antrieb schon tat, da sein beständiges Jammern einen negativen Eindruck zu hinterlassen drohte. Ungeachtet dessen aber liebte sie ihn mehr denn je, stand sie doch aufgrund seines folgenschweren Rückfalls wieder unangefochten im Mittelpunkt sämtlicher Gespräche, wurde sie als großartiges Beispiel aufopferungsvoller Liebe von den Freundinnen und auch den Männern verehrt und ihr jegliche gelegentliche Launenhaftigkeit nachgesehen, als impulsiver Ausdruck einer geschundenen Seele gedeutet. Und als sich Aurora auf eine Affäre einließ, geschah es unter allgemeiner Duldung und Freude sogar, schien dieses kleine Abenteuer doch die einzige, bescheidene Freiheit zu sein, die sie sich in ihrem ganz und gar von seiner Behinderung geprägten, tragischen Leben herausnahm. Und dankbar und gewissenhaft wusste Aurora alles zu unternehmen, um dieser Deutung ihres Eheglücks gerecht zu werden. So galt sie bald als beste Gattin, die man sich denken konnte.

      Hanna muss weg

      „Heute ist Freitag …“

      Es war die Art, wie Martin das so scheinbar gleichgültig vor sich hinsagte, die Jule aufschrecken ließ. „Das machst du“, sagte sie prompt.

      Wieder versank sie über der Zeitung, aber fand nicht mehr richtig in den Artikel rein, den sie gerade noch gelesen hatte. Unruhig rührte sie in ihrem Kaffee. „Ich meine es ernst, Martin, heute kannst du das machen“, sagte sie, ohne ihn anzusehen. „Das ist immerhin deine Mutter.“

      „Ja, aber als sie hierher kommen wollte …“

      Fing er wieder damit an! Immer dieselbe Leier. Natürlich war auch sie dafür gewesen, das Hanna bei ihnen einzog. Wie hätte sie denn auch der alten, kranken Frau ihr Haus verweigern können! „Nur für ein paar Wochen“, hatte seine Mutter ihr damals versichert, „nur, bis ich wieder auf den Beinen bin.“ Die Grippe ging, aber Hanna blieb. Jule wusste nur zu genau, warum: Die Alte hatte Gefallen daran gefunden, sich um nichts mehr sorgen zu müssen. Sie genoss es, sich vor den vollen Teller setzen, in das gemachte Bett legen zu können. Aber das war es ja nicht einmal, was Jule so sehr auf die Nerven fiel.

      „Ich weiß“, fauchte sie nun Martin an. „Aber ich dachte damals, wir nehmen deine Mutter zu uns und nicht so ein …“

      „Ja, sie kann manchmal etwas schwierig sein“, warf Martin besänftigend ein.

      „… Schwein“, brach es dennoch aus Jule hervor.

      Martin starrte sie überrascht an. Seit einem Jahr nun schon haderte er mit seiner Mutter – und Jule hatte längst erkannt, dass er Hanna mit ihrer neuen, an allem desinteressierten Art nicht wiedererkannte. Das war doch nicht mehr seine Mutter! Er mühte sich ab, sie zu den kleinsten Spaziergängen zu überreden, er drängte ihr die Tischgespräche geradezu auf – und war am Ende immer wieder enttäuscht, wenn sie ohne ein weiteres Wort hoch in ihre Zimmer schlurfte.

      Aber trotzdem hatte er sich heimlich sein ideales und naives Bild von der Mutter bewahrt, hatte sie oft gegen Jules Vorwürfe verteidigt und Nachsicht gefordert, und dass sie jetzt dabei war, ihm dieses letzte bisschen Glauben an Hanna zu nehmen, erstaunte sogar Jule ein wenig.

      „Sie ist ein Schwein, wirklich“, beharrte sie ruhig. „Sie verdreckt immer mehr und hat überhaupt keinen Antrieb, was dagegen zu machen.“

      „Sie ist halt alt“, meinte Martin zögernd. „Das Schmatzen hört sie ja selber nicht. Und dass sie das Geschirr laufend anstößt, das kommt von der Feinmotorik …“

      „Ach, hör doch auf!“, unterbrach ihn Jule. „Als ob es mir um das Schlürfen und Rülpsen ginge! Darüber könnte ich ja noch weghören. Aber deine Mutter – wäscht sich nicht. Und ihre Unterwäsche trägt sie wochenweise auf. Da kann ich sagen, was ich will: Sie hört nicht, stellt nur auf stur. Und das weißt du auch.“

      Wenn Martin so ein verblüfftes Gesicht machte wie in diesem Moment, hasste Jule ihn geradezu. Sie kam sich dann jedes Mal für dumm verkauft vor.

      „Oder warum kommst du mir so mit Freitag? Du weißt doch ganz genau, dass das der einzige Abend ist, an dem wir deine Mutter gerade so in die Wanne kriegen. Und wer darf sich dann über das Häufchen Dreck beugen?“

      „Aber du musst doch einsehen, dass es für sie angenehmer ist, wenn du als Frau …“

      „Du kannst das auch mal machen!“, rief sie nur und schlug die Zeitung zusammen. Ärgerlich verließ sie die Küche – wieder hatte Hanna ihnen einen schöner gedachten Nachmittag versaut.

      Erst im Waschhaus bekam sich Jule wieder unter Kontrolle. Hier unten war sie ganz für sich, hierhin verfolgte sie Hanna nicht und auch Martin kam nicht mit irgendwelchen Wünschen für seine Mutter an. Wie er sich doch verändert hatte, wie er doch wieder unter Hannas Fittiche gerutscht war und nie ein ernstes Gespräch mit ihr suchte. Alles ließ er ihr durchgehen, alles musste Jule allein auskämpfen.

      Wenn sie daran dachte, wie alt Hannas Mutter geworden war, wurde Jule regelmäßig schlecht. Dann würden ihr noch mehr als zehn Jahre bevorstehen, zehn Jahre mit dieser furzenden, stinkenden Frau und ihrem ausdruckslosen Gesicht, an dem jeder Vorwurf einfach so ungehört abprallte. Früher hatte sich Jule gerade wegen dieser teilnahmslosen Miene manchmal gefragt, ob ihre Schwiegermutter vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe war, geistig. Aber dann hatte sie herausgefunden, dass Hanna im Oberstübchen durchaus noch ganz gut beisammen war. Noch mehr: Sie hatte sogar noch die Geistesgegenwart, auf ihre alten Tage heimtückisch zu werden: Sie holte Essen aus der Küche und versteckte es in ihrem Zimmer. Sie log über ihre Medikamente, log vor Gästen über ihr Befinden, log über alles, was sie zerschlagen, verlegt oder beschmutzt hatte. Und war nicht einmal peinlich berührt, als sie einmal neben die Toilette gemacht hatte und Jule den Dreck wegmachen musste. Ob eine andere, die nicht schon als Krankenschwester einiges gewohnt war, so etwas mitmachen würde, ging es Jule durch den Kopf.

      Wie gern hätte sie sich jetzt eine Zigarette angesteckt. Einfach zum Garten hinausschauen, einen tiefen Zug nehmen und innerlich in aller Ruhe durchzählen. Bis dieses Herzklopfen wegginge. Aber sie durfte doch jetzt nicht mehr und so blieb die Wut in ihrem Bauch. Martin war einfach viel zu naiv, viel zu gutmütig – zu weich. Mit zittrigen Händen strich sie über einen Stapel frischer Handtücher,