Annette Riemer

Das Problem mit Afrika


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…“, setzte er stockend an. „Sag jetzt nichts“, fiel ihm Jule, der das Herz bis zum Halse schlug, ins Wort. Und dann: „Ich bin schwanger.“

      Martin war noch nie der Schnellste gewesen und auch jetzt brauchte er eine gewisse Zeit, bis die Nachricht wirklich bei ihm ankam. Dann aber trat ein Lächeln auf sein Gesicht, er ging auf sie zu, umarmte sie und beinah fühlte sie sich glücklich dabei. „Wir werden Eltern!“, rief er aufgeregt. „Und ich – ich werde Papa. Und du die Mama! Komm her!“ Er bedeckte sie wieder und wieder mit Küssen, schien sich geradezu in Euphorie zu steigern, sodass Jule dann doch leicht auflachen musste über seine Begeisterung.

      „Wie weit bist du schon?“

      „In der siebten Woche.“

      „Oh, und damit kommst du mir erst jetzt?“, rügte er scherzhaft. „Wenn das Mutter erfährt!“, rief er dann ausgelassen und mit einem Mal war Jules heitere Stimmung verflogen.

      „Genau darüber wollte ich mit dir reden“, hielt sie ihn zurück. „Wenn das Kind da ist – ich glaube nicht, dass wir dann noch mit Hanna zusammenwohnen können.“

      Wieder dieses erstaunte Gesicht, in das Jule am liebsten hineinhauen würde. „Du meinst … aber wir können das Baby doch erst mal mit zu uns ins Schlafzimmer nehmen. Ich meine, wir müssen doch dann eh jede Nacht raus, oder?“

      „Es geht um was anderes“, meinte Jule mit Nachdruck. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, mit einem Baby ein Bad zu teilen, in dem deine Mutter fuhrwerkt.“

      „Kein Problem, wir sagen ihr, dass sie das Gästebad benutzen soll.“

      „Darum geht es nicht“, beharrte sie und Tränen schossen ihr in die Augen. „Es geht darum, dass ich mich mit deiner Mutter in einem Haus unwohl fühle. Weil sie verlottert, und alles, was sie anfasst, wo sie draufsitzt oder liegt oder sonstwie berührt, würde ich am liebsten verbrennen. Verstehst du? Ich ekle mich vor deiner Mutter und ich will mein Kind nicht in ihrer Nähe haben.“

      „Sie soll ausziehen?“, fragte er wie vor den Kopf gestoßen.

      „Sie soll einfach nur weg“, sagte sie hart, härter als sie gedacht hatte. Aber sie blieb dabei. „Sie soll einfach nur weg“, wiederholte sie murmelnd und wischte sich die Tränen fort.

      Später tat es ihr leid, so ruppig zu ihm gewesen zu sein. Und gleichzeitig war sie wütend über ihr Mitleid, weil er es ja anders nicht verstand als auf diese unverblümte Art. Am Abend, als sie auf der Terrasse saßen, zog sie ihn in seine Arme.

      „Ich kann sie doch nicht einfach rausschmeißen“, meinte er hilflos. „In so ein Altersheim geht sie doch nie. Und wir sind doch ihre Familie, die einzigen, die sie noch hat.“

      „Wir finden schon irgendeine Lösung“, beruhigte sie ihn und ärgerte sich, dass sie ihm damit ein klein wenig entgegengekommen war.

      Die Tür ging auf und Hanna kam langsam auf die Terrasse heraus. „Abend, Mutter“, grüßte Martin sofort. Die alte Frau nickte nur beiläufig. „Ihr seid wohl draußen?“, fragte sie tonlos.

      „Ja, wir dachten, wir grillen heute. Setz dich doch zu uns. Soll ich dir eine Decke holen?“

      Hanna schüttelte den Kopf, zog an Martin vorbei und setzte sich auf einen der Gartenstühle.

      „Wie war dein Tag, Mutter?“, fragte Martin noch, bekam aber kaum mehr als ein vages Wiegen ihres Kopfes zur Antwort. Die Alte starrte viel lieber auf den Grill, ließ die Würste darauf nicht aus den Augen und machte sich, als es an das Essen ging, eilig und schmatzend über sie her.

      Jule versuchte, nicht darauf zu achten, dass Hanna so gierig – fraß, dass das Fett der Wurst weit über ihren Tellerrand spritzte. Sie hielt den Blick ganz auf ihren eigenen Teller gerichtet und verbiss sich jeden Kommentar.

      „Und, schmecken dir die Würste?“, fragte Martin aufopfernd. Wieder wog Hanna den Kopf abschätzig. „Wie bei uns zu Hause sind sie nicht.“

      „Was hattet ihr denn früher auf dem Grill?“, versuchte er es wieder. Aber diesmal bekam er nur ein fahles „Ach“ zur Antwort, Hanna winkte belanglos ab und griff sich eine zweite Wurst.

      Nach dem Essen lehnte sich Hanna in ihrem Stuhl zurück, schloss die Augen und schob ihr Gebiss im Mund herum. Hin und wieder hustete sie und Jule wusste nicht, ob sich die Alte an den Resten, die sie aus ihren künstlichen Zähnen fischte, verschluckte oder eine beginnende Erkältung ausbrütete. Das würde Martin wieder umtreiben! Seit der letzten Grippe, die ihm gezeigt hatte, wie schwach und lebensbedrohlich anfällig seine Mutter doch war, umsorgte er sie schon beim ersten Huster mit nahezu grotesker Fürsorglichkeit. Aber diesmal hörte er nicht hin, war vielleicht in Gedanken bei ihrem Kind, noch auf Arbeit …

      Jule versuchte, die so demonstrativ abwesende Frau zu ignorieren und stattdessen Martin zuzuhören, der nun über irgendetwas aus dem Büro sprach – halblaut, um seine Mutter nicht zu stören! Und gerade diese kriecherische Rücksicht brachte Jule vollends aus der Fassung. Entnervt ließ sie Martins Hand fallen und zog sich in das Haus zurück.

      Er klopfte an die Badtür. Das tat er sonst nie, schoss es Jule durch den Kopf.

      „Alles klar bei dir?“, fragte er und steckte den Kopf rein. Sie nickt gelangweilt, er aber konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, wie er sie so im Schaumbad liegen sah. „Meine kleine Mama“, freute er sich und Jule bereute schon beinah, es ihm ausgerechnet heute gesagt zu haben. Aber es lag ja nicht an ihm, dachte sie dann, er versuchte ja nur, es den beiden Frauen recht zu machen. Er hatte es ja auch nicht gerade leicht.

      „Willst du mit reinkommen?“, fragte sie, schon wesentlich milder gestimmt.

      Martins Blick verriet Interesse. „Ich muss nur noch kurz … nach Mutter sehen“, sagte er vorsichtig. Jule wendete den Blick von ihm ab. So würde es immer sein, dachte sie deprimiert, nie würde er sich entscheiden können, nie klare Position beziehen. Dieses Ekel, Hanna, würde immer von ihm geduldet werden.

      „Ist sie noch nicht auf ihrem Zimmer?“, fragte Jule bissig.

      „Ich weck sie später, sie ist unten eingeschlafen“, meinte er wie entschuldigend. „Ich bring ihr nur schnell eine Decke, es zieht ja doch schon ganz schön an. Und wegen ihrem Husten …“

      Nun hatte er es also doch gehört, dieses erste Anzeichen einer vielleicht ernsten Erkrankung. Was hatte der Arzt gesagt? „Noch so eine Grippe macht Ihre Frau Mutter nicht mehr mit.“

      Er war schon halb zur Tür raus, da rief sie plötzlich nach ihm. „Komm noch mal her“, sagte sie gedehnt und hob ein Bein aus dem Wasser, um es ihm entgegen auf den Wannenrand zu legen. Sie wusste genau, wie sie ihn schwach machen konnte. Und tatsächlich trat da ein vieldeutiges Grinsen auf sein Gesicht, er kam bereitwillig auf sie zu, stieg aus seinen Klamotten und zu ihr in die Wanne. Jetzt war er ganz bei ihr, und als er sich auf sie legte, fühlte sie eine ungewohnte Erregung in sich aufsteigen, eine wütende Lust beinah, und sie musste ihn schlagen und kratzen und immer wieder eng an sich pressen, um sich mit aller Macht von diesem beklemmenden und doch berauschenden Gefühl zu befreien.

      „Du weinst ja“, meinte er hinterher überrascht.

      „Ach wo“, erwiderte sie und wischte sich doch ein paar Tränen aus dem Gesicht. „Nur vor Freude“, flüsterte sie und hielt ihn fest in ihren Armen.

      Der Apfeldieb

      „Die Kurse entwickeln sich optimal, Sie können zufrieden sein.“

      „Aha“, machte es aus der Dusche.

      „Ihre Beteiligungen an den Kupferminen im Kongo wurden ausgebaut, Sie verfügen nun über eine komfortable Mehrheit im Aufsichtsrat.“

      „Aha.“

      Stille.

      Das Wasser wurde abgestellt, der Vorhang bauschte sich kurz auf, als eine Hand hervorkam und nach dem Handtuch tastete – „Die Badgarnitur wurde gestern