Nicole Heuer-Warmbold

nur Tod und Verderben


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gepackt, die Streitaxt in der Rechten – und bemühte sich, den Kampflärm zu überhören. Unablässig rannte er, um den völlig erschöpften Alten, den verstörten Frauen und Kindern zu helfen. Brachte sie den Hügel hinauf, in den allzu dürftigen Schutz der Fuhrwerke, die die Soldaten in einem weiten Kreis aufgestellt hatten. Bisher hatte sich noch kein Ostländer hinauf getraut, die Gardisten und Soldaten schlugen sie, obschon zahlenmäßig unterlegen, zurück, doch immer wieder lösten sich die Feinde aus den Kämpfen und wandten sich den leichteren Opfern, den letzten Flüchtlingen zu. Eine kleine Gruppe: ein Mann, zwei Frauen und ein Kind, ein Mädchen wohl, stolpernd, schlammbespritzt; Bahadir rannte einmal mehr den Hang hinab und konnte nichts tun, er hatte keine Waffe, er konnte nicht kämpfen, und stürzte sich brüllend auf den Ostländer, der die kleinere Frau grob am Arm riss. Bahadir wusste nicht, verstand nicht, wieso Liz auf einmal neben ihm war, fluchend die Streitaxt schwang, der andere Mann schlug mit einem Knüppel auf den zweiten Ostländer ein, der dritte Ostländer trat die Flucht an. Sollte er, Bahadir war es egal. Mit schlotternden Knien wandte er sich an die Frau, die, wie er erst jetzt erkannte, einen Säugling an sich drückte, das weinende kleine Mädchen fest an der Hand. „Kommt, ich helfe Euch!“

      „Was sagt …“ Verwirrt blickte die Frau ihn an und schob entschlossen das schreiende Mädchen in seine Richtung. „Nehmt Mia. Wohin?“

      „Zwischen die Wagen.“ Kurzentschlossen hob Bahadir die Kleine hoch, er spürte ihr Zittern und strich ihr beruhigend über die nassen, verklebten Locken. „Ist gut, es ist gut jetzt, dir geschieht nichts. Die Soldaten beschützen uns.“

      Bahadir sah sich nach der zweiten Frau um. Der ältere Mann hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt, Liz folgte ihnen und drängte sie hangaufwärts. Behutsam griff er nach dem Arm der Frau; sie war groß, wenn nicht sogar größer als er. „Stützt Euch auf mich. Nur noch ein kurzes Stück, dann seid Ihr in Sicherheit.“

      „In Sicherheit?! Seid Ihr von Sinnen, die Ostländer …“

      „Um die kümmern sich die Gardisten.“

      Bahadir mühte sich mit seiner Last den rutschigen Hang hinauf und setzte das erschöpfte Mädchen keuchend neben einem der hohen, wuchtigen Wagen ab, wohin Liz die andere Frau und den älteren Mann geführt hatte, half der Frau mit ihren Rucksack. „So, geht es? Seid Ihr soweit …“ Nein, nicht in Ordnung, ganz sicher nicht in Ordnung; die Frau hatte ihr Heim verloren, womöglich Verwandte, ihren Mann, hatte Schlimmes erlebt, er biss sich auf die Lippen. „Unverletzt?“

      „Ja, ja, kümmert Euch …“ Unvermittelt brach die hoch gewachsene Frau in Tränen aus, sank auf die Knie und schlang einen Arm um das Mädchen, im anderen den Säugling, wiegte sich vor und zurück. Mitfühlend berührte Bahadir ihre Schulter. „Ich … Wartet, ich bin gleich wieder bei Euch.“

      Suchend sah er sich in dem Durcheinander nach seinem Pferd um, fand es schließlich und schnallte mit klammen Fingern die Decke ab. Legte sie der Frau sorgsam um die Schultern. „Hier. Ich weiß, die Decke ist feucht, aber …“

      Sie schaute schluchzend auf. „Ihr seid kein Manduraner?“

      „Nein. Mein Name ist Bahadir, ich bin Priester des Jägers. Von den Inseln.“ Er zuckte die Schultern, als er ihren fragenden Blick bemerkte. „Ist eine lange Geschichte.“

      „Das glaube ich auch. Ihr spracht von Gardisten, was … Welche Einheit?“

      „Ähm, ich … die von einem Hauptmann Hiron, wenn Euch das etwas sagt?“

      Die Frau nickte, ein müdes Lächeln zeigte sich auf ihren Zügen. „Mein Bruder. Und wer ist der große, dunkle Mann dort drüben?“

      „Meister Liz-Rasul. Die Zauberin hielt seine Anwesenheit hier für sinnvoll und bestand darauf, ihn …“

      „Die Zauberin? Welche …“ Sie packte seinen Arm. „Ihr redet doch nicht etwa von Mara?“

      „Doch, sicher.“

      „Mara ist hier?“ Ungläubig starrte die Frau ihn an.

      „Ja. Sie ist der Grund, warum wir alle hier sind, ich meine, Hauptmann Hiron und seine Männer, Meister Liz-Rasul und dieser Junge, Janek, der Gardist Ron, ich. Sie … ich glaube, sie hat einigen Leuten gedroht, sie würde sonst allein gehen, und …“ Bahadir wurde rot, warum erzählte er das dieser Frau. „Ihr kennt sie?“

      „Ich kenne sie, ja, ziemlich gut sogar. Göttin, Mara … Wo? Wo ist sie, Priester?“

      Bahadir hatte keine Ahnung, vor nicht allzu langer Zeit war Mara noch oben auf der Anhöhe gewesen und hatte Anweisungen erteilt, dann … Er hatte sie aus dem Blick verloren, fühlte sich verwirrt von der Frau, ihren eindringlichen Fragen. „Eben war sie noch … Ich fürchte, sie kämpft …“

      Im gleichen Moment sah er sie jedoch gemeinsam mit dem Gardisten Ron zu Pferde herankommen, der sichtlich aufgebracht schien und sich lautstark mit ihr stritt. „Verdammt, wir hatten eine Abmachung, und du …“

      „Pah, Abmachung! Hätte ich zusehen sollen, wie der Dreckskerl dich erschlägt?“

      „Dazu wäre es doch gar nicht gekommen! Aber du prescht einfach mitten unter die …“

      „Hat sie mächtig beein…“ Mara zügelte abrupt ihr Pferd, riss sich den Helm vom Kopf, sprang in den Matsch und rannte die letzten Schritte auf ihn, eher noch auf die Frau zu. „Ondra! Oh, Ondra, ich bin ja so froh, ihr habt es geschafft!“ Gleichzeitig lachend und weinend fiel sie der Frau um den Hals, strich ihr sacht die Tränen aus dem Gesicht, bevor sie sie innig auf den Mund küsste, alsdann das kleine Mädchen, welches sie mit großen, verheulten Augen anblickte, fest an sich drückte. Was sie ihm leise zuraunte, verstand er nicht, doch das Mädchen nickte, erst zögernd, dann entschieden, lächelte zaghaft und schmiegte sich an Maras Schulter.

      Noch immer fassungslos betrachtete die Frau – Ondra – Mara, bemüht, den schreienden Säugling zu beruhigen. „Himmel, Mara, was tust du hier?“

      „Helfen. Ich wusste ungefähr, wo ihr wart, welchen Weg ihr nehmt, und …“ Mara zuckte die Achseln und löste mit geübtem Griff die Schnallen ihrer gepolsterten und, wie er erfahren hatte, überaus schweren Schutzweste. „War nicht schwierig, deinen Bruder zu überzeugen, der Rest ergab sich dann.“

      „Aber … Mara, du, du … Mitten im Krieg kommst du mit einer Einheit Gardisten, um ein paar Flüchtlinge vor den Übergriffen ostländischer Soldaten zu bewahren?“

      Maras Züge wurden beinah so ausdruckslos und kalt wie die Rons. „Ein paar mehr. Wie geht es dem Kleinen?“

      „Garik ist nass und hungrig und müsste dringend gewickelt werden, aber sonst … fehlt ihm wohl nichts.“ Verwirrt schüttelte Ondra den Kopf, runzelte die Stirn und sah zu Ron. „Ihr seid doch aber in Hauptmann Davians Einheit gewesen, Ei…“

      „Ron. Bin ich noch.“

      „Oh.“ Ondra nickte und schaute hilflos um sich, auf die jüngere Frau, die sich den Arm hielt, ihren älteren Begleiter. „Was machen wir jetzt? Ich meine … Sie …“

      Ron blickte kurz zu Mara, bevor er antwortete. „Hauptmann Hiron wird mit seinen Männern, übrigens nur die halbe Einheit, noch eine Weile die Ostländer beschäftigen, sich dann zurückziehen. Wir lagern hier die Nacht.“

      „Und morgen?“

      Wieder schaute Ron Mara an, eine Art Lächeln auf dem Gesicht. „Über die Ebenen nach Samala Elis. Und Ihr geht mit ihnen.“

      * * *

      „Sie ist …“ Hiron stockte. „… war eine unabhängige Frau, Mavis Mutter. Sie brauchte niemanden, keinen Menschen.“

      Wachsam blickte er in die Nacht, nicht in Maras Richtung, angespannt auf eine Bewegung, ein Geräusch in der Dunkelheit wartend. Dabei hatte er selbst ihr gesagt, er glaube nicht, die Ostländer würden noch vor dem Morgengrauen angreifen. Im behelfsmäßigen Lager im Wagenkreis hinter ihnen war so etwas wie Ruhe eingekehrt, das Weinen und Wehklagen verstummt, obwohl Mara bezweifelte, dass die Mehrzahl