Nicole Heuer-Warmbold

nur Tod und Verderben


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      „Ja. Der Gardist Ron hielt eine Pause für angebracht.“

      So früh? „Das ist … Sicher, die Leute sind erschöpft.“ Aber es war Nachmittag, Mara rappelte sich auf. „Wie lange war ich …“

      Bahadir unterdrückte ein Lächeln. „Einige Stunden. Wir haben gerade erst gehalten, falls Euch das Sorgen bereitet. Meister Liz-Rasul sagte, es wäre das Beste, Euch schlafen zu lassen, da derartige Zauberei, wie Ihr sie offenbar gewirkt habt, enorm anstrengend sei.“

      „Das kann er laut sagen.“

      „Ihr … Vielleicht möchtet Ihr Tee?“

      „Gern, aber …“ Mara musterte die beiden verletzten Gardisten auf den schmalen Pritschen in der vorderen Hälfte des Wagens. Der Mann rechts, kaum viel älter als zwanzig Jahre, war wach und betrachte sie aus fiebrig glänzenden Augen.

      „Wie geht es Euch?“, wollte sie von ihm wissen.

      „Oh, nicht so schlecht. Eine begehrenswerte junge Frau sitzt an meiner Seite und hält meine Hand.“ Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. „Mein Bein ist wohl ziemlich kaputt. Bin nicht schnell genug aus dem Sattel gekommen, als mein Pferd fiel, es hat mich voll getroffen, was so ’n verschissener Ostländer genutzt hat, mir den Arm aufzuschlitzen. Der Scheißkerl wollte mich noch weiter quälen, aber Ilko hat ihn kaltgemacht.“

      „Verstehe. Darf ich?“ Mara deutete auf sein Bein unter der Decke.

      Wieder grinste er. „Ihr dürft alles, meine Teure. Nur sollte ich Euch warnen, es sieht nicht schön aus.“

      „Wäre es anders, wäret Ihr auch nicht hier.“ Sie schlug die Decke zurück, tastete vorsichtig über das geschiente Bein, der Oberschenkel violett und blau verfärbt, das verdrehte, geschwollene Knie, den Unterschenkel bis zum Fuß. „Hm, mehrfach gebrochen, und das Knie … Wer hat Eure Hüfte eingerenkt?“

      „Da fragt Ihr was. Ich weiß es nicht, Teuerste.“

      „Ich heiße Mara.“

      „Angenehm, Manik“, stellte sich der verletzte Gardist vor.

      „Habt Ihr starke Schmerzen, Manik?“

      „Nicht, wenn Eure zarten Finger mein nacktes Fleisch berühren.“

      Mara erlaubte sich ein Lächeln. „Wenn ich gerade anderweitig beschäftigt bin?“

      „Dann verzehre ich mich nach Euch und mein Herz will vor Sehnsucht bersten.“

      „Das klingt allerdings gar nicht gut.“ Rasch zog sie die Decke wieder über sein Bein, fühlte nach seinem Puls. „Und Euer Arm?“

      „Geht so, dieser Zauberer … ähm …“

      „Meister Liz-Rasul.“

      „Eben der. Der hat eine von den Frauen angewiesen, die Wunden zu nähen. Danach hat er so ‘n Zeug drüber geschmiert. Hat aber geholfen, jedenfalls ist der Schmerz zu ertragen.“

      „Anders als der im Bein, hm?“

      Manik sah sie nur stumm an, schüttelte leicht den Kopf. Der Wagen schwankte, als Bahadir mit dem Tee zurückkam, und Manik ächzte unterdrückt, biss die Zähne zusammen. Eilig legte Mara die Hand auf seine Brust, streichelte mit der anderen seine Wange. „Ist gut, Manik, es wird gleich …“ Bahadir reichte ihr irritiert den Becher und Mara hielt ihn Manik an die Lippen. „Trinkt einen Schluck.“

      „Was ist das?“

      „Nur Tee. Und danach werdet Ihr schlafen.“

      „Aber …“

      „Doch. Wenn ich es Euch sage, werdet Ihr schlafen.“

      Er trank, schloss die Augen. Nur einen Moment später war Manik eingeschlafen. Verwirrt schüttelte Bahadir den Kopf. „Das war doch einfach nur Tee, ich selbst …“

      „Ja. Ich habe nichts Anderes behauptet, oder?“

      „Nein, aber … Der Mann schläft.“

      „Aye, er hatte starke Schmerzen. Ich fürchte, das Kniegelenk ist verletzt, die Bänder … Dauert lange, bis das heilt.“

      Mara trank den Becher leer und schaute nach dem zweiten Mann. Er war nicht ansprechbar, sein Kopf und das halbe Gesicht dick verbunden, ebenso die Hände und Unterarme. „Wisst Ihr, ob der Mann zwischendurch einmal wach war, Bahadir?“

      „Soviel ich weiß, nicht.“

      Schweigend legte Mara dem Mann die Hand an den Hals, fühlte, lauschte, still, ganz still, und senkte den Kopf. „Würdet Ihr bitte Lassan rufen?“

      „Mara, was …“

      „Bitte!“

      Lassan kam schnell, sehr schnell, seine grimmige Miene verschlossen. „Der Priester sagte … Was ist mit Bindu?“

      „Er wird nicht wieder aufwachen, seine Kopfverletzung ist zu … Sein Gehirn ist verletzt.“

      „Scheiße, das kann doch nicht …“ Lassan unterbrach sich, biss sich auf die Faust. „Seht Ihr überhaupt keine Hoffnung? Dieser Zauberer …“

      „Nein. Keine.“ Sanft strich Mara über Bindus Gesicht, immer wieder. „Es tut mir Leid.“

      „Ich verstehe nicht, er atmet, sein Herz schlägt, er …“

      „Er wird nie wieder aufwachen, Lassan, sein Geist ist … ist fort.“

      „Und was …“ Lassan schluckte hörbar. „Soll ich es tun, Herrin?“

      Als stünde Mara neben sich. „Das ist nicht notwendig, ich bin ja da. Ich bin immer da.“

      Ihre Hand glitt über Bindus Kopf, seinen Hals, seine Brust, und griff zu. Hielt sein Herz an. Kälte, die Sterne kreisten um sie.

      „Herrin?“ Lassans Hand lag schwer auf ihrer Schulter. Mara hob den Kopf und blickte ihm in die Augen. „Er ist tot.“

      „Ja. Er ist tot. Ihr …“

      „Wollt Ihr jetzt die Namen derer wissen, die beim Angriff umkamen?“

      „Wenn Ihr sie mir nennen mögt, ich wäre Euch sehr verbunden.“

      Also nannte Mara ihm die Namen, dreiundvierzig Namen, denn auch Ilko, der zusammen mit Hauptmann Hiron und vier weiteren Gardisten von den Ostländern überwältigt worden war, war tot.

      Lassan war bleich, er kämpfte mit den Tränen. „Ilko ist ebenfalls …“

      „Sie haben ihn totgeschlagen.“

      „Oh, Ihr Götter, habt Ihr denn …“ Flehend sah er gen Himmel, gegen die Plane des Wagens. „Und Manik, was ist mit ihm? Sein rechtes Bein …“

      „Manik schläft.“ Mara fuhr sich müde über die Stirn. „Vermutlich wird er bis morgen durchschlafen. Wir sollten aufbrechen, um heute noch ein gutes Stück weiter zu kommen.“

      Lassan wollte widersprechen, womöglich auf Ron verweisen, dessen Befehle abwarten, unterließ es aber und nickte knapp. „Wie Ihr wünscht, Herrin.“

      Am Abend wurde Bindus Leichnam unweit des Lagerplatzes verbrannt. Lassan und ein weiterer Gardist aus Hirons Einheit sangen die Totenklage. Mara gedachte der anderen Gardisten, die gestorben waren, noch bevor die erste Schlacht geschlagen war, gedachte der vielen Opfer des Angriffs auf Dalgena, und hatte die Hand besänftigend auf ihren Bauch gelegt – ihr Kind strampelte heftig.

      Lassan hatte sich auffällig in Maras Nähe aufgehalten und beobachtete sie, Ron und sie, argwöhnisch: wann immer Ron mit ihr sprach oder wenn er, wie jetzt, als sie sich über die Karte beugten, über ihren Arm strich, kurz ihre Hand berührte. „Wie geht es dir?“

      Mara zuckte die Achseln, sie hätte liebend gern die Schutzweste und das Kettenhemd abgelegt. „Besser als vorhin jedenfalls.“

      Ron