Nicole Heuer-Warmbold

nur Tod und Verderben


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offenem Mund starrte das Mädchen Mara an, griff wie von selbst nach den Zügeln. Mara wandte sich ab, ließ das Mädchen stehen und ging ins Lager hinein, begegnete achselzuckend Bahadirs erstauntem Blick. „Jedem, was er braucht.“

      Ungläubig sah er sie an. „Ihr seid wirklich … Sie brauchte das?“

      „Jup. Einen Grund, sich noch ein bisschen mehr über mich aufzuregen.“

      Bahadir schaute sich nach dem Mädchen um, das sich fürsorglich um Maras Pferd kümmerte. „Aber … Anstatt weinend zusammenzubrechen?“

      „Besser, wenn sie noch einige Tage durchhält.“

      „Wisst Ihr denn …“

      „Sie wird es mir erzählen.“

      „Mara, Ihr …“ Er trat zögernd einen Schritt auf sie zu und legte die Hände an ihre Oberarme, sah beinah überrascht auf Mavi und lächelte Mara verhalten an. „Kommt Ihr zurecht?“

      „Bahadir, das ist …“ Mehr als nur irritiert musterte sie ihn, doch änderte das nichts an seinem sanften, fast schon zärtlichen Lächeln. „Das halbe Land zieht in wenigen Tagen in die erste Schlacht des Krieges, während die andere Hälfte schon jetzt vor den Folgen dieses Krieges zittert und leidet, und Ihr fragt mich, ob ich zurechtkomme?“

      „Ja. Ihr ganz persönlich, Euer Mann ist …“

      Mara sparte sich die Worte, den Wutausbruch, sie sah Bahadir an, dass es ihm ernst war, und schüttelte brüsk seine Hände ab. „Es geht mir gut, danke.“

      Schon am selben Abend hockte sich das Mädchen still neben Mara, nachdem es Ron und ihr – sie saßen ein Stück entfernt von Bahadir, Liz, Ondra und den anderen – einen weiteren Becher Tee gebracht hatte, druckste herum. Ron lächelte kalt und schaute Mara an. „Soll ich gehen?“

      Sie wandte sich an das Mädchen. „Und, soll er gehen?“

      „Ähm …“ Das Mädchen biss sich auf die Lippen, senkte den Kopf. „Ich… Herrin, ich, ich weiß nicht, es …“

      Nahezu lautlos erhob sich Ron, streifte mit den Fingerspitzen Maras Schulter und verschwand in Richtung des Feuers der Gardisten. Mara rückte näher an das Mädchen heran und legte ihm die Hand auf den Unterarm. „Wir sind allein.“

      Das Mädchen nickte vage und knetete seine Finger, Hände. Schwieg. Abwartend blickte Mara in die Flammen, lauschte dem Knacken und Knistern, dem Wind. Dem leisen Schluchzen neben ihr, das sich langsam zu heftigem Weinen steigerte und mit einem plötzlichen, heiseren Aufschrei abbrach. „Sie haben sie umgebracht!“

      Danach nur noch Weinen, lange, unterbrochen von lautem, aber unverständlichem Wehklagen, Mara saß einfach nur dabei. Spürte den Schmerz des Mädchens, diesen wilden, unerträglichen Schmerz seines Leids, das es schier zerriss. Irgendwann begann Vica, so hieß das Mädchen, zu erzählen, erzählte davon, wie seine Eltern von den Ostländern, die Dalgena erobert und geplündert hatten, getötet worden waren. Vica selbst sei ihnen nur entkommen, weil sie sich an den Rat der Mutter gehalten und rechtzeitig versteckt hatte. Jetzt sei sie allein, völlig allein, von ihrer Schwester wüsste sie nur, dass diese bereits sehr viel früher – die Nachbarn hätten sie als feige verlacht – mit ihren Kindern und den Eltern ihres Mannes aus Dalgena geflohen sei, von ihrem Bruder hätte sie nichts mehr gehört, seitdem der mit den Soldaten nach dem Kampf um die Stadt in die Berge, die östlichen Ausläufer der Tameran-Kette, gegangen sei. „Er hat uns gesagt, wir sollten versuchen, nach Samala Elis durchzukommen, aber meine Eltern …“ Wieder schluchzte Vica. „Sie glaubten, es würde schon nicht so schlimm werden, und wenn es gar nicht mehr ginge, könnten wir im Frühling, wenn das Wetter … Aber sie haben sie einfach totgeschlagen! Mein Vater hat noch versucht, sich schützend vor meine Mutter zu stellen, doch die Männer … Sie haben einfach auf ihn eingeprügelt, bis er sich nicht mehr gerührt hat, und überall war Blut und … und meine Mutter hat so entsetzlich geschrien, immer weiter, sie hat überhaupt nicht mehr aufgehört und ich habe mir die Ohren zugehalten, um ihr Geschrei nicht mehr hören zu müssen, und dann … Ich habe nicht gesehen, was die Männer getan haben, aber ich weiß es, ich weiß es!“

      Vica schlug die Hände vors Gesicht und wiegte sich vor und zurück, unablässig, bis Mara ihr die Hand auf die Schulter legte. Sie fuhr regelrecht zusammen, wimmerte. „Ich bin alt genug, ich weiß, was sie getan haben. Ich weiß, warum meine Mutter wollte, dass ich mich verstecke, so verstecke, dass niemand mich findet. Aber es war so entsetzlich, ich, ich … ich konnte nichts tun, ich hatte solche Angst, ich …“

      „Du hast alles richtig gemacht, Vica. Du hättest deinen Eltern nicht helfen können, nicht gegen eine Gruppe bewaffneter …“

      „Drei, es waren nur drei, versteht Ihr? Und sie waren betrunken! Ich erkenne betrunkene Männer, ich bin ihnen früher oft genug in der Wirtschaft meiner Eltern begegnet, auch wenn Mutter mich … Die Männer, Soldaten, waren betrunken, ich … ich konnte es sehen, als … als dann auch noch die anderen kamen, noch zwei Soldaten, die waren nüchtern. Dann sind sie alle gegangen, nachdem sie die ganze Einrichtung zertrümmert und unser Haus in Brand gesteckt hatten. Ich … musste warten, bis sie weg waren, und der Rauch … Ich weiß nicht mehr, wie ich weggekommen bin, ich kann mich nicht erinnern, es war … Da waren Leute, alte Leute, keine Ostländer, und die haben mich mitgenommen. Sie hatten den kleinen Jungen bei sich, aber es ist nicht ihr kleiner Junge.“

      „Mavi?“

      „Ich weiß nicht, ob er so heißt, er spricht nicht. Die alten Leute sagten, seine Mutter sei tot.“

      Mara nickte, soviel wusste sie von Hiron. Das alte Ehepaar, Nachbarn von Gela und Mavi, hatten den Jungen völlig verstört im Garten aufgefunden.

      „Warum ist der Kleine jetzt bei Euch?“

      „Sein Vater, Hauptmann Hiron, hat mich darum gebeten.“

      „Oh. Ja. Dann ist nicht seine ganze Familie tot, sein Vater lebt noch. Das ist gut.“

      Ja, Hiron lebte noch. Mara nickte schweigend und ließ den Arm um Vicas Schultern gelegt, bis die beinah eingeschlafen war, plötzlich hoch ruckte und sich verlegen zu ihrem Schlafplatz begab.

      * * *

      Bahadir lenkte sein Pferd neben Ron, dessen Pferd, und erntete einen kühlen, abweisenden Blick. Gar nicht einfach, mit dem Mann zu reden, Ron war nie lange an einem Ort, ständig unterwegs. Und Bahadirs Pferd deutlich kleiner und langsamer als das des Gardisten, schreckhaft und nervös wegen des ewigen Windes; Bahadir fror, er fühlte sich überflüssig, erschreckend hilflos. „Das sind also die berühmten Ebenen?“

      Ron musterte ihn kurz. „Berühmt?“

      „Irgendwer nannte sie das Herz Manduras.“

      „Ah, ja. Heimat der alten Könige.“

      „Eure Vorfahren?“

      Der Gardist schüttelte brüsk den Kopf. „Sadurnim.“

      „Und Ihr, wo liegt Eure Heimat?“

      „Weiter westlich, fast am Meer. Wo liegt Eure Heimat, Priester?“

      Bahadir verzog schmerzlich das Gesicht. „Noch viel weiter westlich, jenseits des Meeres. Ich … meine Familie stammt von der Nordinsel Erian Jasas.“

      „Was macht Ihr dann hier, im Krieg? Ihr seid kein Krieger, kein Zauberer und offenbar auch kein Mann, der die Herausforderung, gar die Gefahr sucht.“

      „Nein“, musste er zustimmen. „Ich bin der Hüter des Schwertes.“

      „Ach? Und welche Aufgabe hat der Hüter des Schwertes, Priester?“

      „Spart Euch Euren Spott, Gardist! Ich bin oberster Priester des Jägers in Seinem Heiligtum in Débar und ich diene … Der Hüter des Schwertes unterstützt bedingungslos das Kind der Frau vom Meer, dem das Schwert gebührt.“

      „Ihr dient zwei Herren, Priester. Und beide sind sehr … wirklich. Nah. Wolltet Ihr mir von Euren Schwierigkeiten berichten?“