Nicole Heuer-Warmbold

nur Tod und Verderben


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Karte gezeigt hatte und welches sie in vier, spätestens fünf Tagen erreichen sollten, war eine der seltenen größeren Ansiedlungen auf den Ebenen mit mehr als einer Handvoll Einwohnern.

      „Ich werde dich dran erinnern.“

      „Tu das.“

      Er erhob sich, drückte ihre Hand. „Wenn meine Wache rum ist, komme ich zu dir. Versprochen.“

      „Dann werden Mavi und Janek neben mir liegen.“

      Wieder grinste er und wandte sich zum Gehen. „Solange es nicht Lassan ist.“

      Sorgsam rollte Mara die Karte zusammen, verstaute sie in der Satteltasche und verkroch sich in ihren Reitmantel. Es schneite noch immer, war sehr dunkel. Und leer, eine gewaltige Leere erstreckte sich rings um sie, in der die Flüchtlinge und Soldaten, mehr als zweihundert Menschen, regelrecht verloren gingen.

      Lassan räusperte sich und ragte düster, ja drohend über ihr. „Herrin, auf ein Wort.“

      „Sicher, setzt Euch.“

      „Vielleicht …“

      Irritiert blickte Mara ihn an, sie war müde, sie hatte Rückenschmerzen und keine Lust auf sein Herumgedruckse. „Und? Worum geht es?“

      Er sah sie nicht direkt an. „Herrin … Mara, Ihr solltet Euch von dem Kerl fern halten, von Ron. Wisst Ihr, was die Schnitte auf seiner Wange bedeuten?“

      Ärgerlich schüttelte Mara den Kopf; sie hatte ungewollt zusehen müssen, wie Ron sich die Schnitte beibrachte. „Nein, aber Ihr werdet es mir vermutlich gleich sagen.“

      „Also …“ Lassan zögerte und schaute sich unwillig nach Ron um, in die Richtung, in die er verschwunden war. „Ich möchte Euch nicht zu nahe treten, nur … Ihr solltet Euch vorsehen, diese Schnitte … Es ist eine alte Tradition in der Garde, wirklich alt, und gewissermaßen … nun ja, eine Art Strafe. Ein Gardist schneidet sich mit seinem eigenen Messer zum Zeichen, dass er eine Frau vergewaltigt hat.“

      „Eine Strafe? Doch eher …“ Angewidert verzog Mara das Gesicht, mehr noch auf Ron denn auf Lassan wütend. „Und der zweite Schnitt?“

      „So wie bei ihm, gekreuzt … Er hat die Tat nicht vollendet. Die Vergewaltigung.“

      Sie ballte die Fäuste und spuckte aus, um den schlechten Geschmack im Mund loszuwerden, tastete nach dem zweiten Messer an ihrer Seite, Rons Messer, jenes Messer, und erwog, es ins Feuer zu schmeißen. „Ich verstehe. Eine alte Tradition, ja?“

      „Waren wohl andere Zeiten damals, ich meine … Heute ist das eigentlich nicht mehr üblich in der Garde, aber der Kerl kommt ja angeblich aus einer alten Familie, also … Ich wollte Euch nur warnen, ich habe den Eindruck, er will was von Euch.“

      Er musste ja sehr genau aufpassen. „Danke. Ich werde vorsichtig sein.“

      Lassan biss sich auf die Lippen und sah betreten auf seine breiten, kräftigen Hände. „Ich fand, Ihr solltet das wissen, Mara.“

      „Das sollte ich allerdings.“

      Janek und Mavi lagen unter dem Wagen, nicht neben Mara allerdings, dicht aneinander gedrängt und leidlich geschützt vor dem Schnee und dem allgegenwärtigen Wind. Mara schlief nicht, war entsetzt und erschüttert ob der Gewalt um sie und lag dumpf vor sich hin grübelnd an ihr Sattelzeug gelehnt. Lauschte den Geräuschen des schlafenden Lagers, den leisen Schritten der Wachtposten, hin und wieder unverständliches Gemurmel. Dem Zischen des Schnees, der ins Feuer fiel. Dem Wind. Wütend auf Ron, auf Lassan, der … Wollte der sie tatsächlich bloß warnen, wie er gesagt hatte, wollte er Ron schlecht machen, dem Hiron statt seiner das Kommando übertragen hatte? Oder wollte er Mara auf irgendeine Weise beeindrucken, erschrecken, damit sie sich in seine starken Arme flüchtete? Alles zugleich? Verächtlich zog Mara die Decke um ihre Beine, den Mantel enger um sich, und fluchte leise, als eine Gestalt aus der Dunkelheit auf sie zu kam.

      „Kalt?“

      Mara antwortete Ron nicht und starrte schweigend an ihm vorbei. Er hockte sich neben sie, legte die Hand auf ihre Schulter. „He, geht ’s dir nicht gut, tut dir …“

      Brüsk schob sie seine Hand weg und fuhr ihn an. „Du verdammter Scheißkerl brüstest dich damit, mich vergewaltigt zu haben?! Begleitest mich anschließend auch noch zu Reik, der natürlich weiß, was …“

      Ron warf sich auf Mara, hielt ihre Schultern gepackt und presste seinen Mund auf ihren Mund, um sie am Reden zu hindern, um sie leidenschaftlich zu küssen. „Nein, Mara, du weißt genau, warum ich das getan habe, du …“

      Sie wollte widersprechen, ihn wüst beschimpfen, doch Ron küsste sie immer wieder, gierig, hungrig, und ließ Mara nicht los. „Nicht, nicht, Liebste, hör auf zu schreien, Mara, bitte …“

      „Angst, dass Lassan dich erschlägt?“

      „Lassan. Dieser Drecksack musste es dir ja sagen.“

      „Du hast es mir ja nicht gesagt. Stolzierst mit den Narben im Gesicht herum, damit jeder Mann weiß …“

      „Damit jeder Gardist weiß, was für ein Versager ich bin, ja. Ich dachte, dein selbsternannter Beschützer hat ’s dir erklärt?“ Sanft streichelte Ron ihr Gesicht, lag mit dem Oberkörper halbwegs auf ihr, sein Bein quer über ihren Beinen. „Götter, ich begehre dich, und dabei …“ Erneut küsste er sie. „Bin ich zu schwer?“

      „Noch nicht. Du …“

      „Ja?“

      „Sieh dich vor, Ron, er … Lassan wartet doch nur auf eine Gelegenheit.“

      „Soll er warten.“ Er rückte ein Stück von ihr herunter, lag aber noch so dicht, dass Mara seine Wärme spürte, und hielt sie locker im Arm. „Was ist mit dir?“

      „Mit mir? Was meinst du?“

      „Was … spürst du? Mit deiner besonderen Wahrnehmung?“

      „Oh, das. Im Augenblick nicht viel, aber … Ich habe Angst vor der Nacht, wenn sie Hiron und die vier anderen … Ich habe Angst vor seinen Schmerzen.“

      „Kannst du nicht … Kann ich irgendwas für dich tun? Soll ich Liz-Rasul holen oder den Priester, Bahadir?“

      „Bleib die Nacht bei mir.“

      Mara zog die Beine an und bettete den Kopf an seiner Brust Sie konnte sein Herz schlagen hören, während er ihr in einem fort durch die Haare fuhr, beruhigend, tröstlich, einfach nur angenehm. „Das reicht dir nicht, oder?“

      Er schnaubte. „Ist weder der Ort noch die Zeit, mehr zu erwarten, Schätzchen.“

      * * *

      Ihr Gesicht war direkt vor ihm, ihre leuchtenden Augen, ihr Duft … Nein, nicht ihr Duft. Sie war nicht da, war irgendwo … in Sicherheit? Anders als er. Was machte er hier? Er hatte keine Chance, sie würden ihn umbringen, genau wie Davian gesagt hatte, wenn auch nicht zu ihm, zu Sandar. Erst foltern, dann umbringen, ein sinnloses Opfer, und seine Männer … Redete er, laut? Aber er hörte nichts, sein eigenes Ächzen, roch seinen eigenen stinkenden Schweiß, roch verbranntes … Er brüllte, kämpfte, er konnte sich nicht rühren, die Schweine hatten seine Beine festgebunden, riss an den Fesseln, Ketten? Der Schmerz raubte ihm den Atem, der Gestank seines eigenen Fleisches …

      Er würgte, keuchte nach Luft, als das kalte Wasser ihn traf, und riss die verklebten Augen auf. Die Gestalt vor ihm undeutlich, viel zu nah, er wollte nicht …

      „Ah, du bist wach. Ein ganz zäher Bursche, wie die Soldaten sagen, redet nicht. Vermutlich Gardist, den Resten der Uniform nach, sehr wahrscheinlich ein Gardist. Ich weiß, du verstehst mich.

      Der Kerl musterte ihn interessiert, verzog dann den Mund. „Sie haben dich scheußlich zugerichtet. Noch mehr Wasser, der Mann stinkt bestialisch!“

      Der Anweisung wurde prompt Folge geleistet, ein weiterer Schwall eiskalten Wassers traf seinen geschundenen, zitternden Leib, doch diesmal