Nicole Heuer-Warmbold

nur Tod und Verderben


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wenig Schutz vor dem ständigen Wind zu finden. Am westlichen Rand der Senke ein dichtes Gehölz, Buschwerk und Laubbäume, eine Ahnung, ein Hauch von neuem Grün. Am südlichen Dorfrand ein Weiher, ein recht großer Weiher, gespeist von einem schmalen Flüsschen. Ungewollt dachte Mara an frisch gefangenen Fisch, über offenem Feuer gebraten. Aber Bratfisch für mehr als zweihundert Leute … sie seufzte, schloss zu Ron auf. „Das ist es?“

      „Aye.“

      „Wie viele Einwohner?“

      „Das letzte Mal bin ich vor anderthalb Jahren vorbeigekommen, da waren es an die neunhundert Menschen. Jetzt wohl noch fünf-, sechshundert.“

      „Keinerlei Befestigung, schon gar keine Mauer, nicht mal ein Zaun.“

      Ron musterte sie. „Wir sind hier mitten in Mandura.“

      „Ja, ich weiß. Lass die Wagen dichter zusammenrücken, ein Teil der Gardisten vorneweg, der Rest und die Fußsoldaten als Eskorte neben den Wagen. Und sie sollen das Vieh festbinden.“

      „Und du?“

      „Ich?“ Grimmig erwiderte Mara seinen Blick, schob die Kapuze in den Nacken und setzte den Helm auf. „Wir reiten an der Spitze.“

      Sie wartete, bis Ron seine Anweisungen erteilt hatte, und drückte dann dem Wallach die Fersen in die Flanken.

      Nur zögernd kamen die Dorfbewohner aus ihren Häusern, misstrauisch aufgrund der Bewaffneten, noch eher mürrisch, nichtsdestotrotz neugierig, was derart viele Wagen und Menschen wohl bedeuten mochten. Traten an den Rand des kaum befestigten, matschigen Weges, der durch das Dorf und zu dem freien Platz in der Dorfmitte führte.

      „Gunda! Gunda, das gibt es doch gar nicht, Gunda!“

      Laut rufend drängte sich eine Frau durch die Menschen am Wegesrand, rannte auf einen der Wagen zu.

      „Hella! Oh, Hella, wir …“ Mit einem Schrei, der zu einem lauten Schluchzen, heftigem Weinen wurde, erhob sich die Angerufene, Gunda, drückte einen Jungen an ihre Seite. Dem Jungen, er war vielleicht zehn Jahre alt, waren die Tränen seiner Mutter sichtlich unangenehm, er machte sich brüsk von ihr los und sprang vom Wagen. Ein kleines Mädchen in Mias Alter schloss sich ihm an und fiel fast in den Matsch, hätte es nicht einer der Fußsoldaten aufgefangen und auf die Füße gestellt. Eine Ziege meckerte durchdringend. Sonst nichts, kein Laut, nur das Rauschen des Regens. Die Leute, die Bewohner des Dorfes schwiegen abwartend, trotz der tränenreichen Begrüßungsszene, die sich direkt vor ihren Augen abspielte. Ärgerlich sah Mara zu Ron und ließ den Wallach zwei Schritte weiter vorgehen. „Einer hier, der für das Dorf spricht?“

      Ein alter, schon ziemlich gebrechlich wirkender kahlköpfiger Mann, der sich auf einen Stock stützte, trat zögernd vor, räusperte sich. „Das … wäre dann wohl ich, mein Sohn ist der Dorfschulze. Aber der ist mit all unseren Männern in den Krieg gezogen.“ Er spie aus, hustete.

      „Euer Name?“

      „Wieso, was hat mein Name …“ Unsicher schaute er zu Mara hoch, leckte sich über die Lippen. „Ich bin Fabro, mir gehört die Dorfschenke dort“, deutete er hinter sich. „Noch.“

      „Gut, Fabro, wir brauchen Unterkunft und Verpflegung für rund zweihundert Menschen. Jetzt.“

      Fabro starrte Mara völlig entgeistert an. „Zweihundert? Unmöglich, das … Ich glaube nicht, dass wir so viele Leute unterbringen können, wo sollen die denn …“

      Mara nahm den Helm vom Kopf und beugte sich zu ihm vor, und sie sah deutlich seine Gedanken, hörte das geflüsterte ‚der rote Dämon’, ‚Domallens Hexe’ aus der Menge, Angst, ja Entsetzen in Fabros Blick. „Ich bin sicher, ihr könnt es.“

      „Aber versteht doch, Herrin, wir sind nur ein kleines, armes Dorf, wie … Wer sind überhaupt all diese Leute?“

      „Flüchtlinge aus Dalgena, dreißig Gardisten, zwei Dutzend Fußsoldaten. Ach ja, wir haben einige Verletzte …“

      „Aus Dalgena? Ich verstehe nicht, warum denn Flüchtlinge …“

      „Die Stadt wurde von den Ostländern erobert und geplündert. Diese Menschen sind gerade noch heraus gekommen, Fabro, sie haben alles verloren, ihre Heimat, ihre Nächsten, und sie brauchen jetzt wirklich einen trockenen, warmen Platz für die Nacht, eine heiße Suppe, vielleicht etwas sauberes Wasser. Versteht Ihr das, Fabro?“

      Mit offenem Mund starrte der Alte Mara an und nickte. „Ja. Ja, natürlich, Herrin, alles, alles, was Ihr wünscht. Das … es wird schon irgendwie gehen, ganz bestimmt, ich bin sicher …“ Er winkte ein paar Leute herbei. „Und Ihr, Herrin?“

      Verhalten lächelte sie, lenkte den Wallach auf die Schenke zu. „Ich brauche bloß eine ruhige Kammer.“

      „Ja, natürlich. Ihr werdet sehen, wir bekommen das hin, Herrin. Aber kommt doch erst einmal aus dem Regen raus, tretet bitte ein, Eure Männer …“

      Mara grinste, nickte in Rons Richtung. „Seine Männer, er hat das Kommando. Ich teile ihm nur meine Wünsche mit.“

      Fabro kicherte. „Natürlich, Herrin, wie Ihr sagt.“

      Um sie herum wurde geräumt, um in dem kleinen Gastraum Platz für die Jungen zu schaffen, die hier zusammen mit Janek schlafen würden. Die eigentliche Gaststube diente als Speisesaal. Ungerührt löffelte Mara ihre Suppe, leidlich warm und nicht sonderlich schmackhaft, aber nahrhaft, und das Brot war recht gut, während ihr Bogat berichtete, wer im Dorf bleiben würde. Zwei Paare, von denen entweder er oder sie aus dem Dorf stammten, ihnen gehörten ein Pferdefuhrwerk und zwei Kühe, drei alte Männer, die schlicht nicht mehr weiter wollten oder konnten sowie Gunda und ihre drei Kinder, die mit ihrer kleinen Ziegenherde bei ihrer Base unterkam.

      „Es gefällt Euch nicht, oder?“

      „Ihre Entscheidung.“

      „Aber Ihr würdet nicht so entscheiden.“

      „Nee, ich nicht, doch ich lebe in Samala Elis.“

      „Ihr haltet die Stadt für sicherer?“

      „Ganz ehrlich?“ Mara musterte ihn ernst. „Ich bezweifle, dass irgendein Ort, irgendeine Stadt in Mandura wirklich sicher ist. Am ehesten vielleicht noch Kirjat, aber auch das … Wie viele Leute habt Ihr verloren, Bogat? Aus Eurem Haushalt?“

      Er biss sich auf die Lippen, wandte den Blick ab. „Drei. Hat das die Dame Ondra …“

      „Nein. Und ich wollte nicht auch noch …“

      Schnell winkte Bogat ab, legte kurz die Hand auf Maras Handgelenk. „Ist schon in Ordnung. Herrin, so nennen sie Euch doch, und Ihr wisst … Dinge. Wir waren noch nicht einmal durchs Nordtor, da fing … Eine Gruppe Ostländer, fünf, sechs Kerle, sie hielten uns wohl für leichte Beute, fingen uns ab, zerrten die beiden Frauen, Magda und Emilie, vom Wagen. Einer wollte sich die Kleine greifen, doch der Junge … mein Enkelsohn stürzte sich wie ein Wilder auf den Mann. Er hatte keine Chance, ein sechzehnjähriger mit einem großen Küchenmesser gegen diesen gerüsteten, schwer bewaffneten Kerl, er … Ich weiß nicht, was passiert ist, ich habe wie wahnsinnig auf die Tiere eingedroschen, Valera schrie die ganze Zeit, die Kleine brüllte wie am Spieß, Ondra hat mir … Wir sind weg, einfach nur weg. Und sie haben uns nicht verfolgt. Kurz danach, noch in Sichtweite Dalgenas, ist ein Pferd zusammengebrochen, offenbar hatte es ein Angreifer verletzt, jedenfalls ist der Wagen … Wir kamen vom Weg ab, ich schaffte es gerade noch, dass wir nicht kippten, trotzdem hat auch das zweite Pferd was abgekriegt. Wir haben das Allernotwendigste runtergeholt, einen Teil trug das lahme Tier, einen Teil wir, Lebensmittel vor allem, warme Kleidung für jeden, Decken, ein paar Windeln für Garik. Später haben wir uns mit anderen zusammengetan, und noch später …“ Bogat sah ihr offen ins Gesicht, wischte sich die Tränen fort. „Später kamt Ihr.“

      Mara nickte nur.

      „Ihr seid gut, kleine Zauberin, wirklich gut, vorhin … Nicht nett, aber gut.“ Er tätschelte Maras Hand und erhob sich.

      „Bogat?“