Nicole Heuer-Warmbold

nur Tod und Verderben


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      „Hm, geht schon.“

      „Und … Hauptmann Hiron?“

      „Hiron …“ Ihr Blick irrte ab, ihre Miene kalt, ohne jede Regung. „Ich fürchte, es geht ihm ziemlich schlecht, er … entfernt sich, aber vielleicht … Vielleicht bringen sie ihn auch nur an einen anderen Ort. Ich weiß es nicht.“

      Sie sah ihn hastig an und Liz verspürte Mitleid. Er legte den Arm um ihre Schultern, zog sie näher und lehnte den Kopf an ihren Kopf. „Abendstern …“

      „Ich bin müde, Liz, so müde, meine Gedanken …“

      „Schließ die Augen, Abendstern, einen Moment nur …“

      Sie schnaubte, rührte sich jedoch nicht. „Und dann?“

      „Und dann … Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, ich …“ Er strich mit der Rechten über ihr Gesicht, verharrte, bevor er mit den Fingerspitzen ihren Mund berührte, ihre Lippen. Dachte daran, sie zu küssen, ein einziges Mal nur. „Wir sollten weiter.“

      Er hörte sie leise lachen, natürlich las sie seine Gedanken. „Aber?“

      „Nichts.“ Hilfsbereit half Liz ihr aufzustehen.

      * * *

      Zwei Tage ritten sie ununterbrochen, legten nur nachts eine kurze Rast ein. Es war kalt, verharschter Schnee bedeckte die kahlen, unwirtlichen Vorberge. Er hatte Fieber und war froh, wenn Barreck nicht mit ihm sprach. Wusste er denn, ob der Kerl ihn nicht anlog, ihm sonst was erzählte? Er wollte nicht glauben, dass sie alle tot waren, dass nicht einer …

      Es war sinnlos, er würde es nicht erfahren, nutzlos, länger darüber nachzugrübeln. Kostete ihn nur Kraft, und er hatte keine Kraft mehr, konnte sich kaum auf dem Pferd halten. Und jedes Mal, wenn er aus dem Sattel zu rutschen drohte, zog sich die Schlinge enger um seinen Hals, riss ihn einer seiner Wächter – sie wechselten nicht mehr – grob zurück. Das einzig Warme das Pferd unter ihm, zwischen seinen Schenkeln. Er lachte heiser, konnte nicht aufhören zu lachen, mochten die Soldaten ihn auch schlagen, lachte immer weiter, was sollten sie ihm noch tun, er war so gut wie tot, konnte nicht mehr klar sehen. Bis ihm in den Sinn kam, dass das Flirren und Flimmern vor seinen Augen Schnee war. Heftiger Schneefall, wie an jenem Morgen, als sie aus der Stadt ausgezogen waren. Sie hatte das Lied der Garde gesungen, und wie sie gesungen hatte; er spürte wieder die Erregung, das Hochgefühl, spürte das Blut in seinen Adern pulsieren, hörte sich selbst mit kratziger Stimme singen. Fühlte Barrecks Dolch an seiner Kehle. „Hört auf!

      „Oder was, Barreck? Ihr tötet mich?“ Er lachte keuchend, sang.

      „Hört sofort auf damit!

      „Was wollt Ihr mir schon tun? Mich erneut zusammenschlagen lassen und foltern? Das würde ich nicht überleben, Barreck, das wisst Ihr, und er will mich sehen. Macht, Barreck, stecht zu!

      Und Barreck stach zu. Er fühlte sein Blut heiß hervorquellen, nicht sein Hals, der Mistkerl hatte ihm den Dolch durchs Gesicht gezogen, Blut füllte sein Auge, aber er hörte das Lied, sang, spürte ihre Nähe, ihre Berührung. Ihre Finger so kalt.

      Sie zerrten und schleppten ihn vorwärts, seine Füße schleiften über den Boden. Steinboden, offenbar in einem Gebäude, er sah nicht viel, war zu schwach, den Kopf zu heben. Die Soldaten hielten inne, jemand trat ihm brutal von hinten in die Beine und er sackte ächzend auf die Knie. Dann trat einer – Barreck – neben ihn und riss seinen Kopf an den Haaren nach hinten. Er blinzelte, versuchte den Mann vor sich zu erkennen. Groß, gewaltig, dunkelhaarig, in einem weiten, pelzbesetzten Mantel. Er, Urlis Marok? Barreck ließ ihn los, verbeugte sich tief. „Mein Herr und Gebieter.

      Vermutlich Urlis Marok, Heerführer der ostländischen Armee. Er verstand nicht, was sie redeten, Ostländisch, doch viel zu schnell, der Dialekt … unklar, Davian hätte ihn womöglich verstanden, aber der verdammte Kerl war nicht hier, nicht an seiner Stelle. Er hatte Mühe, bei Bewusstsein zu bleiben, nicht … Noch mehr Tritte, Hiebe, der große Mistkerl hatte ihn angesprochen, die dunkle Stimme … klang ungeduldig, aber fast angenehm, er unterdrückte sein unpassendes Lachen, hob den Kopf.

      „Du behauptest, ein Gardehauptmann zu sein?

      „Hauptmann Hiron Ligoban, Angehöriger der Garde seiner Majestät, des Königs von Mandura.

      Der Dunkelhaarige lachte verächtlich. „Ligoban, ja? Deine Vorfahren waren einst Könige, und heute … Du stinkst entsetzlich, Mann. Was hast du dort gewollt?

      Unwillkürlich schüttelte er den Kopf, erwartete den nächsten Schlag. „Ich verstehe nicht.

      „Was wolltest du in Dalgena?

      „Ich war nicht …“ Er zuckte zusammen, unterdrückte sein Stöhnen. Der Dunkelhaarige winkte ab und Barreck ließ ihn in Ruhe. Vorerst.

      „Was wolltest du vor Dalgena?

      Hiron spuckte aus, Blut befleckte den Boden. „Wir hörten von einer größeren Gruppe Flüchtlinge und wollten ihnen gegen drohende Übergriffe beistehen. Ostländer greifen bekanntlich bevorzugt wehrlose Frauen und Kinder …“ Er brüllte vor Schmerz, krümmte sich zusammen, um den brutalen Tritten und Schlägen zu entgehen. Der große, dunkelhaarige Kerl schaute ungerührt zu.

      „Was willst du damit erreichen, Hauptmann, hoffst du, meine Leute schlagen dich tot? Du stirbst, wann ich es will. Also?

      „Meine Schwester … bei den Flüchtlingen …“ Es war eine gute Geschichte, die Wahrheit, und er sollte daran festhalten.

      „Domallen lässt seinen Hauptleuten erstaunliche Freiheiten. Aber er führt ja auch wegen dieser kleinen Hure aus dem Süden Krieg, schlägt jegliche Verhandlungen aus. Lächerlich! Was hat er vor, Hiron?

      „Kämpfen natürlich, er redete von einer großen Schlacht. Unsere Soldaten sind zehnmal so viel wert wie diese feigen, hinterhältigen ostländischen Schweine! Wir werden euch …

      Marok lachte einfach, wandte sich ab. „Sperrt ihn irgendwo ein. Ich werde ihn mitnehmen, der Kerl ist amüsant. Soll er zusehen, wie sein großer König den Schwanz einzieht wie ein geprügelter Hund.

      Das verletzte Auge bedeckt mit einem Verband, das gesunde zugeschwollen von der Prügel war Hiron nahezu blind, benommen vom Fieber, seinen Schmerzen, entkräftet, erschöpft. Todmüde und noch immer am Leben, fast hätte er gelacht, keuchte nur, der kalte Wind ließ ihn frösteln. Wieder auf einem Pferd, gefesselt an Händen und Füßen, unterwegs nach sonst wo hin. Zur ersten Schlacht? Marok, es musste Marok gewesen sein, hatte es angedeutet. Viel mehr hatte er nicht mitbekommen.

      Eine stark gewürzte heiße Suppe, die er durstig hinunterstürzte, er wusste nicht, wann er das letzte Mal Nahrung zu sich genommen hatte, und sein Magen krampfte, schrie nach mehr. Wenn sie tatsächlich auf dem Weg zur Schlacht waren … aber er konnte nicht sehen, sich nicht orientieren, wie sollte er da … Er wusste, wo die verdammte Schlacht stattfinden würde, er wusste es doch, Domallen hatte jeden Hauptmann in Kenntnis gesetzt, ihre Karten … hatten sie seine Karten? Und wenn schon, was nützten ihnen die Karten, er hatte den Ort nicht markiert, so dämlich war er nicht, auch wenn dieser Bastard Ron davon überzeugt schien. Diese mickrige Ratte, scharf auf die Frau seines … Warum dachte er daran, wieso konzentrierte er sich nicht darauf abzuhauen? Wieder kicherte er, beantwortete seine Frage gleich selbst. Weil er keine Chance hatte, nicht den Hauch einer Chance; seine Hände spürte er gar nicht mehr, so fest waren die Stricke gezogen, seinen Füßen, den Unterschenkeln ging es nicht besser, er war praktisch blind, verletzt, er hatte keine Waffe, nur ein … Er kicherte erneut, es klang irr, er saß auf einem Pferd. Er hatte ein Pferd, das durfte er nicht vergessen, er war hilflos, wehrlos, aber er hatte Kleidung und ein Pferd, ein warmes Pferd zwischen seinen Schenkeln. Ein schöner Gedanke, er lachte leise, zu laut, denn jemand hieb ihm die Faust in die Seite, gegen die verletzte Schulter. „Halt ’s Maul, Nordländer!“

      Nicht