Nicole Heuer-Warmbold

nur Tod und Verderben


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nichts für uns getan, nicht wahr? Genau wie er nichts für Dalgena getan hat. Wir … Leif hat nicht untätig gewartet, er hat alles ihm Mögliche getan. Er hat mir gesagt, wir seien auf uns allein gestellt. Die Lage der Stadt … Und trotzdem hat er gehofft, immer gehofft, bis dann Len mit der kleinen Gruppe Soldaten und Gardisten kam. Da wusste er, dass niemand kommen würde und Dalgena verloren war.“

      „Das stand schon vor Beginn des Krieges fest.“

      „Komm mir doch nicht … Verflucht, das ist kein Trost, Mara!“

      „Nein.“

      Wie konnte Mara nur derart beherrscht und gefühlskalt sein? Als sie gestern und heute von der Schlacht sprach, hatte sie ihren Mann oder diesen Ron mit keinem Wort erwähnt, auch nicht Jula, niemanden. „Hast du Reik tatsächlich gedroht, du würdest allein gehen?“

      „Nein. Ich habe Reik nicht gedroht, und so wütend, wie er zu dem Zeitpunkt auf mich war, wäre es ihm wohl auch gleichgültig gewesen.“

      „Und mein Bruder?“

      „Dein Bruder wollte gehen, er brauchte nur die Möglichkeit. Nicht mal einen weiteren Grund.“

      Verwirrt schüttelte Ondra den Kopf, musterte Mara forschend und legte dann vorsichtig den Arm um ihre Schultern; Mara trug nach wie vor Kettenhemd und Schutzweste, wenn auch keine Arm- und Beinschützer, gar einen Helm. „Ich danke dir, Mara, für das, was du … Du hast meinen Kindern und mir das Leben gerettet, all diesen Leuten, und …“

      „Nicht allen.“

      „Nein, leider nicht allen, aber doch so vielen. Und dafür möchte ich dir danken.“

      „Ja. Es war mir ein Anliegen.“

      „Oh, du …“ Hilflos lachend küsste Ondra sie. „Wie geht es dir, ich meine … Du erwartest ein Kind und reitest mit Rüstung und allem über die Ebenen. Bei diesem Wetter.“

      „Weißt du, wie anstrengend und schwierig Wetterzauber sind?“ Maras Grinsen blitzte auf und verlosch sofort wieder. „Ich bin müde, so müde, dass ich zwei Tage durchschlafen könnte. Und ich sehne mich nach einem heißen Bad und einem Bett.“

      „Ein bisschen musst du darauf wohl noch warten.“

      „Hm, vier, fünf Tage. Wir sind so elend langsam.“

      „Die Leute können nicht schneller, Mara, sie sind völlig erschöpft.“

      „Ich weiß, und die Zugtiere ebenso. Vielleicht…“ Mara runzelte die Stirn, schüttelte dann jedoch den Kopf. „Nein.“

      Fragend sah Ondra ihr ins Gesicht. „Was?“

      „Ist noch zu früh. Aber übermorgen schicke ich Janek los.“

      „Du schickst … Wohin?“

      „Wohin wohl, Samala Elis.“

      * * *

      Die Ebenen waren in ihrer Eintönigkeit, in ihrer schier unermesslichen Weite fesselnd und ungemein faszinierend, ihre Leere zugleich aber auch erschreckend, ja beängstigend. Schwer zu begreifen, Mara schüttelte den Kopf und sah hilflos grinsend zu Janek.

      „Was?“

      „Ich weiß nicht, das ist so … Im Wald fühle ich mich bedeutend wohler, sicherer, doch hier …“ Sie holte tief Luft. „Es ist großartig.“

      Janek lächelte, ein bisschen verlegen, wie so oft, wenn er allein mit mir redete. „Ja, ist es. Obwohl ich mich im Wald auch wohler fühle. Bei uns zu Hause gibt es viel Wald, fast nur, Hügel. Die Gegend zählt noch, oder schon, kommt auf die Blickrichtung an, zu den Vorbergen. Ein gutes Stück nördlich des Nesbra.“

      „Wie weit?“

      „In direkter Linie? So vier, viereinhalb Tagesritte, wie gesagt, es ist sehr hügelig. Und sehr schön. Na ja, ist halt meine Heimat.“

      „In der es dir offenbar sehr gut ging.“

      „Wieso sagst du das?“

      „Es klingt so. Du klingst so.“

      Wieder lächelte er, nickte verhalten. „Ja, doch. Es ging mir wohl ziemlich gut, ich … ich konnte im Grunde tun, was ich wollte. Klar hatte ich Pflichten auf unserem Hof, aber das war nicht viel, ’n paar Tiere versorgen. Und wenn mein Vater mich unterrichtet hat, oder wenn ich am Unterricht in der Schule teilgenommen habe, fand ich das toll, es hat mir Spaß gemacht. Die meiste Zeit war ich mit meinen Freunden aus dem Dorf zusammen, oder ich hab’ mit den Hunden die Wälder durchstreift.“

      „Du hattest viel Freiheit.“

      „Na ja, manchmal bestand Lina, meine ältere Schwester, schon darauf, dass ich ihr im Haus oder Vater in der Schule helfe.“ Er runzelte die Stirn. „Aber es stimmt wohl, ich hatte viele Freiheiten, mehr als die anderen Jungen im Dorf. Und jetzt … ist all das vorbei, jetzt ist Krieg, und ich … Ich habe Angst, Mara.“

      „Wovor?“

      „Wovor? Ist das nicht …“ Verzweifelt blickte er Mara an und senkte den Kopf. „Dass ihnen etwas passiert. Meiner Familie. Mein Vater ist dort … irgendwo, er hat in der Schlacht gekämpft und … und ich weiß nicht einmal, wie es ihm geht, ich kann nicht … Und meine Schwester, meine zweite Schwester, Marai, ist Priesterin im Tempel in Kirjat. Ich … verdammt, ich hätte sie besuchen sollen, als ich …“ Aufschluchzend unterbrach sich Janek, wandte das Gesicht ab.

      Mara lenkte den Wallach näher. „Sie haben erzählt, was in Dalgena geschehen ist?“

      „Na ja, erzählt, einige Frauen haben davon berichtet. Nicht mir, so … untereinander, und ich hab ’s halt gehört. Und ein paar von den Mädchen sagten, sie … die Ostländer hätten den Tempel angezündet. Jede erschlagen, die hinauslief, sich vor den Flammen retten wollte.“

      „Ja. Ich weiß.“

      „Das ist … Wie können diese verdammten Schweine so etwas Feiges und Hinterhältiges tun, das ist … das ist … Was?! Wieso, Mara, wieso passiert so etwas?!“

      „Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum Menschen solche Dinge tun. Ich kann es dir nicht erklären, ich kann es mir selbst nicht erklären.“

      „Aber du …“

      Mara musterte ihn fragend. „Ja?“

      „Du wusstest das, ich meine … als es geschah?“

      „Ich habe es gesehen. Gespürt.“ Miterlebt.

      „Wieso du?“

      Vage hob sie die Schultern. „Weil ich bin, was ich bin.“

      „Eine Zauberin, eine verfluchte Hexe, wie sie sagen?“

      „Sagen sie das?“

      „Sie sagen noch viel mehr, schlimmere Dinge, aber … Die Leute sprechen es nicht aus, nicht laut, doch sie fürchten dich, sie haben Angst vor dir, dabei … Du bist überhaupt nicht, wie sie sagen.“ Janek wurde rot. „Schon gar nicht, wie die Soldaten sagen, du ... du gehst nicht mit jedem mit, du machst nicht mit jedem rum, das stimmt überhaupt nicht!“

      „Nein, nicht mit jedem.“

      Argwöhnisch betrachtete Mara die Wolken, die von Westen heranzogen, und fluchte unterdrückt. Dunkle, drohende, immens hohe Wolken, ganze Wolkengebirge. „Das sieht gar nicht gut aus.“

      Janek stimmte ihr grimmig zu, zügelte sein Pferd und sah sich eilig nach dem Zug um. „Sieht nach ’nem richtig schweren Gewitter aus, womöglich Sturm, Hagel.“

      „Aha, und nirgends …“ Mara schaute suchend um sich, überall weites, völlig flaches Land, keine Erhebung, keine Senke, nichts, sie wären dem Gewitter schutzlos ausgeliefert. „Verdammter Dreck, das kann doch nicht … Hast du irgendeine Idee?“

      „Nein, aber … Wir sollten jedenfalls zurück zu den anderen, vielleicht … vielleicht hat schon mal jemand