Nicole Heuer-Warmbold

nur Tod und Verderben


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kein Grund ein, nichts, er konnte nicht denken. „Hast du Angst, Ostländer?“

      „Du sollst das Maul halten, oder ich …

      „Oh ja, du hast große Angst. Hätte ich an deiner Stelle auch, eine Scheiß-Angst.“ Er lachte. „Schon mal gegen richtige Soldaten gekämpft, nicht bloß gegen mit Knüppeln bewaffnete Bauerntölpel? Nein?

      Sie hielten. Sein Bewacher löste die Fußfesseln, zwei weitere rissen ihn vom Pferd, stießen ihn grob vorwärts. Er stolperte auf dem unebenen Grund, felsiger Boden, stürzte schwer auf die Knie, unterdrückte seinen Aufschrei. Mit Mühe zerrten sie ihn hoch, seine Beine trugen ihn nicht, schleppten und zerrten ihn voran. Felsen, Steine, dazwischen Schneereste; es war kalt.

      „Zu schade, dass Ihr den Anblick nicht würdigen könnt, Hauptmann Hiron Ligoban.“ Urlis Maroks dunkle Stimme erklang neben ihm. „Sieh hin, Hiron.“

      Er hob den Kopf. Vor ihm, er kniete auf einem Felsvorsprung, die Höhen um ihn zerklüftet, schroff, fiel der Boden zum Tal hin ab. Das Tal, er wusste es. Menschenleer, keine Bewegung, nichts deutete auf die manduranische Armee hin, nichts. „Ich verstehe nicht.“

      „Nein? Oh, er ist natürlich nicht so dumm, sich jetzt schon zu zeigen. Seine Späher sind sehr geschickt, beinah zu geschickt, fast hätten wir sie übersehen. Seine Armee konnten unsere Kundschafter allerdings nicht übersehen. Es wird eine wahrhaftig große Schlacht morgen, Hiron, und du hast die Ehre, als mein Gast dabei zu sein.

      „Eure Gastfreundschaft lässt zu wünschen übrig, Marok.

      „Fühlst du dich nicht gut behandelt, Hiron?“ Urlis Marok lachte. „Begleitet mich in mein Zelt, Hauptmann, wir werden reden.“

      Sein Blick ging nach Osten, wo sich das Tal scheinbar verengte, nach Südosten abzweigte, und ihm war übel, als er unter, vor sich das gewaltige Heerlager der Ostländer sah.

      * * *

      Unmerklich lichtete sich der Himmel über den Gipfeln des Kitainagebirges. Reik hauchte gegen seine Fingerspitzen, fühlte sich erstaunlich ruhig. Noch war es zu dunkel. Er hatte Bedenken gehabt, gegen die Sonne reiten zu müssen, doch diese würde bereits hoch am Himmel stehen, wenn sie über die Berge gestiegen war. Bis dahin hatte die Schlacht längst begonnen. Ungewollt dachte er an Gènaija, unterdrückte den Gedanken aber sogleich wieder. Nicht jetzt.

      Es wurde heller, er konnte nun die Armee der Ostländer am anderen Ende des weiten, flachen Tales erkennen, bemerkte, dass diese sich bereits in Marsch gesetzt hatte, und hob die Hand. Seine eigenen Reihen rückten langsam vor, fast gemächlich; er würde die Stellung auf dem Hügel nur ungern aufgeben. Ein kleiner, wenn auch eher unbedeutender Vorteil. Er nickte Remassey zu, linke Flanke vor, gleich danach Sadurnim auf der rechten Seite. Sandar hielt gemeinsam mit Davian die Mitte, besser als Leikov, er verzog den Mund, weitaus besser, Davian war rücksichtsloser, brutaler. Reik lachte rau, Gènaija ließ sich nicht mit irgendwem ein, zog sein Schwert und gab den Befehl zum Angriff.

      Kein Zurückschrecken, als die Armeen aufeinander prallten, kein Zögern, als die ersten fielen; sie konnten es sich nicht leisten, zurückzuweichen, sie wichen nicht zurück. Oh Gènaija, Gènaija … Sein Schildarm war taub, sein Schwert so schwer, der Griff glitschig vor Blut. Wessen Blut? Die Sonne stand hoch am Himmel, Schweiß lief ihm über das Gesicht, salzig … Sie begingen nicht den Fehler nachzusetzen, als das Zentrum der ostländischen Reihen wankte und einbrach, der Trick war alt. Er sah Leikov stürzen, seinen Gegner mit sich reißend, sah ihn sterben und nahm seinen Platz links der Mitte ein.

      Zeit, den Hügel aufzugeben und unerbittlich vorzurücken; hätte er ein paar tausend Mann mehr, könnte er die Schlacht gewinnen. Die Sonne ging bald unter, er verlor zu viele Männer, er musste an morgen denken, den weiteren Verlauf des Krieges; sie verfolgten die Ostländer nicht, als diese sich bei Sonnenuntergang zurückzogen. Noch nicht.

      * * *

      Besorgt beobachtete Liz Mara, die zusammengesunken im Sattel hockte, viel zu bleich, und lenkte sein Pferd noch ein bisschen näher; sie hätte wirklich auf einen Wagen gehen sollen, doch hatte sie sich stur geweigert. Ohne viele Worte, sie diskutierte nicht, sagte schlicht Nein, und weder er noch Bahadir konnten sie umstimmen, sie hatten keinen Einfluss auf ihr Verhalten. Nicht wie dieser Ron, aber der war … Er wusste nicht, ob Ron und die anderen Gardisten es rechtzeitig zum Ort der Schlacht geschafft hatten, mochte auch nicht nachfragen. Nicht jetzt, während gekämpft wurde. Dort.

      Ein seltsames Gefühl, unwirklich, er hatte den fraglichen Ort, dieses weite Tal, auf der Karte gesehen. Die Markierung, von der Davian ihm gesagt hatte, Domallen hätte sie schon vor der Wintersonnenwende gemacht. Auf einen Hinweis Maras hin, die jetzt neben ihm ritt, gequält aufstöhnte. Sofort griff er nach ihrem Arm und beugte sich weit zu ihr hinüber. „Mara? Mara, was …“ Nicht noch mehr Namen, nicht noch mehr Opfer, Tote, nicht jemand, den er kannte, nicht …

      „Hauptmann Narlon ist … Er ist tot.“

      Erleichterung durchströmte ihn, es war ekelhaft, falsch, aber er war erleichtert. Doch Mara weinte, schluchzte verzweifelt, und Liz zügelte die Pferde, nahm Mara fest in seine Arme. „Abendstern, nicht doch, nicht …“

      „Ich habe es gewusst, Liz, seit dieser verdammten Sitzung, ich habe gewusst, dass er in der Schlacht umkommen würde. Und ich habe nichts gesagt!“

      „Ich verstehe nicht, du … Ihr habt seinen Tod vorausgesehen?“

      „Nicht nur seinen. Ich habe ihn nicht gewarnt, Liz, ich habe …“

      „Nein, natürlich nicht, das wäre …“ Behutsam strich er über ihr nasses Haar, hätte gern mehr getan. Er hätte sie gern geküsst, hätte gern … Abwehrend schüttelte er den Kopf, murmelte leise einen Fluch. Unpassend, seine Gefühle, seine Erregung waren absolut unpassend. „Das solltet Ihr auch nicht tun: einen Menschen vor seinem baldigen Tod warnen. Die Konsequenzen wären … Ich bin der festen Überzeugung, das wäre falsch.“

      „Ihr würdet es nicht wissen wollen?“

      Er zögerte einen Moment zu lange, wusste, sie hatte es bemerkt. „Nein.“

      * * *

      Ondra sah zu Mara hinüber, die wie üblich ein wenig abseits von den anderen saß. Für sich allein, jetzt, wo dieser Ron mit den Gardisten und Soldaten weg war, in sich gekehrt; selbst der Priester, der Zauberer Liz und Janek hielten Abstand. Weil Mara es so wollte? Oder war ihre Isolation eine Folge ihres Andersseins, ihrer erschreckenden, verstörenden Fähigkeiten und einer Fremdheit, die sie mitunter umgab wie ein Schleier? Sicher, sie redete mit den Leuten, sie hatte ihnen allen vermutlich das Leben gerettet, ihnen viel Leid erspart, und doch … Seufzend machte Ondra sich auf, wusste Mia und Garik wohlbehütet in Valeras – das Mädchen hatte sich den rechten Arm lediglich verdreht und nicht gebrochen, wie sie befürchtet hatte – und Bogats Obhut und setzte sich neben Mara, die nicht einmal den Kopf wandte, weiter vor sich hin starrte. „Kann ich … Ich weiß nicht, möchtest du lieber ungestört sein?“

      Und plötzlich war Mara anwesend, richtig da, schlang die Arme um den Oberkörper. „Nein. Sie ziehen sich zurück. Langsam und geordnet, genau wie er es wollte.“ Ihr verhaltenes Lächeln war fast zufrieden zu nennen.

      „Aha. Dann … dann ist die Schlacht endgültig geschlagen?“

      „Gestern schon.“

      „Und …“

      Eilig fiel Mara ihr ins Wort. „Selbst wenn ich es wüsste, Ondra, ich dürfte es dir nicht sagen.“

      „Oh. Ich verstehe. Aber du …“

      „Ich bin seine Beraterin, ich war bei vielen Treffen der Hauptleute dabei, nicht bei allen. Und ich weiß längst nicht alles.“

      Widerstrebend nickte Ondra und berührte flüchtig Maras Hand. „Es tut mir Leid, dass ich neulich so heftig reagiert habe, Mara, ich war …“ Außer sich vor Angst und Entsetzen, sie hatte völlig überreagiert. „Ich habe lange