Imme Demos

Ssabena - Wilde Wege zum Seelenheil


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du deinen Vater nicht kennenlernen?“

      „Ja klar, aber das ist nicht einfach, ich weiß nicht einmal, wie er heißt. Wo soll ich da anfangen zu suchen?“, erklärte ich bedauernd.

      „Das ist schade“, stimmte Orit mir zu. „Komm, wir gehen ins Wohnzimmer zu Aviel, er sitzt dort allein.“

      Wir gingen rüber und erzählten Geschichten aus unseren Leben.

      An der Wand des Wohnzimmers lief ein Tier hoch. Etwa zwanzig Zentimeter lang und durchsichtig wie ein Wattwurm.

      „Iiih!“, schreckte ich auf, „was ist das?!“ Ich hatte es in meinem Leben bislang nicht geschafft, mich mit allen Tieren anzufreunden, Kriechtiere ekelten mich immer noch. Dieser hier sah interessant aus, und solange er nicht meint, über mich rüberkrabbeln zu müssen, habe ich auch nichts gegen ihn.

      „Das ist ein Gecko, sie tun nichts, keine Angst“, sagte Orit nüchtern.

      „Laufen die immer in Häusern an Wänden hoch?“, fragte ich, um mich auf das, was auf mich zukommt, einstellen zu können.

      „Normalerweise leben sie draußen, aber hin und wieder kommt einer rein. Sie haben Saugnäpfe an den Füßen, sie können auch an der Decke entlanggehen. Es sind hübsche Tiere und sie sind nützlich, da sie die Insekten wegfangen. Ich mag sie.“

      „Na ja, hübsch sind sie, aber nicht so unbedingt mein Fall.“ Ich schämte mich ein wenig für meinen Ekel. Vor zehn Jahren wäre ich schreiend aus dem Haus gerannt und nicht wieder reingekommen, so phobisch war ich gewesen. Gott sei Dank hatte sich diese Angst in der Zwischenzeit zur ganz normalen Gänsehaut zurückgebildet, das war doch schon ein kleiner Fortschritt. Davon erzählte ich Orit nichts, ich wollte mich nicht lächerlich machen. Außerdem fand ich es völlig unnatürlich, sich vor schlangenartigen Kriechtieren zu ekeln, das passte so gar nicht zu meinem Wunsch nach erdverbundenem Indianerleben. Pech, in diesem Fall konnte ich meine Erwartungen an mich selbst nicht erfüllen.

      „Wo schläfst du heute Nacht? Hast du schon einen Schlafplatz?“, fragte mich Orit zu fortgeschrittener Stunde. Noch ehe ich antworten konnte, schlug sie vor: „Du kannst hier bleiben, wir haben ein Zimmer frei, da kannst du erst mal wohnen, bis du was anderes gefunden hast. Komm mit, ich zeige es dir.“

      Prima, ich hatte ein Bett. Sogleich breitete ich meinen Schlafsack darüber aus. „Danke, Orit.“

      Sie drückte mich. „Good night, sweet dreams.“

      „Was heißt gute Nacht auf Hebräisch?“

      „Laila tov.“ Sie sprach das tov mit einem weichen stimmhaften w am Ende aus.

      Das klang sehr schön. Ich sagte es ein paar Mal vor mich hin. „Ist Laila nicht ein Name?“

      „Ja, es ist ein arabischer Name, viele Mädchen heißen so.“

      „Dann heißen sie ja Nacht.“

      „Wenn ein Mädchen mitten in der Nacht geboren wurde oder wenn sie schön ist wie die Nacht, ist Laila doch ein passender Name, findest du nicht?“

      Damit ging sie und ich blieb allein in dem leisen Surren der Klimaanlage.

      Was für ein Tag! Ich hatte es tatsächlich geschafft. Ich war hier, ich war in Israel. Ich wurde freundlich aufgenommen und hatte Arbeit. Kann ein Mensch sich mehr wünschen?

      Überglücklich schlief ich ein.

      Anders geht auch

      Am Montagabend fuhren Orit und ich ins Hotel Neptun. Die Jungs von der Band waren schon da, mit Ausnahme von Raffael. Radshif und Isaak würdigten mich keines Blickes. Radshif saß am Schlagzeug. Er blickte so düster, wie ich noch nie zuvor einen Menschen habe blicken sehen. Um seinen Kopf herum sah ich eine große, schwarze Wolke. Es war der Schatten in seinem Energiesystem, den ich unbewusst wahrnahm.

      Ein fremdes Gesicht erschien auf der Bühne.

      „Das ist Shish“, stellte Orit ihn vor, „er spielt die Posaune.“

      Shish reichte mir die Hand, sah mich aus großen Kinderaugen verzückt an, schien Gefallen an mir zu finden.

      Ich wunderte mich, dass ein Posaunist mitspielt.

      Raffael kam mit einem Keyboard für mich. Wir machten kurzen Soundcheck für einen Open-air-Auftritt zum Barbecue. Hübsch gedeckte Tische am Hotelpool, in der Mitte ein langer Buffet-Tisch. Langsam füllte sich der Platz mit vornehm gekleideten Gästen. Ich beobachtete die Szenerie, ließ mir den warmen Wüstenwind über die Haut streichen und genoss den sternklaren Himmel über mir. So angenehmes Arbeitsklima hatte ich noch nie.

      Die Show verlief großartig. Bei den israelischen Liedern drückte Raffi mir einen Schellenring in die Hand. Somit konnte ich auf der Bühne bleiben und das Publikum betrachten. Die Leute kannten die Lieder, sangen und klatschten mit, einige tanzten dazu, aber anders als bei den Disco-Hits. Sie tanzten folkloristisch und es waren zuerst Männer, die auf die Tanzfläche traten, bevor sich einige Frauen hinzugesellten. Fühlte sich so an, als würden sie sich alle untereinander kennen und hätten sich verabredet, heute hier gemeinsam Party zu machen, eine herrliche Stimmung unter dem Himmelszelt.

      Nach zwei Stunden war Schluss. Die Gäste verschwanden. Radshif und Isaak fingen mit dem Abbauen an. Shish lobte meinen Gesang und mein Keyboardspiel. Orit und Aviel gingen nach unten zum Buffet.

      „Come, let’s eat.“ Komm, lass uns essen. Raffael zeigte auf das Buffet, das sie für uns Musiker stehenließen, während die Tische bereits abgeräumt wurden.

      Eine beleibte Dame kam, nahm meine Hand und zog mich an ihren fülligen Busen. Sie schwärmte: „Marlisa, du warst so wundervoll. Ich habe die ganze Show gesehen. Du bist wahrhaft eine Bereicherung für Raffis Band. Ich war schon so gespannt auf dich. Als mein Sohn mir erzählte, er hätte eine Sängerin aus Deutschland, habe ich gleich gesagt, ihr müsst euren ersten Auftritt mit ihr bei mir im Neptun-Hotel machen, darauf bestehe ich. Komm, mein Mädchen, du musst hungrig sein, komm, hier gibt es leckeres Essen, nimm dir alles, was du willst.“ Sie führte mich zum Buffet und ließ mich dort allein.

      Neugierig betrachtete ich die Speisen. Den Chumus in der flachen Schale erkannte ich wieder, den Rest nicht. Ich nahm mir einen Teller, füllte von allem auf, was mich ansprach und setzte mich zu Orit an den Tisch.

      Bald saß die ganze Band um den Tisch herum, wir aßen gemeinsam.

      „Das eben war Raffis Mutter Sarah. Sie ist hier sozusagen der Chef“, klärte Orit mich auf.

      „Ach so“, nickte ich verstehend.

      „Was heißt das, ach so, das sagst du öfter?“, fragte Orit.

      „Das heißt soviel wie aha, verstehe. Was ist das hier auf meinem Teller, das so ähnlich aussieht wie Chumus?“

      „Das ist Techina, arabisch, gestoßene Sesamkörner mit Knoblauch und Zitrone, wir essen es gerne zusammen mit Chumus.“

      „Und dieser köstliche Salat hier?“

      „Das ist Auberginensalat.“

      „Aber der schmeckt so besonders, wie kommt das?“

      „Die Aubergine wird zuerst über dem Feuer geröstet, bis man die verkohlte Haut vom Fleisch abziehen kann. Das Fleisch ist durch das Feuer weich geworden und du brauchst es nur noch mit Mayonnaise zu vermengen, etwas Knoblauch dran, fertig ist der Salat.“

      Ach so, der Rauchgeschmack war also das Besondere.

      Eine wunderschöne Frau in einem hübschen Kleid trat an den Tisch. Sie war hochschwanger und hielt einen kleinen Jungen von zwei bis drei Jahren an der Hand.

      „Hallo“, sagte sie mit einem müden Lächeln. Die Hitze musste ihr in ihrem Zustand zu schaffen machen.

      Radshif sprang sofort auf. „Ich komm schon“, sagte er zu ihr und zu Raffael gewandt: „Wann ist unser nächster