Imme Demos

Ssabena - Wilde Wege zum Seelenheil


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Hashish“, flüsterte er mit verschwörerischem Blick. Auffordernd hob er die Pfeife in meine Richtung. „Dis good“, bestätigte er, das sei gut.

      Ich wollte trotzdem nicht, schaute aber interessiert zu.

      Er nahm noch einen kräftigen Zug. „I work bakery.“

      Also sprach er doch ein wenig Englisch, wenn auch gebrochen. In einer Bäckerei arbeitet er. Morgens muss er sehr früh aufstehen, abends bringt er frisches Brot mit nach Hause.

      Als er seine Hand auf meine Schulter legte, wusste ich sofort, was er von mir wollte, schüttelte den Kopf, legte seine Hand zurück und sagte entschieden: „No!“

      Er zuckte mit den Achseln, verzog sein Gesicht, legte sich auf die Seite und schlief ein.

      Am Morgen war er weg. Barfuß tapste ich durch die Wohnung. Im Wohnzimmer stand nichts außer einem Stuhl und einem runden Tisch mit überfüllten Aschenbechern und ein paar benutzten Gläsern, teilweise noch gefüllt mit einer orangefarbenen Flüssigkeit. Limonadeplastikflaschen auf dem Fußboden verstreut, Decken und Schlafsäcke auf den Fliesen, wer mochte hier wohl schlafen?

      „Dis my workers“, löste Nachum später das Rätsel. Die Arbeitskräfte der Bäckerei schliefen bei ihm. „Dis my bakery.“ Es war seine Bäckerei. Er war der Chef und seine Leute schliefen bei ihm im Wohnzimmer auf dem Fußboden. In Deutschland unvorstellbar.

      Die Jalousien waren heruntergezogen, Fenster leicht geöffnet, eine Klimaanlage rauschte leise, alles war friedlich still.

      Die Geräusche, die von der Straße zu mir hereindrangen, lockten mich raus. Ich wollte hinein in das Leben da draußen, neue Sachen entdecken, Dinge kennenlernen, von denen ich vorher nichts ahnte, mir alles angucken, war neugierig auf jeden Menschen, auf jede Begegnung, wollte wissen, wie sie leben, wollte erleben, dass es anderes gibt als das, was ich kannte und dass anderes auch funktioniert. Ich wollte in ihre Häuser und in ihre Köpfe hinein, ihre Lebensweise und ihre Mentalität ergründen.

      Jeden Tag zog ich in die Stadt, an den Strand, beobachtete Menschen, was sie ausstrahlten, wie sie sich gaben. An jedem Tag redete ich mit mehr Menschen über Gott und die Welt als in Deutschland in einem ganzen Jahr. Ich sprach mit jedem, der mit mir sprach und ging auch mit jedem mit.

      Begeistert nahm ich die Einladung eines älteren Mannes an, mir die Timna-Säulen draußen in der Wüste zu zeigen, entzückt von der Vorstellung mit einem Auto in die Wüste zu kommen, weg von der geteerten Piste die kleinen Sandwege entlang zwischen die Felsen in ein Wadi zu fahren.

      Da der Mann keinerlei Englischkenntnisse besaß, lernte ich meine ersten hebräischen Worte und stellte fest, das Erlernen einer Sprache ist am leichtesten beim Leben in dem entsprechenden Land. Ich merke mir die Wörter automatisch, weil ich sie im lebendigen Kontext erfahre statt aus dem Buch.

      Knapp dreißig Kilometer in die Wüste rein hielt er vor den monumentalen Steinsäulen und stellte den Motor ab. Wir stiegen aus, waren allein hier, fernab jeglicher Zivilisationsgeräusche. Um uns herum nur Steine und Felsen, über uns der wolkenlose, strahlend blaue Himmel. Kein Lüftchen regte sich. Totenstille. Das Gleißen der Sonne, diese Helligkeit, das bloße Bare vereinnahmten mich. Mit Leib und Seele spürte ich das Wesen der Wüste, tauchte förmlich darin ein. Ihre Stille rührte die Stille in mir an. Ihre Helligkeit rührte die Helligkeit in mir an. Ihre Bloßheit rührte die Bloßheit in mir an. Dies Stück karger, elementarster Natur warf mich auf mich selbst zurück, auf mein nacktes Dasein. Die Wüste lenkt mit nichts ab, macht die essentiellen Bedürfnisse des Menschen wieder bewusst. Essen. Trinken. Schlafen. Auf Toilette gehen. Und atmen.

      Ich bekam nicht genug vom Leben, streifte Tag und Nacht durch den Ort, an die Strände, in die Diskotheken, um am frühen Morgen die weiße Sonne hinter den jordanischen Bergen aufgehen zu sehen.

      Im Sommer ist es in der Wüste durchgehend heiß, selbst nachts kühlt es nicht ein Grad ab. Das macht die Nächte fast unwirklich. Der heiße Wüstenwind weht tagsüber nahezu ununterbrochen, zum Sonnenuntergang beruhigt er sich meistens.

      Weiterhin suchte ich ein Zimmer zur Miete, fragte jeden, den ich kennenlernte, nach einem Hinweis.

      Ja, da hätte jemand ein Zimmer für mich im Haus seiner Schwester. Sein Name war David.

      Am darauffolgenden Tag packte ich meinen Rucksack, verabschiedete mich von Nachum und lief zu Davids Haus.

      Der wollte abends mit mir zu seiner Schwester fahren. Zwischenzeitlich bot er mir einen Drink an. Wir quasselten auf Englisch über alles Mögliche, bis er kurzerhand entschied, Tanzen zu gehen, seine Schwester sei noch nicht da.

      Gegen morgen kamen wir zurück. Er bot mir seine Wohnzimmercouch zum Schlafen an, wir würden morgen zu seiner Schwester fahren. Ich legte mich hin, er ließ mich in Ruhe.

      Anderntags setzte er mich auf dem Weg zur Arbeit am Strand ab. Wir verabredeten uns abends in seiner Wohnung.

      Er war schon da, als ich kam, sagte, er hätte mit seiner Schwester telefoniert und die hätte leider doch kein Zimmer frei, es täte ihm leid, ich könne weiterhin auf seiner Couch schlafen, bis ich etwas anderes gefunden habe.

      Also machte ich mich wieder auf die Suche, fragte jeden Taxifahrer, jeden Kioskbesitzer, jeden Bademeister. Niemand wusste etwas, doch alle versicherten mir, dass es nicht schwierig sei, in Elat ein Zimmer zu finden, es gäbe immer eines, nur in Stoßzeiten sei es schwierig.

      Zu Festen wie Pessach, das Fest des ungesäuerten Brotes, das an den Auszug aus Ägypten erinnert, kommen so viele Israelis aus dem Norden nach Elat, dass nicht nur jedes Zimmer, sondern jedes Bett belegt ist. Ein einzelnes Bett wird für hundert Dollar vermietet. Bewohner von Elat ziehen teilweise für diese eine Woche zu Verwandten in den Norden, um ihre Betten zu vermieten. Kein Mensch in Deutschland würde auf die Idee kommen, sein Bett zu vermieten, aber hier ist alles anders.

      Von irgendwoher hatte ich auf einmal eine Telefonnummer in der Hand. Es hieß, eine junge Mauritierin möchte ihr Zimmer aus finanziellen Gründen mit jemandem teilen.

      Nach mehreren Versuchen sie zu erreichen, hatte ich Glück.

      Sie arbeitete in einem der Hotels und teilte sich mit einer Arbeitskollegin ein Zwei-Zimmer-Apartment.

      In ihrem Zimmer gab es zwei Matratzen und einen Schrank. Um Platz zu schaffen, würden die Matratzen tagsüber aufrecht an der Wand lehnen. Küche und Bad werden gemeinschaftlich genutzt. Zweihundert Dollar wollte sie dafür haben. Ich stimmte zu und zog sofort bei ihr ein.

      Wir sahen uns nur selten, sie arbeitete viel, ich war Tag und Nacht unterwegs. Trafen wir zusammen, fragte ich sie aus über das Leben auf Mauritius, einer Insel im Indischen Ozean, östlich Südafrikas. Nie zuvor hatte ich einen Menschen aus Mauritius kennengelernt und noch nie hatte ich diese Hautfarbe gesehen.

      Zwei Wochen wohnte ich bei ihr, bis sie kundgab, dass ihr finanzieller Engpass vorbei sei und sie ihr Zimmer wieder für sich haben möchte, es sei doch etwas eng für zwei Personen. Aber ich könne selbstverständlich bleiben, bis ich was gefunden habe.

      Wieder auf der Suche nach einer Bleibe.

      Trampen war damals in Israel üblich. Als besondere Ehre galt es, Soldaten mitzunehmen. Soldaten gehörten zum Alltag, sie gingen überall Patrouille, in der Einkaufszone, auf der Straße, sogar am Strand. Gelegentlich sah man einen Soldaten und eine Soldatin Hand in Hand gehen, jeder ein Gewehr über dem Rücken, beide leicht bekleidet, oder beim Engtanz in der Diskothek, eng umschlungen, beide bewaffnet. Sie haben den Partner und die Waffe im Arm, scheinbar selbstverständlich. Wenn sie im Dienst sind, legen sie das Gewehr nicht aus der Hand. Sie sind überall und immer im Dienst. Wo sie auftauchen, verbreiten sie ein Gefühl von Sicherheit und Schutz. Sie haben ihre Augen nach allen Seiten ausgerichtet und sind umfassend ausgebildet. Wenn nicht gerade im Einsatz, sind sie mehr als der gute Polizist, Freund und Helfer. Sie sind Sanitäter, Transporteure, Mechaniker, fragen weder nach Geld noch nach Papieren. Sie helfen, wo Hilfe gebraucht wird, bringen das alltägliche Leben an der Stelle in Gang, wo es stockt inmitten der Bevölkerung, sodass ich mich hier sicherer fühle als in Deutschland.