Stefan Mitrenga

Goschamarie Bauernsterben


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sich über seinen kleinen Sieg und winkte Walter hinterher, als dieser mit seinem Handkarren weiterzog.

      „Haben die im Kreuz montags nicht Ruhetag?“, rief er Walter noch hinterher, doch der grinste nur vor sich hin.

      Balu war schon weitergelaufen, während Walter und Eugen sich unterhalten hatten. Vor Bimbos Stall hatte er leise gebellt, um den Haflinger zu wecken.

      „Was willst du, Flohfänger?“, schnaubte der Wallach und machte keine Anstalten zur Tür zu kommen. „Hast du dich festgelegen oder bist du jetzt zu fett um aufzustehen?“, stichelte Balu, woraufhin Bimbo sich aufrappelte und zur Tür kam. Seine Stalltür war in der Mitte zweigeteilt und die obere Hälfte stand immer offen, durch die er seinen massigen Kopf herausstreckte. „Bist du hier, weil du Ärger suchst? Den kannst du haben!“ Er stieß seinen Kopf nach vorne und machte den Hals lang, dabei bleckte er seine Zähne. Für einen Moment sah es so aus, als würde er Balu in die Schnauze beißen, doch zwei Zentimeter vor Balus Nase stoppte seine Attacke mit einem lauten Rumpler gegen die Stalltür. „Verdammte Scheiße“, schimpfte Bimbo und zog seinen Hals wieder ein. „Das hast du doch absichtlich gemacht!“ Balu konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, unterließ es aber den Wallach weiter zu reizen, schließlich wollte er ja etwas von ihm. „Alles gut, Bimbo! Was bist du denn gleich so garstig?“„Das ist die Hitze“, jammerte das Pferd. Dabei war er ständig schlecht gelaunt, die aktuellen Temperaturen machten es nur noch schlimmer.„Bevor du kamst, hatte ich gerade einen kühlen Fleck hinten an der Mauer gefunden. Wenn ich da meinen Bauch dagegen drücke, geht es einigermaßen. Sonst ist es doch überall zu warm.“Balu musterte Bimbo, der erschöpft den Kopf auf die Kante der Stalltür legte. „Weißt du noch, wie ich dich damals wegen Pfarrer Sailer nach ein paar Sachen aus seiner Vergangenheit gefragt habe?“Bimbo nickte zur Bestätigung. „Ich würde dich gerne wieder etwas fragen.“Bimbos Ohren klappten neugierig nach vorne und seine Augen blitzten interessiert auf. „Geht es um Hermann? Ich habe gehört, was passiert ist. Also nicht direkt, aber ein paar Leute haben darüber geredet, als sie hier an meinem Stall vorbei gelaufen sind.“Balu wusste, dass er Bimbos ganze Aufmerksamkeit hatte. So launisch das Pferd war, so neugierig war es auch. „Du weißt, dass er ermordet wurde?“, hakte Balu nach.„Ein paar Leute haben so was vermutet. Ist es jetzt sicher?“Balu rechnete nicht mehr mit einem Angriff des Wallachs und rückte etwas näher an die Stalltür. „Ja, es ist sicher. Ein Freund von Walter ist bei der Kripo und der war bei uns. Er hat erzählt, was da oben passiert ist, soweit es die Polizei nachvollziehen kann. Und klar ist, dass Hermann überrollt wurde. Von seinem eigenen Traktor. Dreimal!“ Balu hatte das letzte Wort bewusst etwas offen betont, sodass es fast wie eine Aufforderung klang. Bimbo verstand nicht sofort, was der Wolfsspitz ihm damit sagen wollte, und riss die Augen weit auf, als die Erkenntnis endlich kam. „Dreimal überrollt? Das kann ja gar kein Unfall sein. Aber wer macht denn so was? Ich habe ja schon von vielen schlimmen Sachen gehört, aber das?

      Das ist doch nicht mehr menschlich!“ Balu fragte sich, was der Haflinger über Menschlichkeit wusste. „Wir glauben, dass da jemand eine wahnsinnige Wut oder sogar Hass auf Hermann gehabt hat. Und das kommt sicher nicht von heute auf morgen. Kannst du dich an irgendeine alte Geschichte erinnern, bei der Hermann jemanden so sehr gedemütigt oder verletzt hat?“Bimbo schwieg und legte den Kopf schief. Balu wusste, dass er das immer tat, wenn er angestrengt nachdachte, was nicht allzu oft vorkam. Der Haflinger ließ sich Zeit, schüttelte dann aber enttäuscht den Kopf. „An etwas wirklich Schlimmes kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Aber er war mit Sicherheit kein Heiliger. Schon in seiner Jugend war er ein echter Bauernbursche und hat bei jeder Gelegenheit heraus- posaunt, dass sein Hof der größte in der Umgebung sei und hat sich auch entsprechend großkotzig verhalten. Die Anderen waren aber auch nicht besser!“„Welche Anderen?“, hakte Balu sofort nach. „Na, die anderen Bauernjungs. Die Herren Hoferben. Die ließen alle spüren, dass sie was Besseres waren. Die drei Wichtigsten hatten so eine Art Bande oder Clique und waren fast immer zusammen unterwegs.“Das war Balu neu. Die heutigen Bauern waren keineswegs mehr überheblich, geläutert durch den Absturz der Preise für landwirtschaftliche Produkte. Milch, Getreide, Obst, Holz … für alles wurde nur noch ein Bruchteil dessen bezahlt, was einst üblich war. Hinzu kamen immer mehr Auflagen und Investitionen in den Umweltschutz, die so manchen Landwirt an den Rand des Ruins drängten. Die rosigen Zeiten waren definitiv vorbei. „Weißt du, wer noch in dieser Bande dabei war?“Bimbo ließ sich erneut Zeit, obwohl er die Antwort kannte. Er genoss es, gefragt zu werden. „Da waren immer mal wieder verschiedene Jungs dabei, aber drei waren der harte Kern. Hermann war der eine, Karl-Heinz gehörte dazu und dann noch Xavier. Die drei waren unzertrennlich.“ Eine Clique von drei überheblichen Bauernjungs, überlegte Balu. Die haben sicher allen möglichen Blödsinn angestellt und garantiert fanden das nicht immer alle lustig. Wenn sie andere so herablassend behandelt haben, dann hatte das bestimmt den ein oder anderen auf die Palme gebracht, aber reicht das für einen Mord nach zwanzig Jahren? Nach fünfundzwanzig Jahren, korrigierte Balu sich in Gedanken, und verwarf die Idee. Das wäre schon sehr an den Haaren herbei gezogen. „Danke erst mal. Mal schauen, wohin uns das führt“, verabschiedete sich Balu von Bimbo, gerade als Walter aufgeholt hatte. „Na, du alter Sauerbraten, schon wieder dicker geworden?“, neckte Walter den Wallach, der sofort die Ohren anlegte und seine blanken Zähne nach vorne schnellen ließ. Vor ein paar Wochen hatte er mit einer ähnlichen Attacke Erfolg gehabt und ein Loch in Walters Hose gerissen. Das war auch der Grund, warum Walter ihn seitdem ärgerte. Doch diesmal hatte er kein Glück. Wie zuvor bei Balu stoppte sein Angriff zwei Zentimeter, bevor er Walters Pobacke zu fassen bekam. Wütend verzog er sich in seinen Stall, während Walter und Balu grinsend Richtung Hinterdorf liefen.

      17

      Anne schob den Wagen mit Hermanns Leiche in den Obduktionsraum. Das weiße Laken lag über dem Körper und hing seitlich ein Stück über den Rand hinab. Anne hatte Hermann nur zwei oder drei Mal in Taldorf gesehen, als sie mit Elmar unterwegs war. Gesprochen hatten sie nie miteinander. Trotzdem fühlte es sich anders an, wenn man den Toten gekannt hatte.

      Mit einem kräftigen Stoß öffnete sich die Schwingtür zum Obduktionsraum und Dr. Kurz, die neue Pathologin, rauschte herein. „Und los geht’s! Anne, alles soweit in Ordnung? Können wir loslegen?“

      Anne war überrumpelt und suchte nach Worten, was Frau Dr. Kurz falsch interpretierte.

      „Jetzt machen Sie sich da mal keinen Kopf, Mädchen. Nur weil Sie den Mann flüchtig kannten, ist das jetzt kein Drama, oder?“

      „Natürlich nicht“, stammelte Anne, „es ist nur … komisch.“

      „Ja, ich weiß. Aber wir sind Profis und betrachten alles ganz objektiv.“

      Sie ließ den Bund ihrer Gummihandschuhe schnalzen, als sie hineinschlüpfte und zog das Laken weg.

      „Das Opfer ist männlich, vierzig Jahre alt, weiß“, begann Dr. Kurz ihre Untersuchung formell und diktierte alle Daten in ein Aufnahmegerät. Anne machte auf ihre Anordnung hin verschiedene Notizen auf ihrem Tablet-PC, hielt sich sonst aber im Hintergrund. Hermanns Anblick löste in ihr tatsächlich etwas aus, das sie so bisher nicht gespürt hatte. Es kam ihr vor, als würde die Obduktion Hermann die letzte Würde nehmen, so nackt und ungeschützt wie er auf der Metallpritsche vor ihnen lag, den Handlungen einer übereifrigen Pathologin und ihrer Helferin wehrlos ausgeliefert.

      „Uiuiui … den hat es aber wirklich böse erwischt“, staunte Dr. Kurz, nachdem sie den Thorax mit dem typischen Y-Schnitt geöffnet hatte. Jede einzelne Rippe war gebrochen und der gesamte Bauchraum war mit Blut gefüllt, aus der Lunge war jegliche Luft entwichen und sie war unnatürlich platt.

      „Da fällt mir ein Witz ein“, trällerte Dr. Kurz. „Pass auf: Da kommt ein Versicherungsvertreter auf einen einsamen Bauernhof. Er trifft aber nur den zwölfjährigen Sohn an. „Ich möchte gerne deinen Vater sprechen“, sagt er zu dem Buben, aber der schüttelt nur den Kopf. „Wo ist denn dein Vater?“, fragt er deshalb nach. „Vom Trecker überfahren“, antwortet der Bub. „Na, dann würde ich gerne mit deiner Mutter sprechen. Geht das? Wo ist die denn?“ „Vom Trecker überfahren“, antwortet der Bub erneut. Der Vertreter ist bestürzt und fragt weiter. „Um