Stefan Mitrenga

Goschamarie Bauernsterben


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ruft Hermann und nimmt den Frosch aus Xaviers Hand. Er setzt ihn genau in die Mitte der Brettergasse.„Und los geht’s. Du fährst hier solange hin und her, bis du ihn erwischst. Verstanden?“Mir wird schlecht und schwindelig. Ich will dem Frosch nichts tun. Ich mag Tiere. Alle Tiere. „Hast du mich nicht gehört?“, schreit Hermann mich an, weil ich nicht losfahre.„Bist du echt so ein Weichei? Nur so ein kleiner Ficker? Mit so einem muss ich mich doch wirklich nicht abgeben!“ Tränen steigen mir in die Augen. Tränen der Wut. Tränen der Verzweiflung. Hermann verhöhnt und beschimpft mich weiter und ich weiß nicht, was tun.„Nenn mich nicht Ficker“, brülle ich Hermann an und trete kraftvoll in die Pedale. Ich rase zwischen den Brettern hindurch. Verfehle den Frosch. Wenden. Wieder durch die Gasse. Tränen laufen mir übers Gesicht, ich kann kaum etwas sehen. Den Frosch erneut verfehlt. Hermann beschimpft mich. Wenden. Wieder zwischen die Bretter. Ich schaue nach unten. Ich sehe den Frosch. Seine glubschigen Augen sehen mich an, als der Vorderreifen ihn mittig überfährt. Der kleine Körper platzt unter dem Druck auf und die Eingeweide quellen gluckernd hervor. Hermann, Xavier und Karl-Heinz grölen vor Lachen.„Jetzt schaut euch mal unseren kleinen Ficker an“, lacht Xavier und zeigt auf mich. Zeigt auf meine Hose.„Das hat ihm wohl gefallen!“Ich verstehe nicht, was er meint und schaue nach unten. Meine dünne Hose ist im Schritt fast zum Zerreißen gespannt und man sieht deutlich meine Erektion.Das kann nicht sein, denke ich, eine Fehlfunktion meines Körpers. Ich springe vom Bonanza-Rad und lasse es einfach umkippen, meine Hände verdecken meine Erektion, als ich umständlich wegrenne.„Ficker hat nen Ständer, Ficker hat nen Ständer“, singen die drei im Chor und treiben mich so den Feldweg entlang, bis ich sie nicht mehr hören kann.Der Ältere erhob sich aus seinem Stuhl und setzte sich zu seinem Freund aufs Bett. Zärtlich wischte er mit dem Handrücken die Tränen ab, die im Kissen versickerten. „Hast du dich zu erkennen gegeben?“ „Hmm“, nickte der Jüngere. „Ich habe es ihm gesagt, während ich über ihn drüber gerollt bin. Ich habe ihm dabei in die Augen gesehen, genauso wie damals dem Frosch.“ Und ich habe mein Zeichen hinterlassen, denkt er, sagt es aber nicht. Der Ältere hatte ihn stets davor gewarnt, irgendeinen Hinweis zu platzieren. „Sonst erwischen sie dich garantiert“, hatte er behauptet. Aber wozu sollte das Ganze denn gut sein, wenn am Ende niemand wusste, worum es wirklich ging. „Dann hast du dein erstes Ziel erreicht … wer ist der nächste?“ „Die Katze“, sagt der Jüngere ohne zu zögern, „natürlich die Katze!“

      11

      Walters Job als Zeitungsausträger war für ihn ein Traumjob. Mitten in der Nacht aufzustehen und die Zeitungen zu verteilen, war für ihn kein Problem, im Gegenteil: er genoss es. Auch bei Regen und Schnee. Mit der richtigen Kleidung war alles machbar und Walter war mittlerweile wirklich gut ausgerüstet. Die Ruhe im Dorf, wenn er von Haus zu Haus ging, entschädigte ihn für das frühe Aufstehen und so manche Wetterkapriole. Die Zeitung erschien an sechs Tagen in der Woche, doch Walter hatte den Samstag an Stephan, einen Jungen aus dem Dorf, abgegeben, der auf ein Mofa sparte. Der Sonntag war ohnehin zeitungsfrei, so dass Walter ein echtes Wochenende genießen und beruhigt ausschlafen konnte.

      Liesl hatte ihm in der letzten Woche gefehlt, umso mehr hatte er den gestrigen Abend genossen. Sie hatten noch lange auf der Terrasse gesessen und sie hatte ausführlich von ihrem Kurzurlaub mit ihren Freundinnen erzählt. Dabei hatten sie viel gelacht und viel Bier getrunken. Beide waren schließlich müde und mit einem kleinen Rausch in ihren Häusern verschwunden.

      Doch Walters Schlaf war unruhig gewesen. Als hätte ihn etwas gestört, jedoch ohne ihn zu wecken. Als er um kurz nach acht Uhr aus dem Bett kroch, war ihm, als hätte er sich gerade erst hingelegt. Normalerweise schlief er sonntags gerne auch mal bis um neun oder zehn Uhr, doch diesmal war an Schlaf nicht mehr zu denken. Walter fühlte sich wie gerädert. Er streckte sich ausgiebig und gähnte ausladend, während er Balu fütterte und in den Garten entließ.

      „Was war das nur für eine unsägliche Nacht?“, fragte Walter sich und begann seine Morgenroutine mit Kaffeekochen.

      Balu war, im Gegensatz zu Walter, nicht entgangen, was in der Nacht losgewesen war. Viele Autos waren vorbeigefahren und hatten irgendwo in der Nähe angehalten. Deutlich hatte er das Zuschlagen der Türen gehört und auch vereinzelte Gesprächsfetzen aufgefangen, wenn der Wind günstig stand.

      „Weißt du, woher der Lärm heute Nacht kam?“, fragte er Seppi, der mit seiner spitzen Nase im taufeuchten Rasen nach Würmern bohrte. „Kam von da oben“, sagte der Igel beiläufig und deutete grob Richtung Hummelberg. „Und da sind immer noch Menschen unterwegs. Keine Ahnung, was die da machen, aber es scheint auch Polizei dabei zu sein. Als es noch dunkel war, habe ich das Blaulicht bis hier her gesehen.“„Oh weh“, sagte Balu betroffen, „dann ist es sicher wieder ein Unfall oben an der Kreuzung.“Am Ende der Serpentinen am östlichen Rand des Tales trafen zwei Straßen gleichberechtigt aufeinander. Die „Rechts vor Links“-Regel war aber offensichtlich nicht mehr jedem bekannt, so dass dort regelmäßig schwere Unfälle passierten, wenn zwei Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit ineinander krachten. „Die Kreuzung hat damit nichts zu tun“, sagte Kitty, als sie lautlos auf der Terrasse auftauchte. Sie begrüßte Seppi und Balu mit einem Kopfreiber und setzte sich zu ihren Freunden. „Es ist schlimmer! Hermann hatte auf dem Acker einen Unfall. Ich denke, er ist tot.“ „Woher weißt du das?“, platzte es aus Balu hervor, „warst du oben?“Die Tigerkatze deutete mit ihrer Nase Richtung Hummelberg und schüttelte leicht den Kopf.„Nur in der Nähe, aber das reicht. Sie haben alles abgesperrt und ein paar Polizisten passen auf, dass niemand zu nah rankommt. Sie untersuchen die Unfallstelle noch, aber der Krankenwagen ist schon weg und hat dem Leichenwagen Platz gemacht.“„Hat jemand den Löffel abgegeben?“, fragte Eglon schroff, als er um die Hausecke schlenderte und sich zu Kitty setzte. Seit er bei Liesl wohnte, war seine Laune zwar besser, aber sein Umgangston ließ immer noch sehr zu wünschen übrig. „Hermann hatte einen Unfall mit seinem Traktor. Auf dem Acker da oben. Ein Mordsaufgebot an Polizei und so“, fasste die Tigerkatze zusammen.„Ach, deshalb der Tumult heute Nacht. Ich bin zweimal aufgewacht. Ich dachte schon, ich höre wieder Gespenster. Aber dann bin ich ja beruhigt“, sagte Eglon und putzte eine Vorderpfote.„Du bist beruhigt, wenn jemand stirbt?“, kläffte Balu erregt. Als Hund war er den Menschen viel mehr verbunden als Katzen das sind, was er gelegentlich vergaß. „Weißt du denn nicht, was das für seine Familie bedeutet? Der Hermann war doch gerade mal um die vierzig … mit Frau und kleinen Kindern. Wie kannst du da beruhigt sein?“ Eglon sah Balu verständnislos an und ließ die Barthaare nach vorne schnellen. Er wollte den Wolfsspitz nicht provozieren. „Ganz ruhig, Brauner! Kein Grund sich aufzuregen!“, säuselte er. „Ihr alle wisst doch, dass der Tod zum Leben dazugehört. Den einen erwischt es früher, den anderen später, am Ende aber jeden. Jetzt war eben der Hermann dran. Menschen sind da eh komisch, wenn jemand stirbt. Sie tun so, als ginge das Leben nicht weiter, dabei lässt sich das Leben durch nichts aufhalten.“„Da hast du ja Recht“, lenkte Balu ein, „aber ein bisschen mehr Mitgefühl könntest du trotzdem an den Tag legen.“

      Ein Auto näherte sich vom Dorf her und Balu bellte zweimal, um den Besuch anzukündigen. Walter kannte das Signal seines Hundes und ging mit der Kaffeetasse in der Hand zur Haustür. Als er öffnete, wollte der frühe Besucher gerade an die Tür klopfen und wich erschrocken zurück.

      „Na, das ist ja mal eine schöne Sonntagsüberraschung“, begrüßte Walter strahlend seinen Besucher. Kripo-Hubert lächelte halbherzig und folgte Walter zögerlich in die Küche, wo es verlockend nach frischem Kaffee duftete.

      „Auch ein Tässchen?“, fragte Walter, der die Vorliebe seines Freundes für guten Kaffee kannte.

      „Natürlich gerne“, antwortete Kripo-Hubert und ließ sich erschöpft auf einen Küchenstuhl sinken. Dunkle Ränder unter seinen Augen zeigten, dass er schon länger wach war. Vielleicht die ganze Nacht.

      „Was verschafft mir denn das Vergnügen?“, fragte Walter, da es nicht alltäglich war, dass sein Freund einfach so in Taldorf vorbei schaute.

      „Das hat mit Vergnügen leider nichts zu tun, Walter. Ich bin beruflich hier. Ein Todesfall da oben auf dem Acker. Vermutlich ein Unfall.“

      Walter schlug die Hände vors Gesicht. „Oh Gott, was ist denn passiert? Wieder