Stefan Mitrenga

Goschamarie Bauernsterben


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altersschwache Gebläse, dass auf höchster Stufe kaum mehr produzierte als ein laues Lüftchen. An einer weiteren roten Ampel in der Weststadt hielt neben ihm ein junges Mädchen. Sie hatte alle Fenster geschlossen und schaute amüsiert auf Walter, der fast auf dem Sitz lag, um möglichst viel vom Gebläse abzukriegen. Als sich ihre Blicke trafen, versuchte Walter ein gezwungenes Lächeln, doch der Schweiß brannte in seinen Augen und als er ihn mit dem Hemdärmel weggewischt hatte, hatte die Ampel auf Grün geschaltet und das Mädchen war davongebraust.

      Nach drei weiteren roten Ampeln erreichte Walter endlich Bavendorf. Er bog zum Frischeländle ein und parkte direkt seitlich an der Straße, um so schnell wie möglich aus dem Auto zu kommen. Er ließ die Fenster offen und rettete sich ohne Abzuschließen in den Schatten des Vordachs. Mit seinem Stofftaschentuch wischte er den Schweiß aus dem Gesicht.

      „Hey – Ihr Auto!“, rief ein mürrisch dreinschauender Frührentner.

      Walter vermutete, dass ihm sein Parktstil nicht gefiel und grummelte nur ein kurzes „Bin ja gleich wieder weg.“

      Doch der Mann gab keine Ruhe. „Schauen Sie doch! Ihr Auto – es rollt weg!“

      Walter erstarrte erst und drehte sich dann panisch um. Er hatte vergessen die Handbremse anzuziehen und sein Peugeot machte sich nun selbstständig. Ganz langsam rollte er die leicht abschüssige Straße hinunter. Noch nicht einmal Schrittgeschwindigkeit. Da vor ihm kein weiteres Auto parkte, war das aber kein Problem und Walter glaubte schon an ein gutes Ende, als plötzlich die Räder ohne erkennbaren Grund einschlugen, und den 205er auf einen geparkten kleinen Geländewagen zusteuerten. Gleichzeitig wurde er aber durch den Richtungswechsel immer langsamer, bis er fast still stand. Fast. Mit einem kaum wahrnehmbaren Schubser berührte Walters Peugeot die Anhängerkupplung des SUV, der noch nicht mal wackelte.

      Walter atmete erleichtert aus.

      KRABAMM

      Walters komplette Frontverkleidung löste sich und fiel scheppernd zu Boden. Ungläubig starrte er auf den Schaden.

      „Das kann man sicher ganz leicht reparieren“, mischte sich der unfreundliche Frührentner ein, als mit einem weiteren Krachen die Fahrertür aus ihren Angeln brach und neben dem Peugeot auf die Straße knallte. „Jetzt wird es wohl doch etwas teurer“, mutmaßte der alte Mann und nippte genüsslich an seinem Cappuccino.

      „Ist das ihr Schrotthaufen da hinter meinem Auto?“, fragte ein junger Mann in Arbeitskleidung und zeigte vorwurfsvoll auf Walters Wagen.

      „Das kann man sicher ganz leicht reparieren“, stammelte Walter apathisch, als es erneut krachte. Doch diesmal fiel nichts ab. Die vorderen Stoßdämpfer brachen zeitgleich durch das morsche Blech, an dem sie befestigt waren und der gesamte Wagen sackte gute zehn Zentimeter nach unten. Die vorderen Radkästen standen nun auf den Rädern auf.

      „Er ist von uns gegangen“, murmelte der Frührentner mitfühlend. „Mein herzliches Beileid.“

      „Scheißndreckn“, antwortete Walter.

      7

      Walter stand vor Liesls Kühlschrank und räumte hektisch den Einkauf ein. Es war bereits kurz nach drei Uhr und Liesl konnte jeden Moment ankommen. Es hatte sich wie eine Ewigkeit angefühlt, bis der Abschleppwagen vom ADAC gekommen war. Der Fahrer hatte Walters Peugeot recht unsanft aufgeladen. Die Bitte, etwas vorsichtiger mit dem 205er umzugehen, hatte er mit einem verständnislosen Kopfschütteln zur Kenntnis genommen. Dann waren sie zu Faxes Garage gefahren und hatten den Peugeot etwas abseits abgeladen. Daneben hatte der ADAC-Mann einen hübschen Haufen mit den abgefallenen Autoteilen aufgestapelt. Der Anblick hatte Walter die Tränen in die Augen getrieben. Faxe, der an diesem Samstag ein Yoga-Seminar in Roggenbeuren besuchte, hatte ihm am Telefon versprochen, so bald wie möglich einen Blick auf den Peugeot zu werfen. Walter kannte sich nicht mit Autos aus, aber er befürchtete das Schlimmste.

      Eglon strich um Walters Füße und miaute süß, lieb und hungrig, bis Walter ihm ein Futterbeutelchen in seinen Napf drückte.

      „Eine Diät würde dir auch nicht schaden“, brummelte Walter und streichelte dem dicken roten Kater den Kopf.

      „Noch ein Wort und du blutest“, zischte Eglon, was Walter natürlich nicht verstand. Balu, den Walter im Garten gelassen hatte, bellte zweimal. Das eindeutige Zeichen für Besuch. Er ging zur Eingangstür und öffnete sie in dem Moment, in dem Liesl mit ihrem Toyota vor der Garage zum Stehen kam. Walter ging auf das Auto zu und versuchte, sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen. „Herzlich willkommen zu Hause“, begrüßte er sie, als Liesl die Fahrertür öffnete. Sie stieg aus und umarmte Walter herzlich. „Es ist schön, wieder hier zu sein“, seufzte sie müde, „aber diese Hitze macht einen ja fertig. Da war es im Auto, dank Klimaanlage, wirklich angenehmer.“ Ihre Umarmung löste sich und Walter spürte wie kühl Liesls Haut war, als er sie flüchtig am Arm berührte. „Funktionieren diese Klimaanlagen wirklich so gut? Dann brauchen sie aber sicher wahnsinnig viel Energie?“, mutmaßte Walter. Doch Liesl widersprach. „Gar nicht mehr. Da hat sich viel getan in den letzten Jahren. Bei meinem Toyota brauche ich nicht mal einen halben Liter Benzin mehr auf hundert Kilometer, wenn die Klimaanlage auf Vollgas läuft. Aber was reden wir über sowas? Lass uns reingehen. Wehe, du hast kein Bier kalt gestellt.“

      Walter trug Liesls Koffer ins Haus, während diese im Schlafzimmer verschwand und kurze Zeit später in kurzen Hosen und einem frischen T-Shirt wieder auftauchte.

      „Gehen wir zu mir rüber“, sagte Walter. „Meine Terrasse hat schon Schatten, außerdem liegt das Bier bei mir Kühlschrank.“

      Sie machten es sich mit dem eiskalten Bier auf Walters Gartenstühlen bequem.

      „Jetzt erzähl mal“, begann Walter. „Wie war die Woche?“

      „Begonnen hat es katastrophal. Kurz vor Frankfurt hatte ich tatsächlich einen Platten und brauchte den Pannendienst. Dann hat es ewig gedauert, bis der neue Reifen drauf war, also kam ich viel zu spät im Hotel an. Die hatten dann die Küche schon zu und ich musste mich von den Erdnüssen in der Minibar ernähren. Erst am nächsten Morgen hab ich dann gemerkt, dass mein Handy leer war und ich hatte auch noch das Ladekabel vergessen. Ich sag es dir Walter: ich war sooooo wütend.“

      Walter musste schmunzeln. Deshalb hatte sie sich nicht gemeldet. All seine Bedenken waren umsonst gewesen.

      „Und mit deinen Freundinnen war es nett?“, fragte er und holte ein neues Bier aus dem Kühlschrank, da er die erste Flasche schon leer hatte. Er war mittlerweile auf die kleinen 0,33 Liter-Flaschen umgestiegen. Das hatte den Vorteil, dass das Bier leer war, bevor es warm wurde.

      „Natürlich. Wir hatten unseren Spaß. Wer uns beobachtet hat, hatte sicher den Eindruck, wir sind nicht ganz dicht, aber das hat uns noch nie gestört.“ Auch Liesl holte sich eine zweite Flasche, obwohl sie den Alkohol bereits spürte. „Aber erzähl mal, Walter. Gibt’s hier was Neues? Ein neuer Mord vielleicht?“

      „Oh Gott, nein“, hustete Walter, der sich an seinem Bier verschluckt hatte. „Alle sind wohlauf. Ach ja … bis auf meinen Wagen.“ Walter hatte seine Stimme gesenkt und blickte betrübt zu Boden.

      „Dein schöner 205er?“ Liesl konnte es nicht fassen. „Was ist denn passiert? Ein Unfall?“

      Walter erzählte ihr die ganze Geschichte und Liesl hörte aufmerksam zu. Sie wusste, wie sehr er an dem Fahrzeug hing, das ihm so viele Jahre treue Dienste geleistet hatte.

      „Hat Faxe sich denn schon bei dir gemeldet?“

      Walter schüttelte den Kopf und blickte betroffen auf sein Bier.

      „Da würde ich doch erst mal abwarten“, frohlockte Liesl, „vielleicht ist ja alles halb so schlimm!“

      Walter konnte ihren Optimismus zwar nicht teilen, doch die positive Energie tat ihm gut und er rang sich sogar ein Lächeln ab.

      „Du hast natürlich Recht. Und selbst im schlimmsten Fall geht die Welt nicht unter. Ich wusste immer, dass ich mir irgendwann mal wieder ein neues Auto kaufen muss. Vielleicht ist der Tag ja gekommen.“

      „Weißt du was, Walter? Als kleinen Trost lade ich dich zum Essen ein.“

      Walter