Stefan Mitrenga

Goschamarie Bauernsterben


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war, deshalb hatte sich früher immer seine Frau darum gekümmert. Seit sie nicht mehr lebte, hatte er viele wichtige Termine verpasst. „Ich nehme mir noch eins, wenn’s recht ist“, sagte Faxe und nahm die letzte Flasche aus dem ersten Kasten. Um Platz zu schaffen, stemmte er den leeren Kasten mit einem Arm hoch und trug ihn zum Tresen. Dabei spannten sich seine wohldefinierten Muskeln unter dem viel zu kleinen T-Shirt – eine dunkelhaarige Steuerfachangestellte zwei Tische weiter vergaß für zehn Sekunden zu atmen. „Bei meim Karra sottsch dänn au amol noch dia Brämsa gucke“, sagte Marie und stellte die Vesperteller für Theo und Peter auf den Tisch. „Kein Problem“, lächelte Faxe, „komm am Samstagnachmittag einfach kurz vorbei, dann schaue ich mir das an. Aber jetzt muss ich los. Marie, was bin ich schuldig?“ „Nix. Des Bier war von dene zwoi Wettkönig. Und fiers nahocka gucksch du mir noch meim Karra.“ Faxe war einverstanden und erhob sich, wobei er sofort wieder die Blicke aller anwesenden Frauen auf sich zog. Er warf die Haare zurück und verabschiedete sich in die Runde. „Macht weiter so. Viel Spaß noch!“ Der Blonden am Nebentisch lief ein dünner Speichelfaden aus dem Mundwinkel und die dunkelhaarige Steuerfachangestellte vergaß erneut zu atmen, während ihre Freundin hysterisch applaudierte. Walter sah Faxe hinterher. „Geiler Hintern“, dachte er und wunderte sich im selben Moment über seinen Gedanken. „Warum ist der eigentlich immer noch Single?“, murmelte Max und knipste das hintere Ende seiner Zigarre ab. „Die Frauen drehen alle durch, wenn er in der Nähe ist.“ „Zuuuu schee isch au it guat“, flötete Marie von hinten und räumte die halbleeren Vesperteller ab. Die Reste bekam jeder, in einer kleinen Tüte verpackt, mit nach Hause. „Ich zahle dann mal“, sagte Walter und holte seinen Geldbeutel heraus. Marie kassierte und brachte unaufgefordert eine Runde Schnaps. „Gaht aufs Haus! Nei demit!“ Da Marie den Schnaps wie immer im Sprudelglas servierte, brauchte Walter noch eine viertel Stunde bis er es leer hatte, dann verließ er gemeinsam mit Elmar und einer Tüte mit dem übrigen Rauchfleisch darin die Wirtschaft. „Machets guat, ziernet nix, kommet wieder!“, rief ihnen Marie hinterher.

      Beide schwankten etwas, als sie die Stufen vor der Wirtschaft hinuntergingen, aber Walter war ja zu Fuß da und Elmar hatte es nicht weit.

      Beide gingen zum Bach, um sich vor dem Nachhauseweg noch zu erleichtern.

      „Ich soll dich übrigens noch von Anne grüßen“, sagte Elmar über das Plätschern hinweg. „Sie rechnet am Samstag fest mit dir. Sie meinte, diesmal seien endlich mal wieder alle da.“

      Anne war das Küken ihrer kleinen Ermittlergruppe, die vor kurzem den Tod des Pfarrers aufgeklärt hatte. Außerdem war sie Elmars Freundin.

      „Danke! Grüß sie zurück. Ich werde kommen.“ Walter freute sich auf die kleine Runde, die sich immer samstags auf dem Ravensburger Wochenmarkt auf einen Kaffee traf. Leider hatte in den letzten Wochen immer jemand gefehlt, zuletzt Kripo-Hubert, dem der Blinddarm entfernt werden musste.

      Er verabschiedete sich von Elmar und machte sich in Schlagenlinien auf den Heimweg. Balu und Kitty hielten vorsichtshalber zwei Meter Abstand.

      „Heute hat er aber ganz schön einen sitzen“, lästerte Kitty und ahmte Walters Torkeln nach. „Lass ihn doch“, lachte Balu, „er hatte einen strengen Tag. Wenigstens scheint das mit seinem Auto ja glimpflich abzulaufen. Das hätte deutlich schlimmer kommen können.“ Dass es noch schlimmer kommen würde, konnte Balu in diesem Moment natürlich nicht wissen.

      4

      Das Schicksal der Welt lag in der Hand des Musikredakteurs von S4 Bodenseeradio. Ein gutes Lied kündigte einen tollen Tag an, ein schlechtes Lied war stets Vorbote von Katastrophen.

      Walter glaubte fest daran. Jeden Morgen war er ein paar Minuten vor seinem Radiowecker wach und wartete gespannt auf das musikalische Orakel. Endlich sprang die Zeitanzeige auf 2.30 Uhr und das kleine Gerät erwachte zum Leben. „Küss mich, halt mich, lieb mich“, trällerte Ella Endlich aus dem Plastiklautsprecher und entlockte Walter ein breites Grinsen. Er liebte dieses Lied, dessen Melodie aus dem alten Märchenfilm „Drei Nüsse für Aschenputtel“ stammte, außerdem war der Refrain seit kurzem Elmars Klingelton für Anrufe seiner neuen Flamme. Anne und Elmar hatten sich über Walter kennengelernt und waren seitdem unzertrennlich, was Walter sehr freute. Er liebte es, wenn Menschen glücklich waren und wenn er ehrlich war, war er seit einiger Zeit auch auf einem guten Weg. Seit Liesl neben ihm eingezogen war, verbrachten sie viel Zeit miteinander und vieles hatte sich für Walter zum Positiven gewandelt. Er freute sich wieder auf den nächsten Tag, genoss die Treffen mit seinen Freunden und machte zum ersten Mal seit langem wieder Pläne für die Zukunft. Liesl war stets Teil seiner Pläne, deshalb schmerzte es ihn umso mehr, dass sie bereits über eine halbe Woche weg war.

      Der Ausflug zu ihren Freundinnen nach Frankfurt hatte Walter überrascht, doch dass er sie so sehr vermissen würde, hätte er niemals erwartet.

      Walter schwang die Beine aus dem Bett und schlüpfte in seinen Morgenmantel. Angesichts der herrschenden Temperaturen hätte er ihn nicht gebraucht, aber er hasste es, sich nackt zu fühlen. Es ist schon Donnerstag, dachte Walter, und stellte zufrieden fest, dass Liesl bereits übermorgen wieder da sein würde. Trotz der Wärme feuerte er, wie jeden Tag, seinen kleinen Herd in der Küche an und stellte Kaffeewasser auf die Platte, bevor er für Balu die Gartentür öffnete und ein wenig Nassfutter in seine Futterschale gab.

      Als er fertig angezogen aus dem Bad kam, signalisierte ein leises Pfeifen, dass das Wasser kochte. Walter füllte es in seine französische Kaffeemaschine und öffnete die Haustür. Es vergingen nur wenige Sekunden bis Balu zweimal kurz bellte und Jussuf vor Walters Haus parkte.

      „Gute Morge Walter“, grüßte der Türke freundlich und nahm am Küchentisch Platz.

      „Du bist pünktlich wie ein Uhrwerk“, lobte Walter seinen Freund und goss ihm Kaffee ein.

      Die beiden kannten sich seit Walter den Job als Zeitungsausträger angenommen hatte. Jussuf transportierte die Zeitungen von der Druckerei zu den Austrägern und freute sich immer über ein frühmorgendliches Schwätzchen.

      „Isch Wahnsinn wie warm noch isch“, seufzte Jussuf und wedelte sich mit der Hand etwas Luft zu. „Und du machsch immer noch Feuer in Ofen.“

      „So schmeckt der Kaffee einfach am besten“, rechtfertigte sich Walter, verschwieg aber, dass er aus Sparsamkeit den Elektroherd nur ungern benutzte. „Aber sag mal Jussuf: geht heute nicht dein Deutschkurs los?“

      Jussuf hatte zu seinem letzten Geburtstag von seiner Frau einen Deutschkurs an der Volkhochschule geschenkt bekommen. Seit Jahren zog sie ihn damit auf, dass jedes Kleinkind besser deutsch sprechen könne als er, doch das hatte ihn nie gekümmert. Um den geschenkten Kurs kam er nun nicht herum, zumindest nicht ohne sich größeren Ärger mit seiner Frau einzuhandeln.

      „Ach hör auf, Walter. Wozu brauch isch Kurs? Alle verstehn misch, isch versteh disch … wozu?“

      Walter verstand seine Einstellung, aber etwas zu lernen konnte nie schlecht sein.

      „Jetzt warte es doch erst mal ab. Vielleicht macht es dir sogar Spaß.“

      Jussuf verzog das Gesicht. „Das glaub isch nisch. Aber gut: sind nur zehnmal – geht vorbei. Aber sag mal: wie is das bei dir? Wann is Liesls Urlaub vorbei?“

      „Morgen kommt sie wieder. Bin schon gespannt, wie es war. Seit sie weg ist, habe ich nichts von ihr gehört.“ Was ja eigentlich ein gutes Zeichen ist, dachte Walter, aber er hätte sich doch über ein paar kurze Nachrichten über Whatsapp gefreut. So gar nichts von Liesl zu hören, kam ihm komisch vor.

      „Ich muss dann, Walter“, sagte Jussuf und wischte sich den Schweiß von der Stirn, „sonst schmilzt noch der Gehirn!“

      „Das Gehirn …“, verbesserte Walter, doch Jussuf winkte nur ab.

      „Nach der Kurs weiß isch dann alles besser – wirscht sehn!“

      Beim Rausgehen zeigte Jussuf auf die leere Garage, deren Tor offen stand.

      „Wo isch dein Auto? Verkauft?“

      Walter erzählte ihm kurz, was passiert war und dass er es schon heute zurück bekommen würde.

      „Wenn doch nich mehr gut is, dann gehen wir