Stefan Mitrenga

Goschamarie Bauernsterben


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rolle mich auf ihnen ein. Fehlt dir das nicht?“ Eglon schaute verlegen zur Seite und leckte beiläufig an einer Vorderpfote. „Naja, ein bisschen schon. Vor allem nachts ist es komisch allein im Haus. Wenn Liesl da ist, schlafe ich immer wie ein Stein und bekomme nichts mit. Jetzt wache ich bei jedem kleinsten Geräusch auf.“ „Instinkte“, sagte Kitty, „die machen dich wachsam. Jetzt, wo du allein bist, musst du besser aufpassen. Aber hier passiert ja nichts.“ „Das möchte ich hoffen. Aber so ganz sicher bin ich mir da nicht.“„Was meinst du damit?“, hakte die Tigerkatze nach. „Seltsame Geräusche mitten in der Nacht. Oft nur ganz leise, aber sie sind da!“ Während er das sagte, war Eglons Stimme leiser geworden, bis sie fast nur noch ein Flüstern war. Balu lief es eiskalt den Rücken hinunter. „Ach, hör doch auf solche Schauergeschichten zu erzählen. Du willst uns doch eh nur auf den Arm nehmen! Die einzigen Geräusche, die du hier mitten in der Nacht hörst, sind Walter und ich, wenn wir uns mit den Zeitungen auf den Weg machen.“ Eglon schüttelte energisch den Kopf. „Quatsch. Ihr macht nachts keine Geräusche – ihr macht Lärm! Außerdem hab ich die Geräusche zu einer anderen Uhrzeit gehört. Ich weiß doch, wann Walter aufsteht. Glaubt mir: irgendwas schleicht hier nachts um die Häuser!“ „Vielleicht irgendein Wildtier“, mutmaßte Kitty. „Wildschweine haben wir genug hier in den Wäldern. Ich habe gehört, dass sie in manchen Gegenden schon bis in die Städte vordringen.“ „Das glaube ich nicht“, widersprach Balu. „Vor Jahren hatte sich tatsächlich mal ein Wildschwein in Walters Garten verirrt und das hast du deutlich gesehen. Alles war wie umgepflügt und gehört hast du das Vieh auch. Das würdest du nicht als Schleichen bezeichnen. Also war es sicher was anderes … etwas Eleganteres. Vielleicht ein Waschbär?“„Oder ein Wolf“, warf Kitty ein. „Walter hat neulich mit Liesl darüber gesprochen, dass in ganz Deutschland wieder Wölfe unterwegs sind.“ Balu stellten sich alle Nackenhaare. Auch er hatte Gerüchte gehört, dass Wölfe in der Nähe seien. Zwar war er als Hund mit dem Wolf verwandt, jedoch so weitläufig, dass der ihn als Beutetier betrachten würde. Keine sehr angenehme Vorstellung. Er schüttelte den Gedanken weg. „Hört auf so einen Blödsinn zu reden. Friss einfach etwas weniger, Eglon, dann schläfst du auch besser und bildest dir nicht so einen Mist ein!“ „Gar nichts bilde ich mir ein“, dementierte Eglon, „und das werde ich euch beweisen.“ Er stand auf und reckte arrogant seinen buschigen roten Schwanz. „Wir können ja Wetten abschließen, wen der böse Wolf als Ersten holt“, sagte er leise über die Schulter hinweg und verschwand zwischen den Jostabüschen.

      „Meinst du, er hat wirklich etwas gehört?“, fragte Balu, als er wieder alleine mit Kitty auf der Terrasse saß. „Warum nicht? Irgendwas ist da doch immer unterwegs, wenn man so nah am Wald wohnt. Ich würde mir aber keine Sorgen machen.“„Du hast gut reden“, entgegnete der Wolfsspitz, „du wohnst ja vorne mitten im Dorf. Da wird natürlich nie ein Wildtier rumschleichen, aber hier ist das was ganz anderes!“„Dann lass die Tür zu“, antwortete Kitty genervt. „Du kannst manchmal schon ein Weichei sein. Es ist doch bisher nichts passiert! Und du hast Schiss, weil Eglon vielleicht etwas gehört hat? Reiß dich bitte etwas zusammen, bevor es peinlich wird.“ Kittys Ansprache zeigte Wirkung und Balu beruhigte sich. Sie saßen noch mehrere Minuten schweigend nebeneinander, bis sie auf der anderen Seite des Hauses ein Auto hörten. Die Tiere liefen nach vorne und beobachteten, wie Walter und Faxe den alten Peugeot erst auf die Straße schoben, und dann mit einer Abschleppstange mit Faxes M-Klasse verbanden. Kurz darauf rollten beide Fahrzeuge in gemächlichem Tempo vom Hof.

      „Ich schaue auch mal wieder zu Hause vorbei“, sagte Kitty, während sie sich genussvoll streckte. „Kommt ihr heute Abend in die Wirtschaft?“ „Ich bin mir nicht sicher“, überlegte Balu, „aber nach der Geschichte mit seinem Auto wird Walter sich wohl ein paar Bierchen gönnen.“ Kitty rieb sich zum Abschied an seinem Hals und verschwand in Richtung Dorf. Balu ging zurück auf die Terrasse und legte sich ins weiche Gras. Egal was nachts passierte, im Moment schlich hier niemand herum.

      3

      Sein geliebter Peugeot 205 stand nun bei Faxe in der Werkstatt und wartete auf die Diagnose. Auch der KFZ-Meister hatte nicht auf Anhieb sagen können, woran es lag und Walter auf den nächsten Tag vertröstet, bevor er ihn nach Hause gefahren hatte.

      Dort erwartete ihn bereits Eugen, der ihm seinen Einkauf aus dem Lidl vor die Tür gestellt hatte.

      „Hab Ihre Sachen auf einen extra Zettel tippen lassen. Hier: macht siebzehn Euro und 28 Cent.“

      Der ehemalige Oberstudienrat reichte Walter den Kassenbon und wartete bis er seinen Geldbeutel geholt hatte. Walter nahm einen Zehneuroschein heraus, einen Fünfeuroschein, ein Zweieurostück und einen einzelnen Euro. Dann stutzte er und zog die Augenbrauen zusammen.

      „Moment“, sagte er und verschwand im Haus. Eugen hört ein leises Klimpern und Klappern, bevor Walter freudestrahlend wieder vor ihm stand. Er nahm ihm den Euro wieder aus der Hand und begann ihm exakt 28 Cent abzuzählen.

      „Sodele“, beendete Walter den Geldtransfer, „jetzt stimmt’s dann auch ganz genau. Wir wollen ja nicht, dass da einer schlecht dabei wegkommt, gell?“

      „Natürlich nicht“, entgegnete Eugen resigniert. „Ohne die 72 Cent hätten Sie demnächst wohl hungern müssen.“

      Er war schon auf dem Weg zu seinem Auto, als ihm ihre Abmachung einfiel.

      „Aber hungern müssen Sie ja so oder so nicht … sie laden mich ja zum Essen ein – wie ausgemacht. Ich freue mich schon drauf!“

      Walter wurde kreidebleich und stammelte ein paar nicht zusammenhängende Worte, doch Eugen grinste nur und fuhr vom Hof.

      Hatte Walter bis dahin noch Zweifel gehabt, so waren diese mit Eugen Heesterkamp verschwunden: er würde heute ganz bestimmt zur Goschamarie gehen. Nach so einem Tag halfen nur ein paar gute Freunde. Und Bier. Kurz überlegte er, ob er Liesl anrufen sollte, verwarf den Gedanken aber. Er wollte sie bei ihrem Ausflug nicht unnötig stören und es war ja nichts passiert, das einen Anruf erfordert hätte.

      Walter ging die Treppe nach oben in sein Schlafzimmer und zog sich bis auf die Unterwäsche aus. Ehrfürchtig öffnete er den Kleiderschrank. Neben seiner alten Lederhose hing eine wunderschöne neue. Zwar fehlte ihr noch etwas Patina, doch sie war ein echtes Schmuckstück. Vor zwei Wochen hatte er mit seinem Freund Manni einen Ausflug an den Chiemsee gemacht und dort, in einem der berühmtesten Trachtengeschäfte Bayerns, diese einzigartige Hose erstanden. Beim Bezahlen war ihm schwindelig geworden – vierhundertfünfzig Euro musste er hinblättern, obwohl der Preis schon heruntergesetzt war. Er strich andächtig über das helle Hirschleder und atmete den frischen Gerbgeruch ein. Ein wenig verschämt betrachtete er seine alte Hose, die verloren auf ihrem Bügel hing. Sie war noch vollkommen in Ordnung, aber inzwischen drei Nummern zu groß. Als er sie das letzte Mal getragen hatte, war sie ihm bei jeder Bewegung um die Hüften geschlackert. Doch er würde sie auf keinen Fall weggeben, obwohl er nicht vorhatte wieder zuzunehmen. Von den einstmals einundneunzig Kilo waren gerade mal achtundsiebzig geblieben und er fühlte sich so fit wie schon lange nicht mehr. Als er sich anzog, wusste er, dass er an diesem Abend kalorientechnisch eine Sünde begehen würde, doch das war Walter egal. Etwas Spaß muss schließlich sein, vor allem nach einem Tag wie diesem. Eine Viertelstunde später löschte er das Licht im Flur und machte sich auf den Weg zur Goschamarie.

      Balu hatte im Flur ungeduldig auf Walter gewartet und lief aufgeregt neben ihm her. Wie so oft wartete Kitty schon auf sie. Die Tigerkatze hatte die Beine unter ihren Körper geschoben und lag entspannt auf einem alten Heuballen. Ihre Augen waren soweit geschlossen, dass es aussah, als würde sie schlafen, doch tatsächlich war sie hell wach. Schon von weitem sah sie Balu und Walter kommen und setzte sich auf.

       „Da seid ihr ja endlich!“, rief sie erfreut. „Drinnen ist schon wieder gut was los.“ Balu begrüßte seine Freundin mit einem Nasenstupser, bevor sie Walter die Treppe hinauf folgten. Walter öffnete die Tür zur Gaststube und freute sich über die erstaunlich gute Luft im Raum. In den Wintermonaten sammelte sich der Zigarettenqualm unter der niedrigen Decke oft derart, dass einem das Atmen schwer fiel. Doch jetzt im Sommer waren alle Fenster weit geöffnet und der Rauchernebel konnte