Stefan Mitrenga

Goschamarie Bauernsterben


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bestellten sie sich für den Heimweg ein Taxi, da sie sich nach ihrer Pause nicht mehr auf dem Fahrrad halten konnten. „Stimmt es, dass unsere zwei Kindsköpfe heute wiederkommen?“, fragte Walter, während er sich zu seinen Freunden setzte. Kitty und Balu verschwanden auf ihren Stammplatz unter der Eckbank. „Sie haben es mal angedroht“, raunte Max, „ich bin mir aber nicht sicher, ob es nicht noch zu früh ist. Als ich Theo gestern besucht habe, konnte er noch kaum laufen!“ Theo und Peter wetteten ständig um irgendetwas, nur um am Ende den Wetteinsatz, in der Regel eine Kiste Bier, gemeinsam zu trinken. Doch diesmal war ihre Wette nicht so glimpflich verlaufen. Es hatte damit begonnen, dass Peter einen Routinetermin beim Urologen hatte, der ihm eine prächtige Verfassung in allen Belangen attestiert hatte. Damit hatte Peter am Stammtisch geprahlt, woraufhin Theo ihn zu einem Wettpinkeln herausgefordert hatte. Das Pinkelduell wurde dann kurzerhand auf einer nahen Viehweide ausgetragen. Es ging darum, den Strahl möglichst lange am Laufen zu halten. Wer zuerst eine bestimmte Markierung unterschritt, hatte verloren. Diese Markierung war ein Viehzaun. Keiner der beiden wusste, dass der Zaun noch unter Strom stand, und so war die Überraschung groß, als beiden zeitgleich der Saft ausging und ihr Urinstrahl den Draht berührte. Der Strom fuhr ihnen mit zigtausend Volt in den Unterleib und brachte ihre Hoden fast zum Leuchten. Beide lagen auf dem Boden und krümmten sich vor Schmerzen. Der Notarzt nahm sie mit ins Krankenhaus, wo sie unter anderem mit Antibiotika behandelt wurden, um eine Entzündung der Hoden zu vermeiden, die innerhalb kürzester Zeit auf die Größe von Orangen angeschwollen waren. „Griaß di Walter! Do hosch scho mol deine zwoi Bier“, begrüßte Marie Walter und stellte ihm zwei geöffnete Flaschen Bier auf den Tisch. „Wie sieht’s dänn mitm Hunger aus? Bischt ja grad doch alloi do hinda, seit d’Liesl futt isch.“ Walter wunderte sich nicht, dass jeder über Liesls Abwesenheit Bescheid wusste – so war das nun mal in Taldorf: der Dorffunk funktionierte immer. „Ich nehme ein Vesper, wenn’s recht ist, Marie. Und … hast du vielleicht noch zwei hartgekochte Eier?“ Marie verstand Walters Anspielung auf die zwei Wettkönige sofort. „Aber natierlich, gern. Oier sind scho äbbs richtig guats.“ Mit einem breiten Grinsen verschwand sie hinter dem Tresen, während - wie aufs Stichwort - Theo und Peter hereinkamen. Sie watschelten breitbeinig in die Gaststube, wie Cowboys nach einem harten Ritt und jeder hatte ein rundes Kissen unter dem Arm. Walter kannte diese Art von Kissen noch von seinem Onkel, der fürchterlich an Hämorrhoiden gelitten hatte. Durch das Loch in der Mitte ähnelte das Kissen einem riesigen Donut, brachte aber Menschen mit Schmerzen in einem ganz bestimmten Bereich Erleichterung. Alle beobachteten gebannt wie Theo und Peter sich vorsichtig - fast in Zeitlupe - auf ihre Kissen sinken ließen. „Na – ändlich sind meine zwoi Buaba wieder do“, begrüßte Marie die beiden Männer und klopfte ihnen von hinten kräftig auf die Schultern. Sie zuckten vor Schmerz zusammen und versuchten Maries grober Hand zu entkommen. „Bitte nicht, Marie. Hör auf!“, winselte Peter, dem die Luft wegblieb. „Wa isch los? Henders it räat?“, frotzelte Marie, während sie beide herzhaft umarmte und drückte. Peter und Theo stiegen vor Schmerz Tränen in die Augen, doch Marie war unbarmherzig. „Wie ka ma au blos so an Scheißdräck macha, hä?“ Sie sah beiden streng in die Augen, dann ließ sie von ihnen ab und baute sich mit den Händen in den Hüften vor ihnen auf. „Was darfs denn jetzt sei, ihr Pinkelprofis? Mir hettet heit verlorene Oier, russische Oier, gkochte Oier, Spiegeloier, Rieroier … oder a ganz normals Veschper …“ „Wir haben verstanden“, grummelte Theo. „Normales Vesper, ohne Eier!“, ergänzte Peter. „Und zwei Kästen Bier …. wir haben uns auf ein Unentschieden geeinigt und da zahlen nach unseren Regeln beide!“ Marie schüttelte den Kopf, als sie in Richtung Tresen lief, um die zwei Kisten Bier zu holen. Die anderen jubelten und freuten sich über das Freibier. „Schön, dass ihr wieder da seid“, begrüßte Walter seine Freunde und gab jedem vorsichtig die Hand. „Ja, das war diesmal wirklich nicht clever von uns“, gestand Peter. „Aber wer konnte denn ahnen, dass auf dem rostigen Draht noch Strom drauf ist?“ „Schlimme Sache … ei, ei, ei“, flachste Max und erntete dafür von Theo einen bösen Blick. „So, do hender dia Kischta!“, schnaufte Marie und wuchtete beide Kisten auf den Stammtisch. „Fier dia zwoi Herra it vielleicht doch an Oierlikör?“ Wenn Blicke töten könnten, dachte Walter, als er beobachtete, wie Theo und Peter die Wirtin anstarrten. „Kommt jetzt“, beruhigte Walter die Szene, „hört mal auf mit der Schadenfreude. Ich glaube, die beiden haben schon genug gebüßt. Trinken wir lieber auf das großartige Unentschieden!“ Walter nahm eine frische Flasche aus dem Kasten und öffnete sie mit Hilfe einer Zweiten. Dass er bereits zwei geöffnete Flaschen vor sich stehen hatte, war ihm egal. Er reckte sie in die Höhe und die anderen taten es ihm gleich. „Prost!!!“, tönte es fröhlich durch die Wirtschaft und lediglich die beiden hartgekochten Eier auf Walters Vesperteller, die mit einem Essiggürkchen in eindeutiger Pose angerichtet waren, sorgten noch einmal für böse Blicke. „Das tut jetzt richtig gut mit euch hier zu sein“, seufzte Walter, als er sein viertes Bier öffnete. „Hatte heute einen total beschissenen Tag.“ „Was ist passiert?“, fragte Elmar und zündete sich genüsslich eine Zigarette an. „Mein Peugeot hat mich im Stich gelassen. Zum ersten Mal. Er wollte einfach nicht anspringen. Faxe hat ihn in seine Werkstatt geschleppt und kümmert sich drum. Hoffe mal, es wird nicht zu teuer.“ „Ach was“, winkte Elmar ab, „du kennst doch Faxe. Der macht dir sicher den besten Preis, der möglich ist. Kannst ihn ja gleich selber fragen.“ Elmar zeigte zur Tür durch die Faxe gerade die Gaststube betrat. Während die meisten Männer im Raum ihm nur einen kurzen Blick zuwarfen, stierten ihn die wenigen Frauen unverhohlen an. Faxe war nicht nur ein begnadeter Automechaniker, er war auch der fleischgewordene Traum jeder Frau zwischen fünfzehn und fünfundvierzig. Er war einen Meter neunzig groß, hatte dunkle schulterlange Haare und das markante Gesicht einer römischen Statue. Seine fast schwarzen Augen lagen tief in den Höhlen und funkelten geheimnisvoll. Offenbar kam er direkt aus der Werkstatt, denn er trug noch seine Latzhose, darunter ein verschmiertes ärmelloses T-Shirt, das seinen muskulösen Oberkörper nur notdürftig bedeckte. Die Dreck- und Ölflecken auf seinen verschwitzten Armen zeugten von seiner harten Arbeit. Er schaute sich kurz um und kam direkt zum Stammtisch. „Dachte ich mir doch, dass ich dich hier finde“, sagte er zu Walter und setzte sich auf den Stuhl neben ihm. „Ich habe vorhin doch noch deinen Wagen auf die Bühne genommen.“ Jetzt war Walter gespannt. Grundlos war Faxe sicher nicht nach Taldorf gekommen. „Und? Kriegst du ihn wieder hin?“ Faxe deutete fragend auf die Bierkästen auf dem Tisch und Walter nickte ihm aufmunternd zu. „Alles halb so wild“, beruhigte er Walter, „diese kleinen Dieselmotoren sind nicht tot zu kriegen. Das Vorglührelais ist am Arsch. Deshalb startet er nicht. Das kann ich dir aber günstig reparieren.“ Er öffnete sein Bier am Rand des Bierkastens und trank mit dem ersten Zug die halbe Flasche leer. „Was verstehst du unter günstig?“, fragte Walter unsicher, da er keine Ahnung von Autoreparaturen hatte. „Hundert für das Teil und hundert für den Einbau. Für Zweihundert Euro ist alles wie neu.“ Fast hätte Walter sein Bier über den Tisch geprustet, doch er konnte es gerade noch schlucken und rang jetzt nach Luft. Er wusste, dass das mit Sicherheit ein guter Preis war, trotzdem schmerzte ihn der Gedanke, so viel Geld für eine Reparatur auszugeben. „Aber da ist noch was“, sagte Faxe beiläufig und warf dabei seine Haare über die Schulter. Eine hübsche Blonde am Nachbartisch bekam Schnappatmung. „Du hast keinen TÜV mehr. Seit über einem Jahr.“ „Aber ich war doch bei dir zum Kundendienst und da hast du den TÜV doch gleich mitgemacht“, erinnerte sich Walter. „Das war vor drei Jahren, Walter. Seitdem habe ich deinen Peugeot nicht mehr gesehen.“ Autsch. Das hatte gesessen. „Und was machen wir da?“, erkundigte sich Walter vorsichtig. „Ich mache dir morgen das neue Relais rein, dann kannst du für Montag einen Termin beim GTÜ in der Weststadt machen.“ „Krieg ich da keinen Ärger, wenn ich den Termin so überzogen habe?“ „Nee. Du wirst ne kleine Strafgebühr zahlen müssen, aber das war es dann. Außer sie haben irgendwas zu beanstanden.“ Walter verstand nicht. „Was sollten die zu beanstanden haben? Der Wagen ist doch gepflegt und auch wirklich noch nicht alt!“ „Naja“, druckste Faxe herum und spielte unsicher mit einer langen Haarsträhne. „Also ich hatte ihn ja vorher auf der Hebebühne und da kam er mir an manchen Stellen ganz schön morsch vor.“ „Du spinnst ja“, blaffte Walter, „der ist in allerbestem Zustand. Garagenwagen, nur Handwäsche … der ist garantiert in bestem Zustand. Die könnten mir die Prüfplakette eigentlich auch direkt mit der Post schicken.“ Faxe hob abwehrend die Hände und versuchte Walter zu beruhigen. „Alles klar, Walter, alles klar. Wird schon alles in Ordnung