Stefan Mitrenga

Goschamarie Bauernsterben


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Schultern. „Der weiß wenigstens, wie die Hase lauft.“

      „Wie der Hase läuft …“, verbesserte Walter.

      „Ja, dem auch.“

      Walter verzichtete auf weitere Korrekturen und verabschiedete sich von Jussuf, der kurz darauf winkend vom Hof rollte.

      Walter genoss die Ruhe der Nacht, während er von Haus zu Haus fuhr und seine Zeitungen verteilte. Begonnen hatte er in Dürnast und Alberskirch und fuhr nun über die Höh nach Wernsreute. Obwohl sich sein Handkarren fast ohne Widerstand schieben ließ, kam Walter an der Steigung ins Schwitzen. Die Straße hieß nicht umsonst „Auf der Höh“. Den dreirädrigen Karren hatte er erst vor wenigen Wochen auf einem Flohmarkt gekauft. Er war ein echter Glücksgriff gewesen. Zwar stellte sich heraus, dass der Händler ihn über den Tisch gezogen hatte, doch das Gerät tat treu seinen Dienst und war für Walter ideal, da er so seinen Job als Zeitungsausträger gleichzeitig als Lauftraining nutzen konnte.

      Walter lief der Schweiß in die Augen, was weniger an der Anstrengung, als an den vorherrschenden Temperaturen lag. Seit Wochen kletterte das Thermometer jeden Tag über dreißig Grad, wodurch auch die Nächte immer wärmer wurden. Der letzte Regen war verdunstet, bevor er den Boden erreicht hatte und hatte für eine schier unerträgliche Schwüle gesorgt. Auch die Wälder waren staubtrocken und so war die Waldbrandgefahrenstufe auf das Maximum gesetzt worden.

      Während Walter sich weiter bergauf kämpfte, betrachtete er die Häuser, die hier in den letzten Jahren neu gebaut worden waren. Er musste zugeben, dass er nicht einen einzigen ihrer Bewohner kannte. Da sie keine Zeitung abonniert hatten, kannte er nicht mal ihre Namen. So sollte es auf dem Land eigentlich nicht sein, grübelte Walter. In der Stadt mit den Wohnblocks und den anonymen Betonbunkern war das normal, aber hier in der Gemeinde? Er nahm sich vor, in Zukunft etwas aufmerksamer zu sein und ein paar Erkundigungen über die neuen Gemeindemitglieder einzuholen.

      Am Ende ihrer nächtlichen Tour erreichten sie Taldorf. Balu trottete locker voraus, während Walter die Zeitung bei Eugen Heesterkamp, der das alte Schulhaus bewohnte, in das dafür vorgesehene Rohr schob. Durch die Hecke hindurch hörte er Eugens Schildkröte in ihrer Kiste schnarchen. Sie hatten sich erst kürzlich kennengelernt und Balu besuchte Ulf, den Schildkröter regelmäßig. Genauso wie Bimbo, den Haflingerwallach, der wegen seiner schmerzhaften Arthrose in den meisten Nächten nicht schlafen konnte.

      „Hey Flohfänger“, bollerte Bimbo zu seiner Stalltür heraus, „heute seid ihr aber spät dran!“„Müsstest du diese Runde laufen, würdest du unterwegs verenden“, konterte Balu, der Bimbos Anspielung auf ihr langsameres Tempo natürlich verstanden hatte. „Sogar nachts ist es so warm … so was habe ich noch nicht erlebt.“„Da kann ich mich auch nicht dran erinnern“, bestätigte Bimbo, der stolz darauf war (fast) das älteste Tier im Dorf zu sein. Nur Eugens Schildkröter Ulf war älter. „Sie ernten überall schon den Winterweizen. Viel früher als sonst. Und der Mais macht vielerorts am Verdursten rum und wächst nicht mehr.“ Balu hatte das sich anbahnende Drama auf vielen Feldern gesehen und ahnte, dass es für manchen Landwirt nach diesem Sommer nicht leicht werden würde. „Jetzt wurde wegen der Wasserknappheit sogar das Abpumpen aus Bächen und Flüssen verboten“, wusste Bimbo. „Ich hab es neulich von Hermann gehört, als er mit seiner Frau geredet hat. Jetzt kann er seine Pflanzen mit Leitungswasser gießen, aber das kostet natürlich ein Schweinegeld. Und wenn das Wasser noch knapper wird, werden sie das auch noch verbieten. Es sind schon verrückte Zeiten!“ Der korpulente Wallach schüttelte frustriert den Kopf. „Es wird schon nicht so schlimm werden“, beruhigte Balu das Pferd, und freute sich, dass Bimbo heute so handzahm war. Der Haflinger war chronisch schlecht gelaunt und beschimpfte lautstark alles und jeden. Doch nicht an diesem Tag. „Ich schau mal, dass ich nach Hause komme“, sagte Balu, als Walter aufgeholt hatte. „Da hinten dämmert es schon. Bis morgen, Bimbo!“ Tatsächlich war bereits ein silberner Streif am östlichen Horizont über dem Hummelberg zu sehen, als Walter bei der Goschamarie den Schnaps vom Fenstersimsen nahm. Sogar der war warm, doch er leerte das kleine Glas in einem Zug. Glücklich aber erschöpft machten sie sich auf den kurzen Heimweg und freuten sich auf den Feierabend. Keiner der beiden bemerkte das Augenpaar, das sie aus Liesls Garten heraus beobachtete.

      5

      Der Freitag kam ohne Überraschungen aus. Eine angekündigte Gewitterfront verpuffte harmlos und brachte keinerlei Abkühlung oder gar Niederschlag. Walter war nach dem Aufstehen direkt duschen gegangen, doch bereits nach wenigen Minuten hatte sein frisches Hemd Schweißflecken.

      Am frühen Nachmittag hatte er seinen Peugeot in Faxes Werkstatt abgeholt, der jetzt wieder ohne zu zögern ansprang. Der Motor schnurrte wie am ersten Tag. Trotzdem ärgerten ihn die zweihundert Euro. Hinzu kamen am Montag noch die Kosten für den TÜV. Walter hatte tatsächlich noch einen kurzfristigen Termin bekommen. Nach Faxes Bedenken hatte er seinen 205er noch einmal gründlich untersucht, aber nichts gefunden, was ihn beunruhigt hätte – aber er war ja auch kein Mechaniker.

      Am späten Nachmittag gab er den Pflanzen im Garten Wasser, die er dazu auserkoren hatte, zu überleben. Was nicht gegossen wurde, ging bei dieser Hitze jämmerlich ein. Auch bei Liesl kümmerte er sich um die wichtigsten Pflanzen. Sie hatte ihm dazu genau Anweisungen gegeben. Seinen Rasen hatte er schon längst aufgegeben - große Flächen waren bereits vertrocknet.

      Während Walter gefühlte hundert Mal mit der Gießkanne durch den Garten rannte, machten es sich die Tiere am Rand der Terrasse im Schatten gemütlich.

      „Wo steckt die Tigerlady?“, fragte Eglon und zog eine Pfote zurück, die in der Sonne lag. „Keine Ahnung“, nuschelte Balu, ohne sich zu bewegen. „Irgendwo im Schatten!“ Ein Rascheln zwischen den Jostabüschen ließ beide Tiere aufblicken. Als sie den Besucher erkannten, war die Freude groß. „Seppi – da bist du ja wieder“, rief Balu und tänzelte um den kleinen Igel herum. Eglon begrüßte ihn mit einem Kopfnicken, blieb aber auf Abstand. Ihre Beziehung war etwas schwierig. „Hab doch gesagt, ich komme wieder. Ich wollte nur sicher gehen, dass Mandy und die Kinder gut im Osten ankommen.“ Seppis Freundin Mandy hatte unter Liesls Grill vor ein paar Wochen vier kleine Igel zur Welt gebracht. Wie bei Igeln üblich, gingen nun alle ihre eigenen Wege. Mandy war den Kleinen dabei noch behilflich und hatte sie in ihre Heimatgegend im Osten des Tals gebracht. Seppi hatte sie auf diesem Weg begleitet. Seine schnelle Rückkehr bedeutete nichts Gutes. „Ich sag’s euch: es ist sooooo herrlich hier! Kein Gemecker, kein Geplärre einfach nur …“, er suchte das passende Wort, „ … Harmonie!“ Eglon und Balu sahen sich ratlos an. Ihr stacheliger Freund war ihnen vor seiner Abreise mit seiner kleinen Familie ganz glücklich vorgekommen, dass er darunter gelitten hatte, war ihnen neu. Seppi schlenderte zum Katzenfutter und nahm andächtig ein paar Happen. „Alles für mich. In aller Ruhe. Ohne Streit.“ Bei jedem Bissen verdrehte er genießerisch die Augen. „Du erinnerst dich aber schon daran, dass das Katzenfutter eigentlich für Katzen da ist?“, stichelte Eglon, doch Seppi ignorierte ihn. „Nach allem was deine Mandy erzählt hat, soll es da im Osten doch so schön sein“, erinnerte sich Balu. Warum warst du dann nur so kurz dort?“ „Du hast keine Ahnung, wie es da aussieht“, sagte der kleine Igel und nahm noch einen Happen. „Mandy hat immer von dem tollen Zusammenhalt in der Familie erzählt und den blühenden Landschaften. Hey – ich dachte, ich lerne das Paradies kennen. Aber Pustekuchen!“ Seppi hatte sich in Rage geredet. „Wisst ihr, warum die da im Osten so zusammenhalten? Weil sie sonst nicht überleben würden. Die blühenden Landschaften? Büsche, Wald und magere Wiesen … such da mal dein Fressen zusammen. Das ist richtig mühselig. Nie wieder gehe ich dahin.“Irgendetwas schien den kleinen Igel plötzlich am Bauch zu jucken, denn er kratzte sich ausgiebig. „Und jetzt, liebe Freunde, gehe ich rüber unter den Grill und mache erst mal ein Nickerchen. Ohne gestört zu werden.“Seppi machte kehrt und verschwand unter einem der Jostabüsche. Zurück blieben ein verdutzter Hund und eine ratlose Katze. Igel waren nicht einfach zu verstehen.

      6

      Natürlich vertraute Walter Faxes Fähigkeiten als Automechaniker, trotzdem schickte er ein kurzes Stoßgebet gen Himmel, bevor er den Schlüssel im Zündschloss drehte.

      Brumm.

      Der