Stefan Mitrenga

Goschamarie Bauernsterben


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die Dusche. Ich hol dich um sechs Uhr ab.“

      Noch ehe Walter etwas erwidern, konnte leerte Liesl ihr Bier, stellte die Flasche beiseite und drückte ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange.

      „Bis später“, rief sie über die Schulter, dann verschwand sie in ihrem Haus.

      „Sie hat ihm gefehlt“, stellte Kitty fest, die mit Balu im Schatten lag. „Ja, sie tut ihm einfach gut“, bestätigte der Wolfsspitz. „Wegen so was hätte Walter sich früher wochenlang aufgeregt. Sein Blutdruck wäre so in die Höhe geschnellt, dass ihn jeder Arzt sofort eingewiesen hätte. Aber seit Liesl da ist, beruhigt er sich schnell wieder. Die beiden reden kurz drüber, sie spendiert eine Portion Optimismus und alles ist gut.“

      8

      Liesl stand pünktlich um sechs Uhr vor Walters Terrassentür. Sie hatte so wenig Stoff am Körper, wie es vertretbar war. Das Thermometer zeigte noch immer einunddreißig Grad an. Walter hatte sich trotz der Hitze in seine Lederhose gequält, aber sein dünnstes Hemd gewählt.

      Schwitzend liefen sie auf der Straße ins Dorf. Balu trottete hechelnd neben ihnen her.

      „Sieht ja schlimm aus“, sagte Liesl und deutete auf die Wiese neben der Straße. „Das hat sich in der letzten Woche noch mal verschlechtert.“

      „Trostlos“, stimmte Walter zu. „Die Bauern haben vor zwei Monaten das letzte Mal gemäht, seitdem ist das Gras nicht mehr gewachsen. Es ist einfach zu trocken. Selbst wenn es jetzt mal regnen würde, wäre es für viele Wiesen zu spät – das Gras ist schon verdorrt.“

      Eigentlich ist die Landschaft in Oberschwaben eine der schönsten in ganz Deutschland, doch in diesem Jahr verwandelte die Hitzewelle die ansonsten saftig grünen Wiesen und Felder in kontrastlose braune Staubteppiche. Kein gutes Jahr für die Landwirtschaft.

      Anscheinend brauchen die Menschen bei dieser Hitze auch mehr zu trinken, dachte Walter, als sie den vollgestellten Parkplatz vor der Goschamarie erreichten. Die Autos nutzten kreuz und quer jeden noch so kleinen Flecken und die Zwischenräume waren mit Fahrrädern gefüllt. Auf der Treppe zur Eingangstür hatte sich eine Schlange gebildet, und am Bach gegenüber pinkelten die Männer zielsicher aus der zweiten Reihe.

      „Ich fürchte, das wird heute nichts“, sagte Walter betrübt. „Hier geht’s ja zu wie im Sommerschlussverkauf.“

      Auch Liesl starrte ungläubig auf die Massen an Fahrzeugen und die lange Schlange am Eingang. Sie wollte gerade kehrt machen, als sie Marie am offenen Fenster entdeckte, die ihnen hektisch zuwinkte.

      „Weißt du, was sie will?“, fragte sie Walter, der aber nur mit den Schultern zuckte.

      Kurz darauf kämpfte sich Marie durch die Schlange nach draußen und nahm Liesl bei der Hand.

      „Wär jo no scheener, wenn ihr koin Platz hettet. Jetzt kommet amol mit.“

      Marie zog Liesl hinter sich her in die Wirtschaft, Walter und Balu versuchten ihnen zu folgen. Bis auf zwei Tische mit einem „Reserviert“-Schild war alles belegt. Walter steuerte automatisch auf die freien Plätze zu, doch Marie zog ihn zur Seite.

      „Die sinn wirklich räserviert. Da kasch it nahocka“, erklärte Marie, während sie Walter und Liesl vor sich her schob. Vorbei am Stammtisch, an dem ein paar ältere Taldorfer saßen. Von Walters Freunden waren nur Max und Elmar da, die in ein Gespräch mit Karle aus Alberskirch vertieft waren, der sich gerade einen riesigen Berg Schnupftabak auf den Handrücken geschüttet hatte.

      An einem Ecktisch blieb Marie stehen und schaute die beiden Pärchen, die dort saßen, streng an.

      „Fier eich wird’s jetzt dänn go Zeit! Leertrinka, zahla, aufstanda. Auf gahts, machet Platz, jetzt kommet räate Gescht!“

      Die vier Angesprochenen schauten sich verdutzt an, bezahlten aber ohne Widerspruch und machten sich auf den Heimweg. Walter musste schmunzeln, denn er wusste, dass viele der Gäste genau das von Marie erwarteten. Nach so einem Rausschmiss würden sie in einer normalen Gaststätte auf die Barrikaden gehen und sich bitter beschweren. Hier war es nur eine weitere lustige Geschichte von der Goschamarie, die sie mit Stolz weiter erzählen würden.

      „Hocket eich nah“, sagte Marie und wischte mit einem Abtrockner flüchtig über den Tisch. „Walter, bei dir Bier und Vesper? Und was derf i Ihne bringe, Liesl?“

      „Ich nehme das Gleiche“, strahlte sie. „Ich habe Hunger wie ein Bär!“

      „Denn leg i no a äkschtra Gierkle drauf, it dass Sie mir hungrig Hoim ganget!“

      „Für wen reservierst du denn am Samstagabend zwei Tische zur besten Zeit? Das muss ja jemand ganz besonderer sein …“, fragte Walter beiläufig, denn Marie reservierte nur ungern zu den Stoßzeiten.

      „Hosch recht. An bsondre Gascht kriaga ma heit. Dr King kommt, und hot glei zwoi Tisch bschtellt!“

      Walter pfiff anerkennend durch die Zähne. „Schau an. Dann wird das hier wohl ein Szenelokal.“

      „Pffff …“, schnaubte Marie, „Ka mir gschtohla bleiba där Kerle. Aber heit hend se so a Bauraträffa. Irgendwia kommet alle unsere Großbaura wohl dazua. Da ka i dänn au it noi sage.“

      Der „King“ war der Besitzer von King Immobilien in Ravensburg und hieß mit bürgerlichem Namen Andreas König, doch niemand nannte ihn so. Sein besonderes Talent bestand darin, normales Ackerland in teuren Baugrund zu verwandeln. Er hatte die richtigen Kontakte und konnte aus fast jeder Wiese einen lukrativen Wohnpark machen. Jedem war klar, dass da nicht alles mit rechten Dingen zuging, doch bisher hatte ihm niemand etwas nachweisen können. Im Gegenteil: der King hatte zwei Unterlassungsklagen gegen einen regionalen TV-Sender und eine Zeitung gewonnen, die ihm öffentlich Bestechung vorgeworfen hatten. Der King verstand bei solchen Dingen keinen Spaß.

      Als er kurz darauf die Gaststube betrat, richteten sich alle Blicke auf ihn. Schon seine Person war respekteinflößend: mit knapp zwei Metern Körpergröße überragte er die Meisten um Haupteslänge. Unzählige Stunden im Solarium und regelmäßige Kurzstrips auf Mallorca hatten seine Haut zu dunklem Leder gegerbt, das schwarze Haar war schulterlang und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er erinnerte ein wenig an einen keltischen Krieger in einem billigen B-Movie.

      Sein Erscheinen bei der Goschamarie konnte nur bedeuten, dass demnächst in Taldorf oder Umgebung gebaut wurde, denn der King besuchte freiwillig keine Dorfkneipe - meist war er nur in teuren Szenerestaurants anzutreffen. Dazu passten auch seine Gäste, die nach und nach eintrafen und sich zu ihm setzten. Der King hatte die größten Landwirte der Umgebung eingeladen: Hermann aus Taldorf war dabei, genauso wie Josef aus Hergottsfeld und Xavier aus Wernsreute. Aber auch Oskar, Georg und Martin waren anwesend, obwohl sie eher kleinere Höfe bewirtschafteten.

      Walter wunderte sich, dass sich auch Karl-Heinz zu dieser illustren Runde gesellte.

      „Wie passt denn der dazu?“, fragte er Marie, als sie ihre Getränke brachte.

      „Ha, dr Karl-Heinz isch doch oigentlich oiner vo dia greeschte Baura in Taldorf“, erklärte sie. „Dia maischte wisset des blos it. Der hot fascht älle seine Flächana verpachtet und treibt sälber kaum me äbbes um.“

      Walter kannte Karl-Heinz nur durch seinen Honigverkauf. Er mochte ihn nicht, da Karl-Heinz oft etwas ungepflegt war. Auch heute hatte er wieder Essensreste im Bart kleben. Eigelb, vermutete Walter.

      Zwei weitere Personen drängten sich zum Tisch des King durch. Vornweg der Anlageberater der Bank in Bavendorf, Ralf Riedesser, ihm folgte der Orts-Vincenz, der Ortsvorsteher von Taldorf. Riedesser, der Walter mit seiner dicken Brille und der geduckten Haltung immer an einen Maulwurf erinnerte, setzte sich unauffällig, während der Orts-Vincenz mit breitem Lokalpolitikerlachen das ganze Lokal begrüßte.

      „Muscht wieder a Show abzieha, Vincenz?“, begrüßte Marie den Lokalpolitiker und drückte ihm seinen Trollinger in die Hand, den er immer bestellte.

      „Goht des heit älles wieder uff d’Gmoind? Oder zahlsch du a mohl sälber?“

      „Aber nicht doch“, entrüstete sich der Orts-Vincenz. „Das übernimmt heute der King …. ähm,