Stefan Mitrenga

Goschamarie Bauernsterben


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      Nach dem ersten Schrecken hatte Walter Liesl dazu geholt, und gemeinsam saßen sie nun auf der Terrasse und lauschten gebannt den Erzählungen ihres Freundes. Die Tiere hatten sich im Halbkreis im Gras niedergelassen.

      „Was genau passiert ist, wissen wir leider noch nicht. Es gab keine Zeugen. Seine Frau Edith sagte uns, er sei gestern Abend ungefähr um acht Uhr nochmal losgefahren, um den Acker dort oben zu pflügen…“

      „Das stimmt“, unterbrach Walter, „er ist an uns vorbei gefahren, als wir von der Goschamarie heimgelaufen sind.“

      Hubert nahm Walters Bestätigung nickend zur Kenntnis und fuhr fort.

      „Sie sagte, dass das durchaus normal sei. Gerade in so heißen Sommern wie diesem, nutzen die Bauern gern die etwas kühleren Abendstunden. Als Hermann dann um elf Uhr aber immer noch nicht zu Hause war, machte sie sich doch Sorgen. Zuerst ging sie zur Goschamarie, da ihr Mann dort auch mal ganz gerne hängen blieb, traf ihn aber nicht an. Also fuhr sie mit ihrem e-Bike hoch zu dem Acker am Hummelberg und fand ihn. Sein Traktor hatte ihn überrollt und ziemlich übel zugerichtet. Edith erkannte auf den ersten Blick, dass es nicht gut aussah und rief den Notarzt. Der Motor vom Traktor lief sogar noch, als der Rettungswagen eintraf. Der Arzt konnte nichts mehr machen. Sah echt schlimm aus. Tut mir sehr leid für Edith, dass sie ihren Mann so sehen musste.“

      Alle drei schwiegen, da jeder seinen Gedanken nachhing.

      Walter dachte an die vielen schönen Momente, die er mit Hermann verbracht hatte, der auch ein Künstler an der Ziehharmonika gewesen war. Er hatte so manche Festgesellschaft zum Schunkeln gebracht und wenn er zu seinem Spiel gesungen hatte, hatten alle an seinen Lippen geklebt.

      Kripo-Hubert grübelte, wie er den Tathergang rekonstruieren sollte, da er keinerlei Zeugen hatte. Er fragte sich, ob es überhaupt Sinn machte, die Leiche zur Obduktion zu schicken. Ein Blick genügte und die Todesursache war klar, vor allem weil der Traktor noch auf Hermanns Leiche stand.

      Liesl kannte Hermann zu wenig, um tief betroffen zu sein. Dafür war sie noch nicht lange genug im Dorf. Sie betrachtete den Unfall aus einer gewissen Distanz und hatte am Ende nur eine Frage:

      „Wie kann man eigentlich vom eigenen Traktor überrollt werden?“

      Walter und Kripo-Hubert schreckten aus ihren Gedanken hoch und verstanden zuerst nicht, was Liesl meinte.

      „Na, der ist über Hermann drüber gerollt und dann direkt auf ihm zum Stehen gekommen“, sagte Kripo-Hubert und merkte auf einmal selbst, wie komisch das klang. Nachdem die Frage erst mal gestellt war, schien nichts mehr wirklich zu passen. Hatte sich der Traktor wirklich unbemerkt in Bewegung gesetzt und dann Hermann von vorne überrollt? Hermann hatte in die Richtung des Traktors geschaut, als der ihn erfasst hatte, also musste er doch gesehen haben, was passierte. Und dann war das riesige Fahrzeug einfach stehengeblieben, direkt auf Hermann, nachdem es vorher ohne Grund losgefahren war.

      „Ich glaube, ich muss da noch ein paar Sachen mit der Spurensicherung abklären“, sagte Kripo-Hubert und stellte seine leere Kaffeetasse auf die Spüle. „Danke für den Kaffee!“ Dann wandte er sich an Liesl. „Und danke für die gute Frage!“

      Er verabschiedete sich und fuhr zurück an den Tatort.

      Walter und Liesl blieben allein mit den Tieren auf der Terrasse. Walter wurde ganz elend, wenn er an Hermanns Frau und die zwei Kinder dachte. Er hoffte inständig, dass wenigstens alles geregelt und finanziell vorgesorgt war, ansonsten konnte bei einer solchen Tragödie schnell ein Hof verloren gehen.

      „Was machen wir denn jetzt?“, fragte Liesl geschockt. „Mit wem können wir denn darüber reden? Darf man denn überhaupt über so etwas Fürchterliches reden? Wie handhabt ihr das hier in Taldorf?“

      Walter stand auf und streckte Liesl auffordernd die Hand entgegen. Sie griff zu und ließ sich aus dem Gartenstuhl hochziehen, bis sie direkt voreinander standen.

      „Das ist ganz einfach“, sagte Walter leise, „wir treffen uns bei der Goschamarie.“

      „War klar“, sagte Balu. „War glasklar“, sagte Kitty. „War jedem klar“, sagte Eglon. „Nur mir nicht“, meckerte Seppi und verzog sich hinter einen Rosenbusch.

      13

      Walter, Balu und Liesl hatten noch bis um elf Uhr gewartet, bevor sie sich auf den Weg zur Goschamarie machten. Schon dieser Weg war ihnen wie der Gang zum Grab bei einer Beerdigung vorgekommen. Hermanns Tod war für beide noch nicht real und entsprechend schwankten ihre Gefühle zwischen tiefster Bestürzung und Normalität. Es passte einfach nicht.

      Es war Sonntag und Walter rechnete damit, dass die meisten noch in der Kirche waren. Trotzdem waren sie nicht die ersten in der Wirtschaft.

      „Mei scheh, dass ihr kommet“, begrüßte sie Marie überschwänglich und lotste sie zum Stammtisch. „Hocket scho nah, i komm glei wägs am Bschtella.“

      Walter begrüßte Elmar und Max, die schon ein Bier vor sich hatten, und setzte sich mit Liesl dazu. Balu verschwand unbemerkt unter der Eckbank und rollte sich ein.

      Zum ersten Mal saß Liesl mit am Stammtisch, doch niemand störte sich daran. Nicht heute. Kurz darauf setzten sich Theo und Karle aus Alberskirch dazu. Doch obwohl der Tisch nun rundum besetzt war, kam kein Gespräch auf.

      Die Nachricht von Hermanns Tod hatte sich herumgesprochen wie ein Lauffeuer und jedem waren Trauer und Ratlosigkeit anzusehen. Erst als s’Dieterle hereinkam, wurde die Atmosphäre lockerer.

      „Heit isch an schlimma Daag – do hock mr alle zämma“, hatte Marie befohlen und s’Dieterle mit an den Stammtisch gesetzt. Im Gegensatz zu den anderen schien der sich ganz wohl zu fühlen und griff vergnügt nach seinem Bier.

      „Ist schon komisch die Sache, gell, gell. Also das mit dem Hermann. Ganz komisch, gell“, brabbelte s’Dieterle hemmungslos drauf los und ermutigte dadurch die anderen auch etwas zu sagen.

      „Ich kann es immer noch nicht glauben“, seufzte Max.

      „Ich hab ihn doch gestern Abend noch hier gesehen.

      Und jetzt …?“

      „Geht mir genauso“, schloss sich Elmar an. „Was für ein fürchterlicher Unfall.“

      „Unfall, Unfall, gell. Hä hä hä“, lachte s’Dieterle. „Soll wohl ein Witz sein, gell? Hä hä hä!“

      Die meisten fanden Dieterles fröhliche Art in diesem Moment unangebracht und schauten peinlich berührt zur Seite. Doch Walter wusste genau, was s’Dieterle meinte.

      „Ich kann da auch nicht so recht an einen Unfall glauben“, sagte er unsicher und schaute in die Gesichter seiner Freunde. „Liesl hat mich da drauf gebracht.“

      Er nickte Liesl auffordernd zu.

      „Nun ja“, begann sie zaghaft, „ich kenne mich da ja wirklich nicht aus, aber ich habe mich eben gefragt, wie man vom eigenen Traktor überrollt werden kann. Gibt es da nicht unendlich viele Sicherheitsmechanismen, damit so etwas nicht passieren kann? Mein Auto bremst von allein, wenn etwas im Weg steht, und lenkt für mich, wenn ich auf Landstraßen unterwegs bin, und da soll ich glauben, dass ein hunderttausend Euro Traktor einfach losrollt, wenn man nicht aufpasst?“

      Theo kniff die Augen zusammen, was er immer tat, wenn er angestrengt nachdachte.

      „Ich kenne den Traktortyp von Hermann. Der dürfte tatsächlich nicht losrollen. Diese neuen Maschinen sind mit allen nur erdenklichen Sicherheitssystemen ausgestattet. Wegrollen geht da gar nicht, noch nicht mal am steilsten Hang.“

      „Und warum ist es dann trotzdem passiert?“, fragte Walter, der keine Ahnung von Traktoren hatte. Um seinen eigenen uralten Traktor kümmerte sich immer Faxe, wenn es denn notwendig war.

      Alle am Tisch sahen sich ratlos an. Elmar wollte einwenden, dass ein technischer Defekt immer möglich sei, hielt sich aber zurück, da es zu banal klang.

      „Die einfachste Erklärung ist meistens die beste“, raunte Max, der das wundervolle Talent besaß, Dinge auf den Punkt zu bringen.

      „Und