Stefan Mitrenga

Goschamarie Bauernsterben


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auch noch, wann Hermann dort sein würde. Ein Zufall war das sicher nicht! Kripo-Hubert hat doch erzählt, dass Hermann dreimal überrollt wurde.“„Und warum kann es deshalb kein Zufall sein?“, fragte Balu. „Weil das ein Zeichen für sehr viel Wut ist“, erklärte Kitty. „Es dürfte schon schwierig genug sein, jemanden einfach zu überfahren, aber dann wieder zurückzusetzen und noch zweimal über das Opfer zu rollen … das ist nicht normal. Das war Absicht … und ganz viel Wut oder Hass. Da muss es einen starken Auslöser geben und den gilt es zu finden. Ihr werdet sehen: Kripo-Hubert steht schon bald wieder vor der Tür.“ Balu stieß einen tiefen Seufzer aus. Er konnte die Argumente seiner Freunde durchaus nachvollziehen, und genau das war das Problem. Als Walter vor ein paar Wochen seinen Freunden bei den Ermittlungen geholfen hatte, war es am Ende wirklich gefährlich geworden, was Walter einen gebrochenen Fuß und Balu ein paar angeknackste Rippen eingebracht hatte. Das wollte Balu nie wieder erleben und doch schien alles genau darauf hinauszulaufen. Immerhin war es diesmal offiziell ein Mordfall. Bei Pfarrer Sailer musste Walter mit seinen Freunden noch heimlich ermitteln, da damals erst ein Herzinfarkt als Todesursache angenommen wurde. Bei Hermann war klar, dass er ermordet wurde und die Polizei würde alles daran setzen, den Mörder zu finden. „Eine seltsame Mordwaffe“, murmelte Kitty, und bemerkte erst, als sie die ratlosen Blicke der anderen sah, dass sie das laut gesagt hatte. „Na, der Traktor. Findet ihr nicht, das ist eine seltsame Mordwaffe?“„Wahrscheinlich war gerade nichts anderes da“, vermutete Eglon. „Vielleicht war die Gelegenheit einfach günstig und der Mörder hat zugeschlagen … äh … ist losgefahren.“„Das glaube ich nicht“, überlegte Balu. „Dann hätte er ihn angefahren oder irgendwo gegen gepresst. Das ist aber nicht passiert. Hermann ist nicht weggelaufen – nein – er blieb liegen und ließ sich dreimal überrollen. Das heißt doch, dass er entweder gefesselt war oder von Anfang an nichts mitbekommen hat. Egal wie der Mörder das hinbekommen hat: ich glaube, er hatte Hermann genau dort, wo er ihn haben wollte und der Traktor gehörte zum Plan. Der Mörder hat ihn dreimal überfahren, weil er ihn dreimal überfahren wollte.“„Ich habe so das Gefühl, dass da eine alte Geschichte hinter steckt“, vermutete Kitty. „Wie kommst du darauf?“, fragte Eglon, der sich auf das Ganze keinen Reim machen konnte. „Ganz einfach“, schnurrte die Tigerkatze, „weil du die Wut, die du für so einen Mord brauchst, nicht von heute auf morgen verspürst. Da steckt etwas dahinter, das jemanden über Jahre gequält hat, und am Ende zu dieser fürchterlichen Tat getrieben hat.“„Ich kann morgen früh ja Bimbo fragen. Vielleicht erinnert er sich an irgendwelche alten Geschichten. Schließlich ist er fast das älteste Tier im Dorf.“ Balu verspürte zwar keine große Vorfreude mit Bimbo zu reden, aber wenn dabei etwas herauskam, war es das allemal wert.„Hast du es bemerkt?“, fragte Kitty, erntete aber nur einen ratlosen Blick, da Balu keine Ahnung hatte, was sie meinte. „Was soll ich bemerkt haben?“, raunte er mürrisch. „Na ja, wir sind schon wieder mittendrin in diesem neuen Mordfall. Du, ich … und Walter. Ist schon unheimlich.“„Ich weiß“, sagte Balu, „und ich hätte alles dafür gegeben, dass das nicht passiert. Ich hoffe nur, es kommen nicht noch mehr zu Schaden – ob Tiere oder Menschen.“ Doch Hermanns Mörder interessierte sich nicht für Balus Wünsche.

      16

      Der Wetterbericht hatte wiedermal von vereinzelten Gewittern gesprochen, doch in Taldorf blieb es trocken. Knochentrocken. Eine unglaubliche Dürreperiode. Walter hatte schon seit Wochen nicht nur Zeitungen in seinem Handkarren, sondern immer auch vier Flaschen Wasser. Zwei für Balu und zwei für ihn selbst. Am Ende waren die Flaschen immer leer, doch jeder Tropfen war als Schweiß bereits wieder verdunstet.

      „Pause, Balu“, befahl Walter bereits zum zweiten Mal in dieser Nacht und öffnete eine Wasserflasche. Für Balu füllte er einen kleinen Napf.

      Sie hatten gerade das Haus von Pfarrer Sailer erreicht, und beiden war etwas mulmig zumute, wenn sie an die Ereignisse rund um den Tod des Pfarrers dachten. Gerüchten zufolge stand das Häuschen zum Verkauf, andere Gerüchte besagten, die neue Stiftung des Pfarrers würde sich darum kümmern und wohltätig vermieten. Bislang stand es einfach leer. Eigentlich schade, überlegte Walter und musste auf einmal an den King denken, der für diese niedliche Immobilie sicher gutes Geld bezahlen würde. Er vermutete jedoch, dass dieser das Haus abreißen würde, um an gleicher Stelle einen hässlichen Mehrfamilienklotz zu errichten.

      Nach ein paar Minuten Rast machten sie sich wieder auf den Weg und überquerten kurz darauf in Dürnast die Bundesstraße. Walter verfluchte die Politiker, die es noch immer nicht geschafft hatten, eine Ost-West-Umgehung auf den Weg zu bringen. Selbst jetzt um kurz vor fünf war das Überqueren der Straße ein gefährliches Unterfangen, da zahllose LKW, ohne Rücksicht auf Verluste, durch Dürnast bretterten. Auch die vorgeschriebenen Fünfzig wurden wie ein netter Hinweis aufgenommen, an den man sich nicht halten musste.

      Auch in Dürnast konnte man sehen, wer seinen Garten bewässerte. Viele waren es nicht mehr. Bei den Meisten waren mittlerweile die Regenfässer und Zisternen leer – mit Leitungswasser zu gießen war ein teurer Luxus, den sich nur die wenigsten Schwaben leisten wollten, außerdem war es vor zwei Tagen wegen Wassermangels für Privathaushalte verboten worden.

      Erstaunt blieb Walter am Garten vom alten Fritz stehen, da er eindeutig das Geräusch eines Rasensprengers hörte. Er versicherte sich, dass ihn niemand beobachtete und schlich vorsichtig um die Hausecke, um einen Blick auf den Rasen zu werfen.

      Walter bekam beim Anblick des tiefgrünen Rasens in der Morgendämmerung große Augen und ignorierte die Wassertropfen, die erfrischend auf ihn herabrieselten. Es kursierte das Gerücht, der alte Fritz habe sich einen sehr tiefen Brunnen gegraben, der weit ins Grundwasser reichte. Offenbar war das kein Gerücht, aber ohne Genehmigung leider nicht erlaubt. Deshalb wohl auch die nächtliche Aktivität. Der alte Fritz wollte nicht erwischt werden.

      Walter war das egal. Jeder musste selber wissen, was er riskieren wollte. Ihm persönlich wäre der Aufwand schon zu groß gewesen. Natürlich hatte sein Rasen die Dürre nicht überlebt, aber sobald es regnete, würde er innerhalb kürzester Zeit wieder nachwachsen.

      Kein Lüftchen regte sich und Walter schwitzte aus allen Poren, als er Eugen Heesterkamps Haus erreichte. Er war nicht überrascht, dass ihn der ehemalige Lehrer am Eingang erwartete.

      „Morgen Walter. Ich konnte nicht mehr schlafen und dachte, ich überrasche Sie.“

      „Ja, ist blöd mit diesem öfter müssen müssen“, stichelte Walter.

      „Aber nicht doch“, ereiferte sich der pensionierte Studienrat, „mit der Prostata ist alles in Ordnung. Es war nur einfach zu warm. Das hält doch kein Mensch mehr aus. Wie lange hält das Wetter jetzt schon? Fünf Wochen?“

      „Sieben. Es sind jetzt sieben Wochen“, korrigierte Walter. „Kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal so einen Sommer gehabt haben. Ist Ihr Rasen auch schon hinüber?“

      Eugen sah peinlich berührt zur Seite. „Also das muss ich Ihnen jetzt erklären: der Rasen ist bei mir ja auch gleichzeitig Untergrund für meine Yogaübungen. Und Sissi-Anna-Katharina braucht das Gras ja auch.“ Sissi-Anna-Katharina war Eugens Schildkröte, die aber ein Männchen war und eigentlich Ulf hieß, was Eugen nicht wusste.

      „Aha“, sagte Walter bestimmt, „Sie bewässern Ihren Rasen, obwohl es jetzt verboten ist.“

      Eugen hob beschwichtigend die Arme. „Aber bitte, Walter, das dürfen Sie niemandem sagen. Es sind doch nur dreißig Quadratmeter. Und die brauche ich wirklich. Und Sissi-Anna-Katharina auch.“

      Da fiel Walter das gemeinsame Essen ein, dass er Eugen für den Einkauf schuldig war.

      „Aber Eugen, was denken Sie denn von mir. Meine Lippen sind versiegelt … und da sie das sind, kann ich leider auch nicht mit Ihnen zum Essen …“

      Eugen erkannte die Falle, in die er getappt war, wollte aber nicht so einfach aufgeben.

      „Ach kommen Sie, Walter. Gehen wir wenigstens ins Kreuz zum Mittagstisch. Das bringt Sie nicht um.“

      Hast du eine Ahnung, was mich das tut, dachte Walter, wollte aber auch nicht gemein sein. Sie hätten auch mittags zur Goschamarie können, doch Walter wusste, dass es zwischen der Wirtin