Stefan Mitrenga

Goschamarie Bauernsterben


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er nicht an sich halten können. „Gab es eigentlich in der Wirtschaft etwas Neues?“, erkundigte sich Kitty, um das Thema zu wechseln. „Wärst du mit reingekommen, wüsstest du es“, blaffte Balu unfreundlich zurück, was ihm sofort leid tat. Kitty sah ihm sekundenlang in die Augen, bis der Wolfsspitz aufgab und den Kopf wegdrehte. „Jetzt erzähl schon“, sagte sie sanft und stupste Balu sachte an die Schulter. Der Wolfsspitz stupste zurück und entspannte sich. „War ganz schön voll in der Wirtschaft“, begann er zu erzählen, „und am Nebentisch hat dieser King so eine Art Info-Abend für die Taldorfer Bauern abgehalten. Und der Orts-Vincenz war auch dabei.“„Der Orts-Vincenz?“, wunderte sich Kitty. „Dann passiert irgendwas. Ich tippe mal, wir bekommen demnächst ein neues Baugebiet im Dorf.“„Wo das denn?“, widersprach Balu, „hier darf doch niemand bauen!“„Noch nicht. Denk an meine Worte. Da steckt so viel Geld dahinter, dass es am Ende sicher so kommt.“ Kitty war sich ihrer Sache sicher, aber Balu hatte keine Lust auf eine Diskussion. Trotzdem hatte er seine Zweifel. „Irgendwer wird doch sicher was dagegen haben“, überlegte Eglon, der bisher nur still zugehört hatte. Kitty schüttelte den Kopf. „Wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was man über den King sagt, dann ist es keine gute Idee seine Pläne zu durchkreuzen.“ „Hoffentlich hält sich Walter von dem Kerl fern“, grummelte Balu. „Nach der Aufregung um Pfarrer Sailer hat sich alles wieder so schön beruhigt. Auf neuen Ärger kann ich echt verzichten.“ Unbewusst leckte Balu über seine mittlerweile verheilten Rippen, als ihn die alten Bilder einholten: wie er Walter im letzten Moment weggeschubst hatte und selbst über das Autodach gewirbelt worden war. „Ich glaube, da kannst du beruhigt sein“, holte Kitty ihren Freund in die Gegenwart zurück. „Der King ist wohl eher an den Bauern und ihren Hektaren interessiert als an Walters Garten.“„Ich traue dem Kerl nicht“, mischte Eglon sich ein. „Der riecht nach Ärger und ich denke, wir müssen nicht lange darauf warten!“ Sie saßen noch eine ganze Weile schweigend auf der Terrasse, während Eglons Worte in ihren Köpfen nachhallten. Wie Recht er hatte, konnte selbst Eglon nicht ahnen.

      10

      „Der Frosch ist tot“, sagte der jüngere Mann und ließ sich erschöpft aufs Bett fallen.

      Der Ältere zog einen Stuhl heran und setzte sich. Er sah, wie die Augen seines Geliebten unter den geschlossenen Lidern zuckten. Sein Atem ging stoßweise und seine blutverschmierten Hände zitterten.

      „Lief alles so, wie du es geplant hattest?“

      Der Jüngere nickte ohne die Augen zu öffnen.

      „Und? Spürst du schon etwas? Irgendwas?“, fragte der Ältere zweifelnd.

      Der Jüngere hatte die Augen immer noch geschlossen, atmete tief ein und aus, wie um in sich hineinzuhören. Die Arme hatte er dabei auf der Brust gekreuzt, die Beine lagen ausgestreckt auf der dünnen Decke.

      „Ja. Ich spüre, dass es begonnen hat“, flüsterte er kaum hörbar. „Nicht mehr lange und ich bin endlich geheilt.“

      Der Ältere warf seinem Freund einen skeptischen Blick zu. Mehrere Minuten des Schweigens.

      „Erzähl sie mir noch ein letztes Mal“, forderte der Ältere.

      „Was?“

      „Die Geschichte von damals … die Geschichte vom Frosch!“

      „Also gut – ein allerletztes Mal“, seufzte der Jüngere und begann zu erzählen.

      Es ist einer dieser Sommer, die man nie vergisst. Gefühlt scheint die Sonne bereits seit März ohne Pause – jetzt ist August. Kurze Hose und T-Shirt sind die einzigen Kleidungsstücke, die ich anhabe – seit Wochen.Wir haben uns am Schmehweiher zum Baden verabredet. Meine Clique und ich. Wobei „meine Clique“ etwas übertrieben ist. Die anderen dulden mich, wenn ich dabei bin, respektieren mich aber nicht. Warum auch. Das sind echt coole Jungs. Ihre Eltern sind die größten Bauern im Umkreis und haben Geld wie Dreck. Auch die Jungs haben Geld. Ich habe kein Geld, genauso wie meine Eltern, die beide arbeiten gehen. Wenn ich mit den Jungs zusammen bin, bemühe ich mich, alles richtig zu machen und ihnen zu gefallen. Es wäre für mich das Schlimmste, wenn sie mich wegjagen würden. Ich bin als erster am Weiher und breite mein Handtuch im Schatten eines ausladenden Astes einer alten Weide aus. Schnell laufe ich ans Ende des kleinen Holzstegs, der baufällig aus dem Wasser ragt und lasse meine Füße ins Wasser baumeln. Ich bin den ganzen Weg zum Weiher barfuß gelaufen und meine Fußsohlen brennen, als wären sie wund. Das kühle Wasser schafft Erleichterung und ich lehne mich genussvoll zurück.Ich höre die anderen schon lange, bevor ich sie sehen kann. Ihre Fahrräder scheppern über den kleinen Feldweg. Sie haben Jogurtbecher kleingeschnitten und die Streifen mit Wäscheklammern an der Vordergabel befestigt. Sie ragen in die Speichen und klappern laut, wenn das Rad sich dreht.„Hi Jungs“, rufe ich, als sie ihre Fahrräder ins Gras legen, erhalte jedoch keine Antwort.Hermann, Karl-Heinz und Xavier flüstern sich etwas zu, während sie ihre Handtücher ausbreiten. Sie legen sie über mein Handtuch, aber ich sage nichts. Ich setze mich zu ihren Füßen ins Gras und tue so, als würde ich dazu gehören. Dafür ignorieren sie mich.„Was soll denn dieser Krach?“, ärgert sich Hermann plötzlich, als ein Frosch sein Quakkonzert beginnt. Die anderen beiden lachen – auch ich lache – doch Hermann steht zornig auf und macht sich auf die Suche nach dem glitschigen Ruhestörer. Er durchkämmt das wenige Schilfgras am Ufer und wird schnell fündig. Mit langsamen Schritten nähert er sich dem Frosch, der nichtsahnend weiter quakt. Die Hände zu zwei Schalen geformt, stößt er blitzschnell vor und umschließt damit das Tier, das endlich ruhig ist.„Da haben wir ja ein Prachtexemplar erwischt“, lacht Hermann und spickelt zwischen seinen Fingern hindurch. „Was sollen wir mit ihm machen?“„Wir könnten mit der Schleuder auf ihn schießen“, meint Xavier und hält seine selbstgebaute Steinschleuder hoch.„Wir könnten auch eine von unseren Kippen opfern und ihn hochgehen lassen wie den anderen neulich“, lächelt Karl-Heinz. Erst letzte Woche hatten sie einem Frosch eine brennende Zigarette ins Maul gestopft, an der er solange gesaugt und sich aufgebläht hatte, bis er geplatzt war.„Neee“, sagt Hermann und schüttelte sich. „Das ist mir zu viel Sauerei. Außerdem kostet es ne Kippe.“„Du könntest ihn einfach laufen lassen“, sage ich leise, fast geflüstert.Alles drei starren mich an, als hätte ich ihre Mütter verflucht.„Wie bist denn du drauf, Ficker?“, zischt Hermann aggressiv hervor. „Bist du so ein Öko? So ein … Weltretter?“Alle drei lachen gehässig, bevor Hermann aufsteht und Xavier den Frosch in die Hand drückt.„Halt mal. Den brauchen wir gleich noch. Ich hab da ne echt gute Idee!“Er läuft hinter die Weide, wo ein längst vergessener Stapel mit Brettern liegt. Er schiebt einige Dielen zur Seite oder schmeißt sie herunter, bis er zwei ungefähr gleichlange gefunden hat. Er stellt das erste Brett hochkant auf und fixiert es mit ein paar Stöcken, damit es nicht umfallen kann. Mit dem zweiten verfährt er genauso, etwa fünfzig Zentimeter vom ersten entfernt, so dass eine Gasse entsteht. „Hey Ficker“, ruft er mir zu und ich hasse es, wenn er mich so nennt, „du wolltest doch schon immer mal mit meinem neuen Fahrrad fahren …“ Das war eine Feststellung, keine Frage. Und es stimmte natürlich. Hermann hatte vor kurzem dieses absolute Traumfahrrad geschenkt bekommen. Voll im Trend. Ein Bonanza-Rad. Für mich oder meine Eltern war so ein Fahrrad unerschwinglich. „Du willst mich mit deinem Bonanza-Rad fahren lassen?“, sage ich ungläubig, während mein Blick zu dem Fahrrad wandert, das nur zwei Meter entfernt im Gras liegt.„Na klar, wir sind doch Freunde“, tönt er jovial und legt mir die Hand auf die Schulter. Ein Ritterschlag. „Na los, mach schon, bevor ich es mir anders überlege!“Unsicher richte ich das Fahrrad auf und schiebe mich seitlich auf den Sattel. Ich prüfe die Griffe und den Bremshebel, rutschte mit dem Po etwas hin und her, um den besten Sitz zu finden. Die Rückenlehne des Bananensattels ist sehr weit weg vom Lenker und ich bin nicht sicher, ob ich mit diesem Rad wirklich fahren kann. Der Schalthebel, der auf der Mittelstange montiert ist steht auf „1“, also sollte ich anfahren können. Ich schaue noch einmal zu Hermann, doch der winkt nur ungeduldig. Ich soll endlich fahren. Wackelig lege ich die ersten paar Meter zurück und fahre auf den Feldweg.„Hey, wo willst du denn hin? Schön hier bleiben“, rief Hermann und zeigt auf einen imaginären Punkt vor seinen Füßen.„Du fährst schön hier durch. Rauf und runter, runter und rauf, kapiert?“ Hermann zeigte auf die Gasse zwischen den beiden Brettern.Ich verstehe