Stefan Mitrenga

Goschamarie Bauernsterben


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den Rücken zu und kämpfte sich zum Tresen durch.

      „So voll war es jetzt schon lange nicht mehr“, sagte Walter, und staunte wie jeder frei gewordene Tisch sofort neu besetzt wurde.

      „Aber für uns hat Marie einen Platz frei gemacht. Das war wirklich nett von ihr“, lobte Liesl.

      „Das ist bei Marie immer so! Wenn sie dich mag, hast du hier das schönste Leben, aber wehe sie mag dich nicht …“ Walter ließ den Satz einfach offen stehen, doch Liesl ahnte, dass es ihr lieber war, dass Marie sie mochte.

      „Wer ist eigentlich dieser King?“, änderte Liesl das Thema.

      „Dem King gehört die größte Immobilienfirma in Ravensburg“, erklärte Walter leise. „Ich glaube, der hat so viel Geld wie Gott. Aber ganz hasenrein ist er nicht. Gibt immer mal wieder Gerüchte, er würde mit Bestechung nachhelfen, aber das würde niemand laut sagen … sonst hast du gleich einen Anwalt mit einer Klage am Hals.“

      Liesl beobachtete den imposanten Mann, der mit einem strahlend weißen Verkäuferlächeln seine Gäste einlullte. Jeder von ihnen lächelte zurück, wobei so manche dentale Insolvenz offenbart wurde. Doch eines sah man auf den ersten Blick: alle waren stolz darauf, dass der King mit ihnen an einem Tisch saß. Außer Karl-Heinz. Dem schien nur wichtig zu sein, dass alle Getränke frei waren, denn er leerte seine Biere im Minutentakt und trauerte jedem einzelnen mit einem Gedenkschnaps hinterher. Liesl vermutete, dass er in spätestens einer halben Stunde vom Stuhl fallen würde.

      „Und was will dieser King mit den Bauern aus dem Dorf?“, wunderte sich Liesl. „Du darfst doch in ganz Taldorf nirgends mehr bauen. Was soll dann der Immobilienfuzzie da für ein Interesse haben?“

      Walter rutschte etwas näher zu Liesl und sprach noch etwas leiser. „Schau dir doch mal die Konstellation am Tisch da drüben an! Da sind die Landwirte: die haben Grundstücke. Da ist der Ortsvorsteher: der kann beeinflussen, wo gebaut wird. Und: wir haben den Riedesser von der Bank: der kann denen gleich sagen, was sie verdienen und was für eine Finanzierung möglich ist. Eigentlich alles da, was man braucht oder? Und der King ist der, der alle zusammenbringt und am Ende einen großen Batzen Geld verdient.“

      Liesl konnte Walters Erklärung durchaus folgen, wollte aber nicht glauben, dass es so einfach war. „Irgendwer muss sich doch hintergangen oder betrogen fühlen, wenn da auf einmal neue Baugebiete ausgewiesen werden?“

      „Sollte man meinen“, lächelte Walter. „Aber genau hier kommt der King ins Spiel. Er schafft es, dass jeder am Ende zufrieden ist. Die Bauern bekommen Geld für ihr Land, die Gemeinde schafft neuen Wohnraum und hat auch sonst noch ein paar Einnahmen und der King baut seine Häuser und verkauft Wohnungen. Wenn zwischen drin jemand auftaucht, dem das nicht gefällt, dann kümmert sich der King darum … auf die eine oder andere Weise. So läuft das seit Jahren.“

      Während Liesl immer noch versuchte, das Konstrukt um den King zu verstehen, servierte Marie die Vesperteller.

      „Ihr misset entschuldiga …. hot a wäng dauret, aber isch oifach viel los heit. Lassets eich schmecka!“

      Walter und Liesl langten kräftig zu, denn der Hunger war groß. Nebenbei versuchten sie immer wieder am Nebentisch mitzuhören, doch der Lärmpegel war zu hoch. Nur manchmal bollerte der King etwas heraus, das alles übertönte.

      Nach einer Weile löste sich die kleine Versammlung auf und ein Landwirt nach dem anderen verließ die Runde. Am Ende blieben nur der King, der Orts-Vincenz und Riedesser von der Bank. Sie rutschten enger zusammen und der King zischte leise ein paar Anweisungen. Sein freundlicher Gesichtsausdruck war dabei verschwunden, seine Augen fixierten den jeweiligen Gesprächspartner mit stechendem Blick. Als Marie zu ihnen an den Tisch kam, rutschten sie sofort auseinander und der King setzte wieder sein Vertreterlächeln auf.

      „Derfs denn no was sei, oder welleter zahla?“, fragte Marie, doch der King winkte ab.

      „Das machen wir heute ganz unkompliziert“, sagte er so laut, dass es jeder hören konnte. Er legte einen Zweihunderteuroschein auf den Tisch. Marie nahm den gelben Schein in die Hand und hielt ihn gegen das Licht.

      „Sieht mr ja it sooft die Dinger“, murmelte sie, „da muss i scho gnau naluaga!“

      „Mach das Marie, mach das! Und behalte das Restgeld. Wir sind fertig hier. Danke für alles und bis bald mal wieder“, sagte der King und erhob sich. Der Orts-Vincenz und Riedesser von der Bank folgten ihm, als führte er sie an einer unsichtbaren Leine.

      „Machet’s guat ziernet nix, kommet wieder“, rief Marie den dreien nach, als sie Gaststube verließen. „Oder noi“, korrigierte sie sich leise, „eigentlich kenntet ihr alle drei futt bleiba.“

      9

      Walter und Liesl verließen die Wirtschaft, als die Sonne nur noch einen Handbreit über dem Horizont stand. Noch immer war es unerträglich heiß. Balu war ihr Tempo zu langsam und galoppierte voraus. Das Grollen des heranrollenden Traktors hörten Walter und Liesl schon von weitem und wichen vorsichtshalber ins Gras aus. Die Straße in Taldorf war für die aktuelle Generation von Traktoren bereits zu schmal. Hermann bremste ab, als er Walter und Liesl am Straßenrand sah, hob lachend die Hand zum Gruß und trat dann wieder aufs Gas. Der riesige John Deere reagierte sofort und stieß eine schwarze Rußwolke aus, während sein Motor aufheulte wie die Turbine eines Düsenflugzeugs.

      „Der kennt auch keinen Feierabend“, knurrte Liesl, als sie dem Traktor nachschaute. „Hermann war doch gerade noch bei der Goschamarie … was kann denn am Samstagabend so wichtig sein, dass er jetzt noch seinen Pflug rausholt?“

      Walter beobachtete, wie Hermann hinten aus dem Dorf hinausfuhr, mit seinem Traktor die kleinen Serpentinen hinaufstürmte und oben auf einen Acker einbog.

      „Hermann hat da hinten einen Maisacker“, erklärte er. „Na – hätte es zumindest sein sollen. Da ist schon seit Wochen alles vertrocknet. Ich denke mal, er pflügt die Reste unter, damit er noch was einsähen kann.“

      Wie zur Bestätigung hörte man Hermanns Traktor wütend aufheulen und kurz darauf erhob sich eine gigantische Staubwolke, die nur langsam von der warmen Abendluft fortgetragen wurde.

      „Auf ein Bier?“, fragte Walter.

      „Auf ein Bier!“, bestätigte Liesl.

      Das Bier auf der Terrasse am Ende des Tages war zu ihrem kleinen Ritual geworden. Das hatte Walter in der letzten Woche besonders gefehlt. Er wunderte sich selbst, wie schnell er sich daran gewöhnt hatte nicht mehr allein zu sein. Dabei waren sie ja nur befreundet. Wäre er gerne mit Liesl zusammen? Walter hatte sich das schon tausendmal gefragt – aber nie beantwortet. Er liebte ihre Gesellschaft, die Gespräche, die gemeinsamen Mahlzeiten und auch den ein oder anderen Ausflug, aber reichte das für eine echte Beziehung? Und: wollte er das überhaupt? Wollte sie das? Da er nicht wusste, was er tun sollte, machte er einfach weiter wie bisher, und Liesl tat es ihm gleich.

      Und so saßen sie nebeneinander auf der Terrasse wie ein altes Ehepaar, das sie nicht waren und unterhielten sich über den vergangenen Tag.

      „Jetzt geht es Walter wieder gut“, stellte Kitty fest. „Ich glaube, die beiden wissen selber nicht wie gut sie eigentlich zueinander passen.“ Sie saßen am Rand von Walters Terrasse und Kitty kuschelte sich näher an ihren Freund. „Du wieder“, raunte Balu. „Kannst du es nicht einfach mal gut sein lassen? Bei dir muss immer eine Beziehung dahinter stecken oder wenigstens ein bisschen Sex. Kannst du dir nicht vorstellen, dass Walter und Liesl einfach so miteinander glücklich sind?“„Kannst du das?“ Die Tigerkatze legte fragend den Kopf schief. „Du wartest doch auch nur darauf, dass Chiara das erste Mal läufig wird.“ Chiara war eine junge, wunderschöne Border-Collie Hündin und wohnte nicht weit entfernt bei Georg, einem von Walters Freunden. Balu und Chiara hatten sich bei Walters großem Abschlussfest vor ein paar Wochen kennengelernt und besuchten sich seitdem regelmäßig.„Das stimmt doch gar nicht!!!“, beschwerte sich Balu lautstark und erntete für sein Knurren eine scharfe Ermahnung von Walter. „Getroffene Hunde bellen, sagt ein Menschensprichwort!“, mischte sich Eglon ein und quetschte sich zwischen den Jostabüschen hervor. „Bei den Menschen gibt es auch ein Komikerduo