fünf Jahren angelegt und umfasste insgesamt zehn Semester. Die ersten zwei Jahre gehörten zum Grundstudium, welches eine breit gefächerte Ausbildung in verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen beinhaltete. Während einige Fächer wie Biochemie, Physik und Mathematik mit schriftlichen Klausuren abgeschlossen wurden, mündeten die Hauptdisziplinen Chemie, Mikrobiologie, Genetik, Botanik und Zoologie in die umfangreichen mündlichen Vordiplomprüfungen. Die Umstellung von den schulischen Anforderungen des Abiturs auf die erheblich detaillierteren und anspruchsvolleren Aufgaben im Rahmen des Studienplanes fiel uns zu Beginn schwer, so dass im Verlauf des Grundstudiums einige Kommilitonen wieder aufhörten. Generell dominierten in den naturwissenschaftlichen Studiengängen umfangreiche chemische, biochemische, physiologische, mikrobiologische, physikalische, botanische und zoologische Praktika den Studienplan. Die Praktika endeten in der Regel mit Abschlussklausuren.
So ein Studium macht großen Spaß, wenn man offen und interessiert ist und das Lernen und Verstehen leicht fällt. Viele junge Menschen brachten sich als ganze Persönlichkeit ein. Mein Talent für Zusammenhänge der Chemie, was ich schon in der Schulzeit hatte, entwickelte sich weiter und so zog es mich auch zu den chemischen Fächern hin. Es war ja noch keine Anwendung damit verbunden. Grundlagen und Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen erfüllte mich. Als Student fühlte man sich frei und unbeschwert, auch wenn Praktika, Testate, Klausuren und Prüfungen vollen Einsatz erforderten. Ich begeisterte mich sehr für meine Studienfächer. Mein naturwissenschaftliches Interesse war groß.
In den Semesterferien verdiente ich mir ein paar Münzen mit Hilfsarbeiten in einer Gärtnerei und im Physikalisch-Chemischen Institut der Universität. Dort beschäftigte ich mich unter Anleitung der Wissenschaftler mit Schäumungseigenschaften von Tensiden sowie mit der Messung von Oberflächenspannungen. Den Rosengärtnerjob hatte mir eine Mitstudentin verschafft, deren Mutter in der Gärtnerei arbeitete. Die Strecke zwischen meinem Wohnort und der Gärtnerei beschenkte mich mit einer fast einstündigen Fahrradtour am Morgen und am Nachmittag. Jeden Tag trug ich große Sträuße aus aussortierten Rosen nach Hause. Mittlerweile fallen die großen Gewächshäuser ein. Ich möchte wissen, aus welchen Entfernungen jetzt die vielen Rosen in die Blumenläden herangekarrt oder gar herangeflogen werden.
Alle Wege zu den Hörsälen, Praktikumssälen und auch zu den Ferienjobs wurden zu Fuß, mit der Straßenbahn oder am liebsten mit dem Fahrrad zurückgelegt. Auch eine Radfahrstrecke von anderthalb Stunden störte nicht; im Gegenteil: ich wählte die Strecken so aus, dass ich mich durch die Grünanlagen der Stadt sowie über das dörfliche Umland bewegen konnte. Auf diesen Fahrradwegen und auch auf den im Rahmen des Studienplanes organisierten botanisch-zoologischen Exkursionswanderungen fühlte ich mich wieder in der heiligen Welt des Naturempfindens geborgen. Dort bewegte man sich mit naturgegebener, dem Sinnesaufnahmevermögen entsprechender Geschwindigkeit auf zwei Füßen und besuchte Pflanzen und Tiere in ihrem natürlichen Umfeld. Tiefe Stille und Harmonie herrschten auf den Waldwiesen, welche vom Lärm der Technik noch verschont geblieben waren.
Während der Studienzeit fühlte ich mich hin und her gerissen zwischen meiner in chemischer Richtung liegenden Begabung und den ökologischen Fachgebieten. Der aus Österreich stammende neue Professor für Spezielle Botanik widmete sich weit entfernten südamerikanischen Floren statt einheimischen, ohnehin auf Minifloren zusammengeschrumpften Pflanzengemeinschaften. Für mich fiel diese Spezialisierung aus, denn ich konnte in mir nicht dieselbe Verbundenheit zu diesen fernen Gegenden wie für die Landschaften meiner mitteleuropäischen Herkunft empfinden. Seine gesamte Tätigkeit erschien mir aufgesetzt, künstlich und hinsichtlich exotischer Effekthascherei aufgeblasen. In seinem Praktikum mussten wir tagelang in Alkohol eingelegte Präparate südamerikanischer Pflanzen zeichnen. Die politische Wende hinterließ unruhige Zeiten an den ostdeutschen Universitäten. Die häufigen Professorenwechsel brachten nicht unbedingt wissenschaftliche Spitzenreiter in die vakanten Positionen. Tierversuche, wie sie eine meiner Studienfreundinnen in der Arbeitsgruppe für Neurobiologie durchführte, kamen für mich nicht in Frage. Gut erinnere ich mich daran, wie ich auf dem großen Gang des Altbaus der Zoologischen Institute zwei winzige, nackte, noch blinde, völlig hilflose Tiere in den Händen hielt. Diesen wehrlosen Geschöpfen bohrten die Neurobiologen Elektroden in die Köpfchen, um die Funktion ihrer Gehirne zu „erforschen“. Über das unvorstellbare Ausmaß der im Namen der Naturwissenschaft gequälten und getöteten Tiere berichtet Eugen Drewermann ausführlich und mit Zahlen belegt in seinem Buch „Der tödliche Fortschritt“ [6]. Der „Newsletter Hochschule und Wissenschaft“ der sächsischen Landtagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom Januar 2014 [7] nennt eine erschreckend hohe Zahl von 14516 Versuchstieren, die im Jahr 2012 allein an sächsischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Dienste der Wissenschaft zu Tode kamen. Damit stieg die Zahl getöteter Versuchstiere auf ein Vierjahreshoch. Insgesamt wurden im selben Jahr allein im Bundesland Sachsen 73090 Tiere für wissenschaftliche Zwecke eingesetzt. Auch im zoologischen Grundpraktikum im ersten Semester des Biologie-Grundstudiums wurden Tiere getötet und zum Zwecke des Studierens ihrer Eingeweide zerstückelt. So mussten wir unter anderem Regenwürmer und Ratten sezieren. Wenn man hier das Argument der Ausbildung der Studenten anführt, dann hätten ein Regenwurm und eine Ratte für einen Semesterdurchgang von 30 bis 40 Studenten genügt. Aber nein, jeder musste ein Würmchen aufschneiden, um hernach stundenlang mit Hilfe des Mikroskopes seine im Blute schwimmenden Eingeweide abzuzeichnen. Ratten wurden vergast und dann jeweils in Gruppen von zwei oder drei Studenten zerschnitten. Die Betreuerin dieser Schlachtversuche war eine schreckliche, von den Studenten gefürchtete Person. Wie sollte es auch anders sein? Im Falle des Regenwurms kann ich mich nicht entsinnen, in diesem blutigen Praktikum etwas über seine Nützlichkeit bei der Bodendurchlüftung und Humusbildung gehört zu haben. Dabei ist der Regenwurm der beste Freund der Gärtner. Er frisst verrottete Pflanzen und Erde, vermischt sie in seinem Darm mit Bakterien und Pilzen und scheidet sie schließlich als allerbesten Dünger wieder aus [8]. Regenwürmer und andere Tiere bzw. deren Gewebeschnitte, Beinchen, Äuglein usw. mussten unter dem Mikroskop betrachtet und davon abgezeichnet werden. Was aber lernen das menschliche Auge dabei und was der menschliche Geist? Es ist kein liebevolles Betrachten. Das Wesen des Tieres kann auf diese Weise nicht gesehen werden, nur zerstückelte, tote Teile. Die Achtung vor dem Tier geht verloren, weil es zum zerstückelbaren Objekt degradiert wird. Ein Spruch des Dichters Oscar Wilde erübrigt weitere Diskussionen: „Es ist wichtiger, dass jemand sich über eine Blüte freut, als dass er ihre Wurzel unters Mikroskop bringt.“
Welchen Schaden voyeuristische Tierbegaffungen in ihrer Folge nach sich ziehen, verdeutlicht folgendes Beispiel: ein Zoologe, der im Polarkreis Wanderfalken abschoss, um ihre Körper als Anschauungsobjekte auszustopfen, vernichtete damit eine große Brutkolonie verschiedenster Vogelarten, die sich Jahr für Jahr im Schutze der Falkenhorste ansiedelte [9]. In einem tierphysiologischen Praktikum wurden kleine Frösche geköpft, um hernach an einem herausgerissenen Beinchen elektrisch ausgelöste Zuckungen zu beobachten. Damit die Studenten die Froschköpfungen auch korrekt ausführten, wurde zuvor ein Film dazu gezeigt. Eine Studentin fiel beim Zuschauen ohnmächtig vom Stuhl.
Als studentische Hilfskraft im Physikalisch-Chemischen Institut, wo ich mich unter den dortigen Wissenschaftlerpersönlichkeiten recht wohl fühlte, bekam ich einen Eindruck von den dort bearbeiteten Forschungsthemen, die mich wegen ihrer Geräte- und Computerbezogenheit jedoch auch nicht sonderlich anlockten. Irgendwie klaffte immer ein Unterschied zwischen den noch mit Handarbeit zu bewerkstelligenden Praktikumsversuchen, in denen man Grundlagen und Zusammenhänge der Chemie und Physik demonstrierte und begreifen lernte, und den sich in unzähligen, von Messgeräten ausgespuckten und mittels Computern bearbeiteten Details verstrickenden Fragestellungen der modernen naturwissenschaftlichen Forschung.
Nach Abschluss des Vordiploms wählte man im anschließenden Hauptstudium vier Vertiefungsrichtungen. Als genereller Tierversuchsgegner fokussierte ich mich auf die Fächer Pflanzenphysiologie, Ökologie und Botanik. Als nichtbiologisches Fach wählte ich die Physikalische Chemie, denn mich faszinierten die klassischen Grundlagen und Zusammenhänge der Thermodynamik und der Kinetik. Ich war die einzige Studentin, die sich für eine Vertiefung in Physikalischer Chemie entschied. Das Hauptstudium endete mit den Diplomprüfungen in den vier genannten Fächern.
In meiner Projektarbeit führte ich eine Vegetationskartierung eines Messtischblattquadranten als Zuarbeit zur Erstellung eines Florenatlasses durch. Mit dem Fahrrad und zu