Robert Helm

Zweimal Morden lohnt sich


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seinen Schauspielern in der Interpretation und Darstellung lässt!“ Die gespielte Lässigkeit war verschwunden. Ihr kleiner Kopf fing fast Feuer, so trieb es ihr die Zornesröte ins Gesicht. Blecher dachte kurz daran seine Sonnenbrille aufzusetzen, um diesem Naturwunder nicht ganz ungeschützt ausgesetzt zu sein.

      Er suchte gerade nach einer besänftigenden Bemerkung für seine offensichtlich erregte Nachbarin, da hatte der Dirigent unbemerkt den Orchestergraben betreten. Applaus toste auf und die Vorstellung begann. Sie wurden sofort von der geheimnisvollen Ouvertüre gefesselt. Die gut zweistündige Oper hatte keine Pause. Viel Mord und Todschlag. Insbesondere Lady Macbeth glänzte als Königsmörderin, weil ihr Gatte sich als Schwächling erwies.

      Blecher stellte befriedigt fest, dass seine Nachbarin öfters einen neugierigen Blick auf ihn warf. Er stellte sein gelungenes Profil zur Schau, so gut es eben die diffusen Lichtverhältnisse zuließen und heuchelte große Faszination in seinem Gesichtsausdruck über das turbulente Geschehen auf der Bühne. Als Lady Macbeth die Arie La luce langue beendete und frenetischer Beifall ausbrach, besiegte er seine Verwunderung darüber schnell und lächelte wissend Frau Meyer zu, welchen einmaligen Kunstgenuss sie gerade konsumieren durften und achtete darauf, dass er als letzter mit dem Klatschen aufhörte.

      Annika Meyer war in Begleitung einer Freundin. Er wusste, dass ihre Begleitung nach dem Ende der Aufführung noch einen anderen Termin wahrnehmen würde. Auch das hatte Rudolf recherchiert. Und er sollte recht behalten. Nach langem begeistertem Applaus strömte das Publikum den Ausgängen zu. Glücklicherweise war der schmucklose Kastenbau wenigstens mit zwei breiten Treppenfluchten ausgestattet. Blecher hielt sich dicht an Annika Meyer, was ihm mühelos gelang. Zumal sie sich zweimal umdrehte und ihre Augen ihn suchten, wie er beglückt feststellte. Schließlich standen alle drei auf dem breiten Fußweg der Bismarckstraße und die Begleitung von Frau Meyer verabschiedete sich augenzwinkernd von ihrer Freundin. Küsschen rechts und Küsschen links, dabei jeweils den rechten Arm matt um die Schulter des Gegenüber gelegt und ein ausdruckloses Gesicht aufgesetzt. Blecher stellte fest, dass die zwei Damen sich irgendwie ähnelten. Vielleicht hatten sie denselben Schönheitschirurgen.

      „So, was fangen wir nun mit einer einsamen zurückgelassenen Dame vor der Deutschen Oper an?“, seufzte sie und lächelte ihn unschuldig an.

      Er strahlte sie an und war sich nun sicher, dass sie bereit war, den Abend mit ihm gemeinsam fortzusetzen. Sie fanden den Weg in ein kleines gemütliches Weinlokal.

      „Mein Gott, diese Geschichte war nach meinem Geschmack. Da hat der alte Shakespeare die Realität schonungslos offengelegt. Dieses Genie. Wer erfolgreich und mächtig sein will, muss bereit sein, über Leichen zu gehen.“

      Blecher dachte bei sich, dass es der am Ende wahnsinnig gewordenen Lady Macbeth doch nicht so ganz bekommen war. Aber er schwieg und nickte nur zustimmend seiner Gesprächspartnerin zu. Sie hatten eine Flasche Prosecco im Kühler stehen, und Frau Meyer ließ sich nur allzu gerne den immer wieder schnell halbvollen Kelch von ihrer aufmerksamen Begleitung vollschenken. Blecher hätte einen guten Whiskey bevorzugt, wollte aber Harmonie demonstrieren.

      „Rein hypothetisch natürlich, könnten Sie auch töten, um ein Ihnen subjektiv zustehendes Recht zu erzwingen wie es Lady Macbeth tat?“

      Er lächelte sie entschuldigend an, sich so weit vorgewagt zu haben.

      Die Angesprochene richtete den Oberkörper steif auf, den Sektkelch in der Hand und dozierte: „Das Leben ist Schauspiel. Und die Entschlossenen haben den Anspruch, Hauptrollen zu besetzen. Alle Könige und Königinnen verstanden sich aufs Morden, sonst wären sie nicht Könige und Königinnen geworden oder geblieben.“ Blecher dachte, sie muss eine Schwester von Rudolf sein.

      „Heute haben wir ein schottisches Drama gehört und gesehen. Die griechischen und römischen Dramen sind genauso blutrünstig und von zu allem entschlossen Machtsüchtigen bevölkert, die sich gegenseitig umbringen bis der klügste und skrupelloseste übrigbleibt. Und auch der wird irgendwann weichen müssen, wenn er seinen Meister findet.“

      Blecher sah, wie ihr Kopf langsam wieder anfing zu glühen. Neben dem aufreizenden Thema, glaubte er, dass auch der Prosecco zum Farbenspiel beitrug.

      Ihm schien der Moment gekommen zu sein, dass Thema unter einem mehr persönlichen Blickpunkt auszuleuchten.

      „Sie könnten einen Dolch in die Hand nehmen und zustechen?“

      Frau Meyer starrte überraschend den so direkt fragenden jungen Mann an und antwortete dennoch ohne zu zögern: „Nie, mein Fach ist der unblutige Mord. Ich vergifte lieber. Das könnte ich, um Neider und Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Ja, wirklich.“ Und sie schaute ihn verschämt und provozierend zugleich an und setzte fort: „Vergessen Sie nicht, ich bin Schauspielerin.“ Betont setzte sie nach: „Nicht nur Bühnenschauspielerin, sondern auch Burgschauspielerin, falls Sie wissen, was das bedeutet.“

      Er nickte bedeutsam, wusste aber nicht, was es genau bedeutete. Vielleicht musste man morden, um Burgschauspielerin zu werden oder zu bleiben.

      Ihm schien der Zeitpunkt gekommen zu sein, um sich auf harmlosere Themen zu konzentrieren. Er brillierte weiter als charmanter Gesprächspartner für das andere Geschlecht. Er führte gekonnt durch Themen wie Mode, Hunde und bekloppte Ehemänner. Früh um zwei Uhr brachte er sie mit einem Taxi zu ihrem Hotel zurück. Sie tauschten keine Adressen oder Telefonnummern aus. Obwohl er spürte, dass sie gerne eine Fortsetzung dieses aufregenden Abends wünschte, aber sich scheute dies direkt anzusprechen. Eben doch alte Schule weiblicher Zurückhaltung trotz aller Extrovertiertheit. Er half ihr nicht mit einem Angebot eines weiteren Treffens. So war es mit seinem Partner ausgemacht.

      Blecher versprach eine große Überraschung, was einen weiteren Kontakt betraf, zwinkerte mit den Augen und entließ die Verwunderte mit einer aufmunternden Geste.

      19. Kapitel

      Mittwoch, 15. Juli 2009, München

      Rudolph begann unter dem Pseudonym Ihr Bewunderer direkten Kontakt über E-Mails aufzunehmen. Er könne sich aus privaten Gründen nicht zu erkennen geben, aber ihre Wege kreuzten sich immer Mal wieder bei gesellschaftlichen Ereignissen und er spüre ihre besondere Persönlichkeit. Frau Meyer versuchte sofort zu antworten, aber er hatte die Kommunikation so eingerichtet, dass seine Adresse unterdrückt wurde. Dies sollte das Geheimnisvolle steigern. Da er auch ihre Webcam gehackt hatte, konnte er die E-Mails anreichern mit Andeutungen auf ihr Aussehen und ihr Outfit bei gesellschaftlichen Anlässen. Zu diesen Gelegenheiten bereitete sie sich immer sehr zeitintensiv und aufwändig vor. Sie rannte aufgeregt durch die ganze Wohnung, was sie auch häufig in den Beobachtungsbereich der Webcam brachte und Rudolphs Aufmerksamkeit fesselte. Sie konnte sich zehnmal und mehr anziehen, umziehen und ausziehen, ohne mit dem Ergebnis wirklich glücklich zu sein. Lediglich die Zeitnot zwang sie zu einer Entscheidung. Frau Meyer sollte den Eindruck bekommen, dass Ihr Bewunderer ein einfühlsamer und aufmerksamer Beobachter war. Er lobte ihre gelungene Garderobe. Ging auf kleine Einzelheiten ein, die ihr bei der Kostümierung besonders viel Arbeit bereitet hatten wie die passende Farbe der Nylonstrümpfe und ähnliches. Unterhaltsam fand er die Zwiegespräche zwischen ihr und den Rehpinschern, die aufmerksam zu hörten, wenn sie nach ihrer Meinung über ein Kleid gefragt wurden, aber keine Antwort gaben.

      Er kümmerte sich auch um Herrn Meyer und sein Smartphone. Schnell stellte er fest, dass der vermögende Versicherungsmakler eine sehr viel jüngere Freundin hatte. Neben Lobpreisungen gab er dieses Geheimnis auch an Frau Meyer weiter. Er fühle sich verpflichtet, so schrieb er, sie aufzuklären, dass ihr treuloser und undankbarer Ehemann schon lange ein aufwendiges und teures Verhältnis mit einer jungen Deutschspanierin pflegte. Er erfülle ihr jeden Wunsch. Auch ihr Drängen auf seine Unterstützung für eine erfolgreiche Karriere als Schauspielerin unterstütze er mit großem persönlichem und finanziellem Einsatz. Der verliebte Versicherungsmakler nannte sie immer wieder die neue Penelope Cruz. Seine sehr guten Quellen verraten ihm, dass er beabsichtige, sich scheiden zu lassen. Eine E-Mail schloss er mit den Worten: Eigentlich hat er den Tod verdient. Frau Meyer nickte bei der Lektüre dieser Aussage ernst und ballte die Faust. Über die manipulierte Webcam konnte er sie amüsiert beobachten.

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