Robert Helm

Zweimal Morden lohnt sich


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Eile unternahm er den Anstieg. Es würde gut eine Stunde dauern, um an den zukünftigen Unglücksort zu gelangen. Ein Blick auf sein Handy zeigte ihm, dass sich Caroline Falkenberger verspäten würde. Vor einer Woche hatte er sich Zugang zu ihrem Smartphone verschafft, um auch über ihr Bewegungsprofil informiert zu sein, was jetzt sehr hilfreich war.

      Als er ankam prüfte er den Standort seiner Zielperson und schätzte, dass noch gut eine Stunde Wartezeit zu überbrücken war. Rudolph ging circa hundert Meter weiter und verbarg sich hinter zwei großen Büschen, um gegen unliebsame Überraschungen gefeit zu sein, deren Eintrittswahrscheinlichkeit der Mathematiker im Promillebereich sah. Er war höchst konzentriert und spürte wie das Adrenalin anstieg und jeder Muskel in seinem Körper voller Spannung war, seine Gedanken geordnet und ergebnisorientiert. Diesmal war er nicht Zuschauer einer Corrida de toros, sondern befand sich als Akteur mitten in der Arena, was seinem Naturell besser entsprach.

      Es wurde Zeit. Als letzte vorbereitende Maßnahme hatte er mit ein paar Streichhölzern den Flaschenkorken angekokelt und rieb sich den Ruß ins Gesicht. Er zog die schwarzen Latexhandschuhe an und schob eine Mütze mit gewaltigem Schirm tief ins Gesicht. Als er die Felsennische erreichte, sagte ihm das Smartphone der Mountainbikerin, dass er sich höchstens noch eine Minute gedulden müsste. Ihn überkam eine große Ruhe, sein Herz schlug nicht eine Zehntelsekunde schneller. Im Gegenteil.

      Da hörte er sie. Die Handbremsen quietschten leicht und rhythmisch. Geführt von einem ausgeprägten Gleichgewichtsgefühl zwangen die kräftigen Stöße ihres durchtrainierten Körpers das Mountainbike ihr ruckend zu folgen, um beide im Gleichgewicht zu halten.

      Der große Moment war da. Der schwarze Mann trat aus der Felsennische zum exakt richtigen Zeitpunkt. Caroline Falkenberger musste im Lichtkegel ihrer Stirnlampe die schwarzen Umrisse seiner Gestalt wahrnehmen. Wirklich hell waren nur für eine Zehntelsekunde seine leuchtenden Augen in seinem schwarzen Gesicht, die sie anlächelten. Dann blieben seine Augen vom Schirm der Mütze verborgen, um sich nicht von ihrer starken Stirnlampe blenden zu lassen.

      „Verdammter Idiot, pass doch auf!“, schrie sie. Er bemerkte, wie sie dankbar den schützenden Zaun wahrnahm und wie sich ihre Körperhaltung entspannte, als wollte sie schon innerlich auf Entwarnung schalten. Da packte er sie mit seinen zwei kräftigen Händen entschlossen an den Hüften und hievte sie mit Schwung über den Lattenzaun. Auch in ihrem letzten Lebensmoment hatte sie eine rasche Auffassungsgabe und schrie mit sich überschlagender Stimme: „Vitus, du Schwein!“

      Dann hörte er nur noch, wie sie in kurzer Abfolge gegen den felsigen Abhang schlug. Er schüttelte amüsiert den Kopf, schaltete seine Stirnlampe an und warf einen Blick in den felsigen Abgrund, der ihn überzeugte, dass die Mountainbikerin den Sturz nicht überlebt haben konnte. Ihr verdrehter Körper hing tief unten zwischen zwei dünnen Birkenstämmen, so dass ihr helmbewehrter Kopf fast vollständig im Laub vergraben war und ihre Beine in einem hundert Gradwinkel die rechte Birke umschlangen. Sie rührte sich nicht. Er wartete und beobachtete. Keine Bewegung. Schließlich war er überzeugt, seine Mission erfüllt zu haben. Er drehte sich um, suchte den Ausgangsplatz auf, um seinen Rucksack aufzunehmen und den Rückweg anzutreten. Das Mountainbike ließ er so liegen, wie es seinen Platz gefunden hatte.

      Tatsächlich erlaubte der Vollmond den Verzicht auf die Stirnlampe. Das erleichterte einen unauffälligen Abstieg. Er erreichte das Waldstück und legte sein Fahrrad frei und machte sich auf den fünfminütigen Weg zurück zu seinem Leihwagen. Verstaute alles und steuerte gut gelaunt sein Ferienhaus an. Diese Nacht schlief er tief und fest. Sein letzter schläfriger Gedanke galt seinem Freund Vitus und welches Alibi er sich wohl gewählt hatte.

      15. Kapitel

      Freitag, 22. Mai 2009, Karwendel

      Er atmete die frische Bergluft tief ein. So früh am Morgen war er meistens allein unterwegs. Heute führte ihn seine wöchentliche Wandertour ins Karwendelgebirge.

      Seit seiner Frühpensionierung war der Freitag sein Wandertag. Regelmäßig und wetterunabhängig. Beseelt von seinen Eindrücken nutzte er das darauffolgende Wochenende immer, um sich eine neue spannende Route auszudenken. In den Anblick der Berge versunken, stolperte er fast über ein Mountainbike, dass ihm den Weg versperrte. Er spürte, wie ihn heiliger Zorn ergriff. Er hasste Mountainbiker auf schmalen Wandersteigen. So manchen dieser rücksichtslosen Zeitgenossen hatte er schon angebrüllt und beschuldigt, die Ruhe und die Majestät der Natur zu zerstören. Wütend trat er gegen das Hindernis.

      „Am besten werfe ich es den Abhang hinunter. Damit der verdammte Besitzer was zu suchen hat.“, schimpfte er wutschnaubend. Ein Blick nach unten ließ ihm aber das Blut in den Adern gefrieren. Tief am Felsabhang lag regungslos ein Mensch mit verrenkten Gliedern. Als sein Gehirn realisierte, dass der Toten der Kopf fehlte, konnte der achtundfünfzigjährige ehemalige Lehrer nur mit eiserner Disziplin verhindern, dass ihn Übelkeit übermannte. Was soll ich tun, fragte er sich atemlos. Sein Jähzorn wich aufgeregter Betriebsamkeit. Hektisch suchte er sein Smartphone. Er durchwühlte jede Tasche seiner Kleidung und das waren viele: Hosentaschen, Jackentaschen, Innentaschen und Außentaschen. Auch sein Rucksack verfügte über unzählige große und kleine Fächer. Erfolglos. Ratlosigkeit machte sich bei ihm breit sowie die Erkenntnis, dass er umgehend zum Parkplatz Karwendelbahn zurückeilen musste.

      Als er fünfundvierzig Minuten später mit hochrotem Kopf und völlig verschwitztem Wanderhemd sein Auto aufschloss und auf den leeren Handyadapter starrte, ergriff ihn die schiere Verzweiflung. Er musste sein Smartphone zuhause vergessen haben. So blieb ihm nichts anderes übrig als sich in seinen Wagen zu setzen und die nächste Polizeistation anzufahren.

      Sein Jähzorn fand zu ihm zurück, als sich die Polizisten der Dienststelle Mittenwald als begriffsstutzig erwiesen und seine Ausführungen anzweifelten.

      „Auf diesem schmalen schwierigen Wanderpfad radeln keine Mountainbiker“, belehrte ihn der dickliche Polizist im breitesten Bayrisch. Der Mann sprach mit ihm wie er früher seine lateinunfähigen Schüler angesprochen hatte. Ruhig und verächtlich in der Sache. Auch sein Kollege, der hinter dem Tresen an einem der Computerterminals saß und interessiert das Gespräch verfolgte, ließ ihn spüren, dass auch er seine Glaubwürdigkeit stark anzweifelte. Schließlich hatte Erich Dorsch sie soweit überzeugt, dass zwei Polizisten gerufen wurden, um ihn zum Fundort zu begleiten.

      Sonnengebräunt und in bester körperlicher Verfassung stieg Dorsch vorn weg und verfluchte innerlich, die bescheidene Kondition der Ordnungs- und Gesetzeshüter. Unwillig hörte er ihr Schnaufen und Stöhnen. Sie würden mehr als eine Stunde brauchen. Schließlich erreichten sie den Fundort. Erschöpft klammerten sich die Polizisten an dem Holzzaun fest und starrten das Mountainbike an.

      „Nach unten müssen sie schauen.“, raunzte Dorsch die zwei Männer an, dann ging plötzlich alles sehr schnell. Die Beamten forderten eilig die Kollegen von der Kripo, der Bergwacht und der Spurensicherung an.

      „Haben Sie am Unglücksort irgendetwas verändert?“, fragte ihn einer der Polizisten.“

      „Wie kommen Sie darauf?“, Dorsch wollte Zeit gewinnen.

      Der Polizist grinste frech.

      „Nach vorgefundener Lage des Unglückfahrzeuges hätte das Unglücksopfer Anlauf nehmen müssen, um über den Bretterzaun zu stürzen. Und dies noch kopflos. In ihrer ersten Aussage haben Sie das Opfer als kopflos beschrieben.“ Der Polizist schüttelte verständnislos den Kopf.

      „Die Leiche war nicht kopflos?“, stotterte Dorsch.

      Nein. Der war durch trockenes Laub bedeckt. Also haben Sie etwas verändert? Und lügen Sie nicht. Eine Falschaussage kann Sie teuer zu stehen kommen.“

      Ganz strenger Lehrer schlug ihm Dorsch im Geiste mit einem Lineal brutal auf die Finger und dachte, für Leute wie dich ist schon das kleine Latinum eine nobelpreisverdächtige Leistung.

      „Ich bin über das Rad gestolpert, habe mich verheddert und es zwei oder drei Meter mitgeschleift.“ Entrüstet schaute er den Polizisten an. Dieser schüttelte den Kopf, wandte sich ab und murmelte:“ Diesen Burschen sollen die Kollegen von der Kripo vernehmen.“