Robert Helm

Zweimal Morden lohnt sich


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verstarb.

      „Es handelt sich um alte Ölgemälde. Nicht von großer künstlerischer Qualität, aber ich liebe Pferde. Und in Öl lassen sich ihre Wärme und Würde am besten wiedergeben.“ Zum ersten Mal strahlte Emma Weidach ihn an.

      Sie erzählte von ihrer Leidenschaft zu Pferden. Sie ritt gerne aus.

      „Pferde sind Fluchttiere und Herdentiere. Wenn man sich mit ihrer Persönlichkeit beschäftigt, so schätzt man ihre Zuneigung und Wärme.“

      Schließlich erfuhr er, dass sie sich auf Pferde spezialisiert hatte, die unter einer traumatischen Erfahrung litten.

      Sie verstand sich als Pferdetherapeutin.

      Flucht und Herde waren seine Sache nicht, dachte er abschätzig, traumatische Erfahrungen und Psychotherapie schon gleich gar nicht.

      Er schaute auf den Parkettboden und flüsterte: „Wie mitfühlend.“ Er räusperte sich und sagte mit einem entschuldigenden Lächeln: „Ich muss Sie leider verlassen. Der nächste Termin ruft.“

      Ein verständnisvolles Nicken von Emma Weidach begleitete ihr schnelles Aufstehen. Sie wollte offensichtlich dem Gast keinen Kummer bereiten, indem sie ihn unnötig aufhielt. Sie verabschiedeten sich.

      „Sie lassen mir den Termin der nächsten Sitzung des Stiftungsrates zukommen?“

      Sie nickte eifrig und blieb im Hausflur stehen bis er die Ausgangstür erreicht hatte.

      Er war sehr mit sich zufrieden und steuerte den Bayerischen Hof an in der Hoffnung, einen Platz im Restaurant Atelier zu finden, das aus seiner Sicht auf dem besten Wege war sich die Sterne zu erobern, nach denen auch er griff.

      Eine Woche später nahm er an der ersten Sitzung des Stiftungsrates teil, die in den Räumlichkeiten der Firma WEIDACH IMMOBILIEN stattfand. Er wurde durchaus freundlich von drei alten Herren empfangen, die in der Stadt etwas zu sagen hatten: ein ehemaliger bayerischer Minister, ein bekannter Bauunternehmer und der Kardinal.

      Emma Weidach, ganz in Schwarz gekleidet, stellte ihn und seine Beweggründe vor:

      „Vom Saulus zum Paulus. Wie keine andere Geschichte der katholischen Kirche steht diese für Schuld und Sühne, Gnade und Erlösung, Bekehrung und Zuversicht.“

      Der Kardinal lächelte milde und tätschelte den Neuankömmling wohlwollend an der Schulter. Rudolph wurde übel. Er lächelte den Würdenträger mit leeren Augen an. Dann wandte er sich seiner Gastgeberin zu und erkannte, dass sich diese schwere Prüfung doch lohnte. Sie strahlte überglücklich. Er wurde neben Emma Weidach zum zweiten Vorstand der Stiftung gewählt, als Nachfolger ihres verstorbenen Vaters. Sie bat ihn nach der Sitzung zur Feier dieses Ereignisses um einen kurzen Besuch des Domes zu unserer Lieben Frau, um angemessen Einkehr zu halten. Rudolph brauchte eine Weile bis er verstand, dass sie die Frauenkirche meinte.

      Als beide den Dom betraten, flüsterte sie: „Nicht auf den Teufelstritt treten, dass bringt Unglück.“

      Er schaute nach unten und sah den Abdruck eines Fußes mit einem Sporn an der Ferse. Das könnte meine Schuhgröße sein, dachte er und umging den Abdruck mit einem Schritt zur Seite.

      Er verbrachte viel Zeit mit regelmäßigen Besuchen eucharistischer Gottesdienste. Emma war eine pflichtbewusste Kirchgängerin. Rudolph begann bereits daran zu zweifeln, dass Nietzsche mit seinem Ausruf „Gott ist tot“ recht hatte. Auch begleitete er seine Freundin auf ein Gestüt in der Nähe von Bernbeuren, dort betreute sie zwei Pferde. Als sie ihn zu Reitstunden überreden wollte, verwies er auf einen kaum ausgeheilten Bandscheibenschaden.

      Er lernte die weitläufige Familie kennen und spürte deren Zurückhaltung ihm gegenüber. Manche begegneten ihm sogar offen mit Misstrauen.

      Fünf Monate später war es ihm ein Leichtes Emma davon zu überzeugen, dass seinem und ihrem Glück nur noch der göttliche Segen fehlte. Bald darauf war die standesamtliche und kirchliche Trauung angesetzt. Letztere wurde, in der Herz Jesu Kirche in München Neuhausen vollzogen. Der quaderförmige Bau des Gotteshauses war an der Vorderseite mit zwei mächtigen die ganze Front abdeckende Flügeltüren versehen, die aufgeschoben wie das Maul eines Molochs wirkten, in dem die einschreitenden Hochzeitsgäste zu den Klängen von Mendelssohn-Bartholdys-Hochzeitmarsch für immer verschwanden. So erschien es zumindest dem Bräutigam. Aber seine Selbsteinschätzung sagte ihm, dass er sich aus diesem Schlund befreien würde.

      7. Kapitel

      Montag, 20. April 2009, Lugano

      Kurz nach ihrer einwöchigen Hochzeitsreise nach Rom mit einem ausgiebigen Vatikanbesuch fuhr Rudolph allein nach Lugano weiter. Vom Panoramafenster seines Hotelzimmers konnte er weite Teile des prachtvollen Sees betrachten, der sich verschlungen seinen Platz in den Bergen erobert hatte. Er mied den Frühstücksraum und verließ das Hotel, um in der Nähe des Ufers einen Kaffee zu trinken. Heute war ein wichtiger Tag. Seine Lektüre der Neuen Züricher Zeitung bestätigte dies.

      Der Internationale Währungsfonds erhöhte die Prognose der Abschreibungsverluste auf US-Finanzpapiere von 2,2 auf 2,7 Billionen US-Dollar und veröffentlichte zum ersten Mal eine Schätzung für Gesamtverluste in den USA, Europa und Japan in Höhe von vier Billionen US-Dollar. Das waren schlechte Nachrichten und keiner wusste, ob das Schlimmste schon vorbei war.

      Da spielt das unglückliche Schicksal von zwei glücklichen Ehefrauen keine wirklich wichtige Rolle, dachte er, faltete die Zeitung zusammen und ging bedrückt aber entschlossen zum Hotel zurück. Er würde dem Finanztsunami nicht zum Opfer fallen. Er musste die nächsten Schritte unternehmen. Es war an der Zeit, aufzubrechen. Eineinhalb Stunden Autofahrt trennten ihn von seinem Ziel: Mailand.

      8. Kapitel

      Montag, 20. April 2009, Mailand

      Vitus Blecher spazierte durch das Goldene Karree. Ein Flecken Erde, der für ihn geschaffen schien. Der Gedanke amüsierte ihn. Er startete am Corso Matteotti und verlor keinen Gedanken an die in unmittelbarer Nähe liegenden Tempel der Musik und Gottesfurcht, sondern bog in die Via Monte Napoleone ein. Dort erwartete ihn ein Meer von neoklassizistischen Häusern und in den Erdgeschossen der Adel der klassischen Mode: Ferragamo, Gucci, Etro, Louis Vuitton, La Perla, Ermenegildo Zegna, Prada, Marella Bruni. Blecher war beladen mit drei großen Einkaufstüten. Die Shoppingtour hatte sich für ihn gelohnt. Er besuchte einen der schönen Innenhöfe und bestellte in einem Café einen Espresso. Er war glücklich, fast euphorisiert und frisch verheiratet

      Die bescheidene standesamtliche Trauung hatte Anfang April in der vornehmen Mandlstraße stattgefunden. Blecher war zum potentiellen Erben aufgestiegen. Ihn und auch seine angeheiratete Verwandtschaft hatte es überrascht, dass die glückliche Braut auf einen Ehevertrag verzichtet hatte. Sie hatte es ihm gegenüber schmunzelnd damit begründet, dass sie an seine große Karriere glauben würde. Er sei ihr bestes Investment. Davon verstünde sie was.

      Er blickte versonnen in den mailändischen Himmel und dachte nur, schade für dich. Du hättest dir in Erinnerung rufen sollen, dass du vor allem deinen Reichtum sinkenden Kursen über den Einsatz von Verkaufsoptionen verdankst. Ab jetzt sinkt dein Kurs, und ich bin nicht deine Verkaufsoption, die dich davor schützt.

      In einer Stunde würde er Rudolf treffen. Sie würden auf seiner Suite eine Kleinigkeit zu Mittag essen und anschließend ihre jeweiligen Pläne vorlegen und deren Umsetzbarkeit diskutieren. Von seinem Plan war er begeistert und hoffte inständig, dass sein Partner auch etwas gefunden hatte, dass er sich umzusetzen traute. Eine heimliche Freude erfasste ihn jedes Mal, wenn er vor seinem geistigen Auge das zukünftige Schicksal seiner Gattin Revue passieren ließ. Ihr krankhafter Hang zum Risiko und ihr geliebtes Hobby würde er sich zunutze machen.

      9. Kapitel

      Montag, 20. April 2009, Mailand

      Rudolph steuerte seinen Panamera in eine private Tiefgarage. Er hatte einen Stellplatz vorgebucht. Dann ging er über ein tristes Treppenhaus nach oben Richtung Dom. Immer wieder beeindruckte ihn die majestätische Erscheinung dieser gewaltigen gotischen Kirche. Der große Vorplatz bot eine atemberaubende Bühne dafür. Die Mauern bestanden aus weißen Marmorblöcken.