Heidy Fasler

Liebe-VOLL AUSGENOMMEN


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      Als Rita Elsino sich Anfang Dreißig scheiden ließ, lag es ihr fern, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen, zumal ihr der Lohn, den sie für ihre Qualifikationen erhalten würde, nur einen bescheidenen Lebensstil erlaubt. Ein solches Leben zu fristen entsprach weder ihren Erwartungen noch ihren Wünschen und sie suchte nach einem Weg, der ihr ohne großen Aufwand ein bequemes Leben ermöglichen wird. Einen reichen Mann zu angeln, bleibt ihr verwehrt. Dazu fehlen ihr das Aussehen, das Benehmen und die Intelligenz. Sie weiß aber, dass es viele ältere Menschen gibt, die zwar nicht wohlhabend sind, aber so viel auf die Seite gelegt haben, dass es sich lohnt, ihnen die Ersparnisse abzuknöpfen.

      Sie baut trickreiche Lügengebilde auf, verfälscht Informationen, setzt bei Männern ihre sexuelle Anziehungskraft ein, treibt Situationen auf die Spitze und schafft bewusst falsche Voraussetzungen, damit ihr die Opfer bereitwillig unter die Arme greifen.

      Ältere Männer haben für sie den Vorteil, dass sie nicht mit ihnen ins Bett steigen muss, weil sich bei den meisten sexuell nichts mehr regt. Trotzdem erlischt im Alter die Erotik nicht und Liebe kennt keine Altersgrenzen, man muss nur auf die richtigen Tasten drücken. Genau das weiß Rita auszunutzen, um Kapital daraus zu schlagen. Wehe dem, der sich ihr entgegenstellt, sie kennt weder Skrupel noch Moral. Am Anfang machte sie ein paar Fehler, die sie bei der Polizei aktenkundig werden ließen. Doch sie lernte dazu und beherrscht heute ihr Handwerk besser denn je.

      1

      Wir schreiben das Jahr 2005.

      Darf ich mich vorstellen? Ich heiße Corinne Miller, geborene Graf, war mit Zwanzig das, was man eine flotte Biene nennt, bin mittlerweile fünfzig Jahre alt und seit fast dreißig Jahren glücklich mit meinem Mann David verheiratet. Zusammen haben wir eine Tochter, die inzwischen selbst eine Familie gegründet und eine kleine, süße Tochter hat. Es geht uns allen gut und ich fühle mich auch sonst vom Leben privilegiert. Wir sind nicht wohlhabend, kommen aber gut über die Runden. Meinen Reichtum empfinde ich durch meine Familie. Ich hatte eine liebevolle, fürsorgliche Mutter, habe einen inzwischen betagten, aber immer noch rüstigen Vater und pflege mit meinen drei Geschwistern einen regen freundschaftlichen Kontakt. Keiner von uns hat ein besonderes Talent, oder einen akademischen Titel. Kurz, wir sind eine ganz normale Familie. Wir haben einen starken Zusammenhalt, für den wir, je nach Betrachtungsweise, bewundert, oder beneidet, werden. Es hat sich so ergeben, dass ich, seit dem Ableben unserer Mutter vor fünf Jahren, ein bisschen in ihre Rolle geschlüpft und zum Dreh- und Angelpunkt für die Familie geworden bin. Wer mir zum ersten Mal begegnet, erkennt meine emotionale Energie und meine Zielstrebigkeit nicht auf Anhieb. Lernt man mich aber näher kennen, werden meine intensiven Gefühle und Fürsorge ersichtlich, vor allem für Menschen, die mir nahestehen. Zu meinen Schwächen gehören Ungeduld und dass ich vieles hinterfrage.

      In diesem Jahr verspricht die Wetterprognose für den heutigen Sonntag, Mitte Juli, einen schönen Sommertag und es soll sogar 32 Grad heiß werden. Nichts deutet darauf hin, dass ich in eine Geschichte hineingezogen werde, die mein Leben nachhaltig verändern und mich in den Grundfesten erschüttern wird. Auch meine Familie wird danach nie mehr dieselbe sein.

      Kein Wölkchen ziert den blauen Himmel, als ich am Vormittag fröhlich und unbeschwert mit unserem Hund Struppi eine kurze Runde drehe. David und ich wollen danach zu unserer Tochter Kelly fahren, die heute Geburtstag hat.

      Nachdem Kelly ausgeflogen ist, sind wir von Kaltbad, einem kleinem Kaff auf dem Lande, weg ins Nachbardorf und dort in einem Mehrfamilienhaus in eine Mietwohnung gezogen. Dann haben wir uns einen Hund angeschafft. Weil David sein männliches Ego nicht mit einer speziellen Hunderasse aufpolieren muss, haben wir uns in einem Tierheim umgesehen und uns für einen zweijährigen, mittelgroßen Mischlingshund entschieden, den wir sofort ins Herz geschlossen haben. Wegen seinem dreifarbigen, in alle Richtungen abstehenden Fell, taufte Lynn, Kellys Tochter und unsere mittlerweile sechsjährige Enkelin, ihn um und gab ihm den Namen Struppi.

      David verstaut gerade einen Korb mit bunt verpackten Geschenken in den Wagen, als ich zurückkomme. Er lässt Struppi im Wagen in die Boxe springen, ich hole in der Wohnung die restlichen Sachen, schließe die Haustüre und setze mich neben David auf den Beifahrersitz. Wir fahren zuerst nach Kaltbad, weil wir meinen Vater abholen wollen, der mit uns zu Kelly fährt. Mein Vater ist Wittwer, neunundachtzig Jahre alt, vierfacher Vater, mehrfacher Groß- und einfacher Urgroßvater. Dazu gehören zwei Schwiegersöhne, einer davon ein Ex-, und zwei Schwiegertöchter, eine davon in spe.

      Er wohnt in einem Außenquartier in einem Wohnblock, der in den fünfziger Jahren erbaut worden ist. Früher gab es an dieser Straße noch einen zweiten identischen Block, ansonsten war alles von grünen Matten und Obstbäumen umgeben. Heute ist alles verbaut. Mein Vater wohnt in einem dieser Blöcke im zweiten Stock und noch immer in der Vierzimmerwohnung, in der ich zusammen mit einer Schwester und zwei Brüdern aufgewachsen und groß geworden bin. Mit diesem Ort verbinde ich viele schöne Erinnerungen, an meine Kindheit, an meine Jugendzeit und an meine Eltern.

      2

      Um meine Familie zu verstehen, muss ich in die Vergangenheit schweifen und beginne dabei mit meiner Mutter. Meine Mutter ist mit zwei Geschwistern bei liebevollen Eltern, aber in großer Armut aufgewachsen und fand, als blutjunge Frau, Arbeit als Hausmädchen bei einer reichen Familie. Auch wenn sie im Dienstbotenzimmer schlafen und dem bequemen Leben ihrer Herrschaft zudienen musste, eignete sie sich den Anstands- und Höflichkeitsstil ihrer Arbeitgeber an und verbesserte damit ihre Stellung. Sie durfte diese Familie auf zahlreichen Reisen begleiten, lernte eine Fremdsprache, und wurde in Sachen Bildung von ihrer Herrschaft unterstützt und gefördert.

      Auf einer Reise lernte sie meinen Vater kennen und besuchte ihn, nach einem Briefwechsel, in seinem Heimatdorf. Er hatte ihr verschwiegen, dass er geschieden und Vater eines Sohnes ist. Darum schenkte sie dem dreijährigen Kind, namens Frank, das in der Wohnung von Vaters Mutter hemmungslos auf dem Küchentisch tanzte und sich weigerte, ihr die Hand zu geben, keine große Beachtung.

      Nach einer großen Verlobungsfeier im Beisein beider Familien, mit Geschenken und allem Pipapo, gingen meine Mutter und mein Vater aufs Standesamt, um das Aufgebot für ihre Eheschließung zu bestellen. Erst dort, erfuhr meine Mutter, dass ihr zukünftiger Mann geschieden und an das Kind gebunden ist, welches sie in der Wohnung ihrer zukünftigen Schwiegermutter angetroffen hat. Durch die damaligen gesellschaftlichen Gepflogenheiten wäre eine abgesagte Hochzeit einer großen Schande gleichgekommen. Meine Mutter entschied sich gegen die Schande und fügte sich in ihr Schicksal. Pflichtbewusst, wie sie es ihr Leben lang war, nahm sie den vierjährigen Buben mit der Heirat in ihr Leben auf.

      Leicht hatte sie es nicht. Jedes Mal, wenn Frank von einem Besuch bei der Großmutter zurückkam, musste sie mit ihrer Annäherung wieder von vorne beginnen. Als Franks Benehmen im Beisein der Großmutter wieder mal aus dem Ruder lief, wandte sie sich an seinen Vater und bat ihn, sich erzieherisch einzubringen. Darauf zog die Großmutter eine Hand auf und richtete diese, zum Erschrecken meiner Mutter, nicht gegen Frank, sondern gegen seinen Vater. Meine Mutter verlangte darauf den Wegzug, möglichst weit weg von seinem Heimatdorf. Nach dem Krieg boomte die Wirtschaft und mein Vater fand rasch eine neue Stelle. So verschlug es die junge Familie nach Kaltbad, ein wachsendes Dorf in der Nähe einer mittelgroßen Stadt.

      Nachdem sich die junge Familie dort niedergelassen hatte, kam nach einem Jahr Antonia zur Welt, die von allen nur Toni genannt wird, fünf Jahre später wurde ich geboren und nach weiteren zwei Jahren machte Robert, das Nesthäkchen, die Familie komplett.

      Unsere Mutter verstand es hervorragend, keines von uns vier Kindern zu bevorzugen, oder zu benachteiligten. Frank wurde für uns von Anfang ein vollwertiger Bruder, auch auf der emotionalen Ebene. Der einzige bemerkenswerte Unterschied zwischen uns bestand darin, dass Frank von der Großmutter väterlicherseits mehrmals pro Jahr, ein an ihn persönlich adressiertes Paket mit Süßigkeiten erhielt, und Mutter uns Franks Vorzugsbehandlung seitens der Großmutter erklären musste. Deshalb war es nie ein Geheimnis, dass wir vier denselben Vater, aber nicht dieselbe Mutter haben. Weil Frank uns von den Süßigkeiten immer etwas