Heidy Fasler

Liebe-VOLL AUSGENOMMEN


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Tisch: »Weiß jemand von euch, dass Frank eine Patentochter hat?«

      Alle sehen sich fragend an und zucken ahnungslos mit den Schultern. Niemand hat eine Ahnung. Wie auch. Wir haben in der Familie einen engen Kontakt und wissen deshalb fast alles voneinander. Zudem hätte es Lore, seine Frau, bestimmt schon früher erzählt, wenn sie diesbezüglich etwas gewusst hätte. Sie ist in dieser Hinsicht ein kleines Plappermaul. Andererseits gibt es auch für Zweifel keinen Anlass, wir sind immer ehrlich zueinander.

      »Doch«, erklärt Vater. »Frank war mit ihrer Familie befreundet, hat aber nach der Taufe den Kontakt verloren. Kürzlich hat er Rita aus purem Zufall getroffen und beim Gespräch mit ihr festgestellt, dass er ihr Patenonkel ist.«

      »Ist sie nett?«, fragt Sandra

      »Sehr. Ich habe mich ein bisschen in sie verliebt.«

      »Oh je! Jetzt bürdest du dir in deinem Alter Liebeskummer auf«, versucht Sandra ihn zu trösten. Sie hat sich ausgerechnet, dass diese Frau, als Franks Patenkind, einiges jünger, als ihr Opa sein muss und sie ihm deshalb kein Interesse entgegenbringen wird, das über diese zufällige Begegnung hinausgeht.

      »Nein, nein«, strahlt Vater. »Es ist nicht einseitig. Sie hat sich auch ein bisschen in mich verliebt und will in Zukunft viel Zeit mit mir verbringen.«

      Er ist ganz aus dem Häuschen und wir freuen uns für ihn. Ein hohes Alter bedeutet nicht die Endstation der Gefühle und er sehnt sich bestimmt wieder nach einer liebevollen Partnerin. Die Männer ziehen ihn auf, weil er in seinem Alter noch auf Freiersfüßen steht, nennen ihn, wegen seiner Vorliebe für die Berge, Alpen-Casanova und klopfen ihm gratulierend auf die Schulter. Vater lacht stolz bei jedem Spruch mit und ist sichtlich erfreut, dass man ihm sein neues Glück gönnt.

      Wir Frauen sind erpicht, mehr über diese Frau zu erfahren, die sein Herz erobern konnte, denn er war noch nie ein Draufgänger, macht keine Komplimente, jedenfalls haben wir nie eines von ihm gehört, und ist mittlerweile etwas langsam geworden. Wir sind uns einig, dass wir jede Frau akzeptieren, solange sie unserer Mutter das Wasser reichen kann. Sollte sie ein altbackenes Mutti sein, das keinen anderen Gesprächsstoff kennt, als ihre Kochrezepte, oder darüber diskutieren will, was sinnvoller ist, die Bettwäsche, oder die Hemden zuerst zu bügeln, würde sie definitiv nicht in unsere Familie passen. Daher sind wir sehr gespannt, was Vater über sie erzählt und wie er sie beschreibt.

      Kelly, die mit einer Getränkeflasche um den Tisch gelaufen ist und die Gläser nachgeschenkt hatte, bleibt bei Vater stehen. Sie weiß, dass wir ihn gleich mit Fragen überhäufen werden. Das ist in unserer Familie üblich, wenn etwas Neues, oder etwas Außergewöhnliches passiert.

      »Wie heißt sie?«, frage ich ihn.

      »Rita. Rita Elsino.«

      Der Name sagt uns nichts. Da Vater von sich aus nichts mehr preisgibt, bohren wir weiter und hoffen, dass wir ihm nicht alles aus der Nase ziehen müssen.

      »Und wie alt ist sie?«, will Toni wissen.

      »Fünfundvierzig. Und sie sieht super aus.«

      Beinahe hätte ich auf die Gabel gebissen, die ich mir in diesem Moment mit einen Stück Kuchen in den Mund gesteckt habe. Der Altersunterschied ist eindeutig zu groß. Vater ist alles andere, als wohlhabend, das kann nicht der Grund für ihr Interesse an ihm sein. Entweder ist diese Frau abgrundtief hässlich, oder sie findet aus einem anderen Grund keinen Mann.

      »Was? Und die hat sich in dich verliebt?«, frage ich hustend, weil mir der Bissen im Hals stecken geblieben ist.

      »Ja, ein bisschen. Hat sie jedenfalls gesagt«, schmunzelt er, und zieht eine neue Zigarre aus der Schachtel, die vor ihm auf dem Tisch liegt.

      »Du bist Neunundachtzig. Sie ist mehr als die Hälfte jünger als du, sogar jünger als ich und Robert«, erwidere ich lauter, als beabsichtigt.

      Am Tisch ist es mucksmäuschenstill geworden und alle richten ihren Blick auf Vater, der die Zigarre mit einem Streichholz ansteckt und sich damit viel, sehr viel Zeit lässt. Er weiß, dass wir nicht dumm sind und deshalb ein objektives Urteil fällen können. Unter seinen halb geschlossenen Augenlider blinzelt er in die Runde und versucht die Stimmung abzuwägen. Kaum macht er den ersten Zug, fallen alle mit Fragen über ihn her.

      »Ist sie hässlich? Hat sie einen Buckel, oder sonst einen Makel?«

      Frohgelaunt bläst er den Rauch aus dem Mund.

      »Sie sieht blendend aus und sagte, dass sie auch mich sehr attraktiv findet.«

      »Und das glaubst du?«, frage ich stirnrunzelnd, während sich die anderen skeptische Blicke zuwerfen.

      »Warum nicht? Ich kann doch nichts dafür, dass sie sich in mich verliebt hat«, antwortet er trotzig.

      »Vielleicht ist sie eine Abzockerin. Man liest das jetzt oft in der Zeitung«, wirft Sandra ihre Bedenken ein.

      »Vielleicht ist sie harmlos und Vater überschätzt ihre Komplimente«, ergreift Toni für Vater Partei.

      »Nein, sie findet mich interessant und will so oft wie möglich bei mir sein. Das hat sie mir versprochen«, wehrt Vater sich gekränkt. Er ist enttäuscht, dass sich unsere anfängliche Freude in ein Misstrauen umgeschlagen hat.

      Wir finden keinen Grund, der das Interesse dieser Frau an Vater erklären könnte und löchern ihn weiter mit Fragen. Nur ich werde immer stiller und nachdenklicher. Manchmal habe ich einen siebten Sinn und kann über Menschen in meiner Umgebung prophetische Aussagen machen. Da wir bisher noch nie von dieser Frau gehört haben, schrillen jetzt meine Alarmglocken und lösen in mir ein mulmiges Gefühl aus.

      Munter reden alle auf ihn ein. Vater zieht bei jeder Frage und bei jedem Einwand beide Hände in die Höhe, zuckt mit den Schultern und setzt eine ‚ich habe keine Ahnung um was es geht' Gesichtsmiene auf. Ich kenne das. Diese nonverbale Kommunikation setzt er ein, wenn er Kritik befürchtet, oder wenn man ihn für etwas zur Verantwortung ziehen will. Jetzt unterbindet er auf diese Weise die Fragen. Sandra lässt sich nicht so leicht abwimmeln und gibt ihm zu verstehen, dass er nicht zu gutgläubig sein darf, weil viele jüngere Frauen, die sich älteren Herren an den Hals werfen, es oft nur auf deren Geld abgesehen hätten.

      Vater hört ihr eine Weile zu und erwidert dann heftig: »Das trifft bei Rita nicht zu. Geld spielt keine Rolle, sie hat selbst genug davon. Ich verstehe euch nicht. Sie hat sich doch an mich herangemacht, nicht ich mich an sie.«

      »Gerade das ist suspekt. Mir gefällt das nicht. Pass auf, diese Person führt vielleicht nichts Gutes im Schilde und obwohl sie Franks Patentochter ist, habe ich kein gutes Gefühl«, warne ich ihn.

      Vater zieht die Hände hoch. Für ihn ist das Thema erledigt. Kellys Mann hat inzwischen den Grill angeworfen. Die Männer gesellen sich zu ihm und sind froh, dem Thema zu entkommen, das uns Frauen noch beschäftigt, als wir Kelly beim Aufbau des Buffets helfen. Als ich mich später am Salatbuffet bediene, stellt sich mein Bruder Robert an meine Seite und flüstert mir zu: »Nimm diese Frau mal unter die Lupe.«

      »Mach ich«, verspreche ich, und gehe mit dem gefüllten Teller an meinen Platz zurück.

      4

      Außer in der Natur ist mein Vater ein unsicherer Mensch. Zumindest ist das unser Eindruck, weil er oft, wie jetzt, Mühe hat, die Sache mit Rita richtig einzuschätzen. Ich schreibe diese Unfähigkeit seiner Kindheit zu, obwohl es durchaus ein paar Dinge gab, die sein Selbstbewusstsein hätten stärken können.

      Er ist als uneheliches Kind bei seiner Mutter aufgewachsen, die Zeit ihres Lebens ledig geblieben ist. Seinen Vater, obwohl bekannt, hat er nie kennen gelernt. Nur ein einziges Foto ist Zeugnis seiner Existenz und zeigt das Portrait eines jungen flotten Soldaten, der durch den ersten Weltkrieg in das Heimatdorf seiner Mutter gespült wurde. Der junge Soldat und Vaters Mutter wurden ein Liebespaar und wollten, da sie schwanger war, heiraten. Doch bevor sie die Verbundenheit amtlich besiegeln lassen konnten, wurde er an die Front berufen und kam dort vermutlich ums Leben, denn obwohl er versprach