Heidy Fasler

Liebe-VOLL AUSGENOMMEN


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noch ein paar Arbeitsjahre bevor, und anders, als viele meinen, verfügt man mit einer eigenen Firma nicht automatisch über Geld. Nur produktive Stunden generieren Einnahmen, Ferien und Feiertage sind nicht entschädigt und allein die Fixkosten, die Marc und ich uns teilen - für den Lohn ist jeder selbst verantwortlich - verschlingen den größten Teil meines erwirtschafteten Ertrages.

      Weil ich so früh im Büro bin, herrscht am diesem Montagmorgen noch herrliche Ruhe, aber meine Ungeduld ist kaum zu zügeln. Zuhause habe ich keinen Computer, an dem ich etwas nachsehen könnte. Ich verbringe im Büro so viel Zeit am Computer, dass ich in der freien Zeit keinen sehen will. Wenn ich privat einen brauche, erledige ich es im Büro.

      In der kleinen Küche mache ich mir einen Kaffee, nehme die Tasse mit in mein Büro und schließe die Türe. Marc und Lena sollen nicht gleich sehen, womit ich beschäftigt bin, wenn sie eintreffen. Ich starte den Computer und gebe im Google den Namen 'Rita Elsino' ein. Außer ihrer Adresse in einem Telefonverzeichnis fördert das Internet nichts zutage. Resigniert lehne ich mich auf meinem Stuhl zurück und überlege, wie sich sonst etwas über diese Frau in Erfahrung bringen lässt.

      Unsere Agentur ist Mitglied bei einem Unternehmen, bei dem wir für Neukunden Auskunft über deren Bonität einholen, vielleicht haben sie dort mehr Informationen. Ich schaue auf die Uhr, es ist kurz nach acht, das Büro müsste besetzt sein. Ich nehme das Telefon in die Hand und wähle die Nummer.

      Mein Anruf wird von einer freundlichen Dame entgegen genommen.

      »Guten Tag. Mein Name ist Corinne Miller. Ich hätte gerne eine Auskunft über eine Frau namens Rita Elsino.«

      »Moment bitte.«

      Während ich warte, wächst meine Spannung. Nur Personen, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen, werden erfasst und registriert.

      »Sind Sie noch da?«, tönt es aus dem Hörer. »Rita Elsino? Wohnhaft in Mattendorf?«

      Ich erinnere mich schwach, dass Vater diesen Ort erwähnte. Sie hat demnach etwas gefunden. Das ist nicht sehr beruhigend.

      »Genau«, gebe ich zur Antwort.

      »Die Bonität ist rot. Dunkelrot. Wir haben hier Betreibungen und mehrere Schuldscheine verzeichnet. Sie verlangen am besten eine Vorauszahlung, wenn Sie einen Auftrag von dieser Dame entgegen nehmen sollten.«

      »Vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen«, beende ich das Gespräch.

      Also doch. Die Auskunft war ein Schlag ins Gesicht. Einen Augenblick bin ich wie benommen. Das erklärt, weshalb Rita unserem Vater Honig um den Mund schmiert. Glücklicherweise hat er kein Vermögen und auch kein Erspartes. Da wird nicht viel zu holen sein. Aber vielleicht ist sie auf seine Rente scharf. Wenn sie ihn nur bezirzt, um ihn auszunehmen, wäre es sehr gemein.

      Ich muss meine beiden Geschwister informieren. Nach ihrer Scheidung hat es Toni wegen ihrer Arbeitsstelle in den Norden von Deutschland verschlagen und sie muss, wenn sie uns besucht, dafür eine Reisezeit von drei Stunden in Kauf nehmen. Dafür telefonieren wir öfters miteinander. Ich nehme den Hörer wieder in die Hand und rufe sie an.

      »Es sieht nicht gut aus. Diese Frau hat Schulden.«

      Am anderen Ende ist es ungewöhnlich still und es vergeht eine Weile, bis Toni sich gefasst hat.

      »Verdammt, was machen wir jetzt?«, fragt sie.

      »Keine Ahnung.«

      »Ist sie verheiratet?«

      »Keine Ahnung.«

      »Die nimmt Vater aus wie eine Weihnachtsgans.«

      »Damit ist zu rechnen.«

      »Vater hat gesagt, sie hat sich an ihn herangeschmissen, nicht umgekehrt, da steckt eine Absicht dahinter. Warne ihn. Unbedingt!«

      »Ich rede mit ihm.«

      »Mach das. Am besten noch heute.«

      Ich beende das Telefon mit Toni und rufe Robert an. Nachdem ich auch ihm Bericht erstattet habe, erteilt er mir den Rat, alles zu beobachten und erst einzugreifen, wenn Geld fließen sollte. Es tut mir leid, dass ich Vater die Hiobsbotschaft überbringen und ihm das Herz brechen muss. Liebend gern würde ich ihm den Kummer ersparen, aber ich sehe keine andere Möglichkeit, ihn vor dem zu bewahren, was auf ihn zukommen wird. Je früher er von den Schulden dieser Frau erfährt, desto besser ist es. Er kennt sie noch nicht so lange, deshalb werden sich seine Emotionen für sie in Grenzen halten. Er darf auf keinen Fall ihren Beteuerungen Glauben schenken. Inzwischen ist Lena eingetroffen und sitzt an ihrem Arbeitsplatz in der Lobby. Beim Hinausgehen rufe ich ihr zu, dass ich nur kurz weg bin und hoffe auf der Fahrt, dass Vater noch zu Hause und nicht bereits auf dem Weg zu seinem Stammtisch ist.

      6

      Manchmal staune ich immer noch, wie gut Vater sein Leben meistert und wie er es verstanden hat, sich einen neuen Bekanntenkreis aufzubauen. In den ersten Monaten als Witwer, als er nach ein paar Besorgungen nicht in die Leere seiner Wohnung zurückkehren wollte, hatte er beschlossen, im Dorfzentrum noch einen Kaffee zu trinken.

      Kaltbad ist ein kleines Dorf in einer ländlichen Gegend. Es liegt auf einer leicht erhöhten Sonnenterrasse in der Agglomeration einer nahen Stadt. Auf der einen Seite grenzt es an einen Hang mit Buchenwäldern und auf der anderen Seite bietet es einen wunderschönen Ausblick auf die Ebene, durch die sich ein breiter Fluss schlängelt. Nebst einer Industriefabrik am Rande, findet man im Dorf Handwerksbetriebe und fünf aktive Bauernhöfe, wovon zwei außerhalb inmitten von Grünzonen liegen. Da es früher eine reine Arbeitersiedlung war, wechseln sich in den Quartieren Wohnblöcke und Einfamilienhäuser ab und erst in den siebziger Jahren kamen an der Hanglage ein paar Villen dazu. Menschen aus allen sozialen Schichten sind hier ansässig. Man kennt sich persönlich, oder mindestens vom Sehen. Zahlreiche Vereine jeglicher Art tragen zu einem aktiven Dorfleben bei und Bräuche werden gehegt und gepflegt. Zudem ist es mit seiner Nähe zur Autobahn und dem eigenen Bahnhof verkehrstechnisch sehr günstig gelegen. Mitten im Dorfzentrum steht auf dem großen, von alten Kastanienbäumen umsäumten Platz, ein großer Brunnen, an dem Bauern und Reiter ihre Pferde tränken und im Sommer Kinder baden. In die alten und schön restaurierten Häuserzeilen, sind eine Bäckerei mit einem kleinen Café, eine Pizzeria und ein Restaurant, der ‚Bären‘ eingegliedert. In den warmen Monaten stellen die Gastwirte Tische und Stühle hinaus und bewirten die Gäste draußen. In den Bären, mit seiner gemütlichen und unkomplizierten Gastlichkeit, kehren die Kaltbader gerne nach den Turn- und Musikübungsstunden ein.

      Mein Vater war weder Stammgast in einem der Restaurants, noch Mitglied eines Vereins und kannte deshalb nicht so viele Leute im Dorf. Er suchte sich vor dem Restaurant Bären einen freien schattigen Platz, setzte sich hin und bestellte einen Kaffee. Während er daran nippte, schaute er sich schüchtern um. Der Nebentisch füllte sich langsam mit älteren Herren, im Durchschnitt um die siebzig Jahre alt, die nach und nach eintrudelten und sich gut zu kennen schienen. Mit der Zeit zog ihn einer der Senioren über den Tisch hinweg in die Unterhaltung mit ein und Vater beantwortete bereitwillig die Fragen, die die Senioren stellten. Als sie erfuhren, wie alt er ist, waren sie tief beeindruckt. Sie kannten viele, die in diesem Alter auf einer Pflegestation liegen, senil sind, oder nicht mehr wissen, was um sie herum geschieht. Jetzt saß da ein rüstiger alter Herr, gesund und geistig klar. Sie haben ihm angeboten, sich an ihren Tisch zu setzen und dankbar nahm Vater dieses Anbot an. Er fühlte sich sehr geschmeichelt, dass er zu dieser fröhlichen Runde gehören durfte. Von diesem Tag an, gehört der Stammtisch im Bären zu seinem festen Vormittagsprogramm. Wenn es die Auftragslage mir erlaubt, schließe ich mich einmal pro Woche auf einen schnellen Kaffee dieser Gesellschaft an und kenne inzwischen seine Stammtischfreunde. Alles nette Senioren, bereits pensioniert, aber einiges jünger wie Vater.

      Als ich bei Vater bin, ist er fertig angezogen und wollte gerade gehen. Ich grüße ihn wie gewohnt mit Küsschen auf jede Backe, ziehe ihn am Arm ins Wohnzimmer und bleibe dort stehen.

      »Papa, ich muss mit dir reden.«

      »Was ist los?«, fragt er und bleibt ebenfalls