Heidy Fasler

Liebe-VOLL AUSGENOMMEN


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ergötzt. Dem Gespür der Wirtin ist das Geschehen nicht entgangen. Sie kommt an unseren Tisch und stellt vor jedem eine Schale mit Vanilleeis ab. »Ein Geschenk des Hauses, zum Abkühlen«, zwinkert sie spitzbübisch in die Runde. Dann legt sie mir eine Hand auf meine Schulter und flüstert mir ins Ohr: »Nimm es nicht so ernst, es sind eben Männer.«

      Es ist noch nicht so lange her, seit wir in dieser Formation, natürlich ohne Rita, im Birkland in Eintracht zusammengesessen sind. Die Stimmung hier ist weit davon entfernt und ich habe genug gehört und gesehen, um zu einer Entscheidung zu kommen. Ich rufe die Wirtin an den Tisch und bezahle nur, was ich konsumiert habe. Wenn Vater es sich leisten kann, diese Frau einzuladen, ist er nicht mehr auf meine finanzielle Unterstützung angewiesen. Nur aus Anstand gebe ich allen die Hand und trete ernüchtert den Heimweg an.

      Meine Gefühle fahren Achterbahn und im Laufschritt ziehe ich Struppi hinter mir her, der sich dagegen sträubt und versucht, seine Interessen durchzusetzen. Ich lasse ihn nicht wie sonst gewähren und will so schnell wie möglich nach Hause.

      Erleichtert höre ich Davids Stimme, als er Struppi begrüßt, der ins Wohnzimmer gerannt ist. Aufgewühlt laufe ich dem Hund hinterher und werfe mich im Wohnzimmer in einen Sessel.

      »Du machst dir keine Vorstellung, was im Birkland passiert ist. Frank und Vater schwänzelten um diese Frau herum, die überhaupt nicht in unsere Familie passt. Selbst Lore ist nicht von ihr begeistert.«

      »Brich den Kontakt ab«, sagt David, der meine Vorurteile kennt und wiederholt es, als ich wieder von vorne beginnen will.

      »Wenn wir Papa nicht helfen, läuft er blind in sein Elend.«

      »Dann brich den Kontakt zu Frank ab.«

      »Einfach so?«

      »Was willst du dann?«

      »Ich will, dass diese Frau aus Papas Leben verschwindet. Einfach wird es nicht, da Papa blind und Frank die Knacknuss ist.«

      Ich schnappe das Telefon und verziehe mich ins Schlafzimmer. Ich rufe zuerst Toni, dann Robert und zum Schluss Kelly an. Keiner interessiert sich für die Hintergründe, sie finden nur die Geschichte lustig.

      »Was? Lore hat Frank eine Szene gemacht? Da passiert die Story des Jahres und wir waren nicht dabei«, ist alles, was sie dazu sagen.

      »Herrgott noch mal. Bin ich die einzige, welche die Indizien zu deuten versteht?«, beende ich frustriert das letzte Telefon und gehe hinaus auf den Balkon.

      Am Himmel sind inzwischen dunkle Wolken aufgezogen und aus einiger Entfernung ist Donnergrollen zu hören. Da ein frischer Wind aufzieht, gehe ich zurück ins Wohnzimmer. David kramt in Papieren und steht mir im Moment nicht zur Verfügung. Vielleicht weicht er mir auch nur aus und will sich mit diesem Thema nicht mehr auseinandersetzen.

      »Wie könnt ihr alle so sorglos ein«, maule ich. »An dieser Frau ist etwas faul und niemand interessiert sich dafür.«

      »Ich habe dir gesagt, was du tun sollst«, erwidert David.

      Um auf andere Gedanken zu kommen, schalte ich den Fernseher ein. In vielen Teilen Deutschlands haben sich am Nachmittag schwere Gewitter entladen, die zu großflächigen Überschwemmungen geführt haben. Hagelschlag und ein paar Tornados sind übers Land gezogen und haben in den Unwetterzonen massive Schäden hinterlassen. Die Bilder, die das Fernsehen zeigt, lassen meine Sorgen verblassen. Die Menschen dort haben echte Probleme.

      8

      In den nächsten zwei Wochen stellt sich heraus, was Rita unter einem sozialen Engagement versteht. Sie leistet meinem Vater, auf seine Kosten, zwei bis dreimal pro Woche beim Mittagessen Gesellschaft. Das ist alles. Gelegentlich kommt sie etwas früher und Vater nimmt sie an den Stammtisch im Bären mit. Er ist felsenfest von seinem neuen Glück überzeugt und bemerkt nicht, wie sich die anderen verlegen abwenden, wenn Rita sich an ihn schmiegt. Sie brachte Vater dazu, zum Mittagessen das Lokal zu wechseln. Nicht weil sie das Getuschel im Bären stört, dagegen ist sie immun. Sie hat den noblen ‚Riederhof‘ mit seiner Fünfsterneküche entdeckt und will so viel wie möglich für sich herausholen. Das Gasthaus ist in einer alten Villa, nicht weit vom Dorfzentrum entfernt, am Rande eines Parks zu finden. Der Name rührt von einem Sumpfgebiet mit Schilfrohr und Riedergras her, was es hier gab, bevor das Land bebaut wurde.

      An ‚ritafreien‘ Tagen, nimmt Vater das Mittagessen weiterhin im Bären ein, weil er sich in diesem Personenkreis wohler fühlt. Er ist ein langsamer Esser, der minutenlang die klein geschnittenen Bissen von einem Tellerrand zum anderen schiebt, bevor er sie auf die Gabel und in den Mund steckt und widmet dem abschließenden Kaffee locker noch einmal eine Stunde. Will man mit ihm zusammen Essen, dauert es mindestens zwei Stunden und weil er viel Zeit hat, dehnt er es meistens auf drei Stunden aus. Niemand von uns kann es sich erlauben, unter der Woche so lange vom Arbeitsplatz weg zu bleiben. Wir sind Vaters Esskultur von jeher gewohnt, als Kinder durften wir erst vom Tisch aufstehen, wenn er mit dem Essen fertig war, aber für Drittpersonen ist es bestimmt kein Vergnügen, so lange neben ihm auszuharren. Es ist mir ein Rätsel, wie Rita die Zeit findet, fünf und mehr Stunden am Tag nur für Vater aufzuwenden. Und das zwei bis drei Mal in der Woche. Zeit, die sie in meinen Augen besser in Arbeit investieren würde, damit sie ihre Schulden tilgen kann. Auf einer Einkaufstour mit Vater frage ich ihn danach.

      »Sie arbeitet in der Nacht. Stell dir vor, nach der Nachtarbeit schläft sie ein paar Stunden und fährt danach eine volle Stunde hierher, nur um bei mir zu sein. Sie liebt mich sehr, sonst würde sie das nicht auf sich nehmen.«

      »Du trägst etwas dick auf. Sie lässt sich auf deine Kosten verpflegen, das ist alles.«

      »Es ist nicht mehr als Recht, wenn ich sie einlade, schließlich nimmt sie einen langen Anfahrtsweg in Kauf.«

      Niemand von uns kam je zu dieser Ehre. Damit erinnert er mich an die Geschichte mit dem verlorenen Sohn. Ein Vater hatte zwei Söhne. Einer zog in die Welt hinaus und kehrte nach vielen Jahren wieder nach Hause zurück. Der Vater organisierte und veranstaltete für die Rückkehr dieses Weltenbummlers ein großes Fest, während er für den anderen Sohn, der bei ihm geblieben ist und ihm bei der Bewirtschaftung des Hofes half, noch nie ein Fest ausgerichtet hat. Als Kinder haben wir mit unseren Eltern oft über diese Ungerechtigkeit diskutiert. Mutter gab uns zu verstehen, dass sich dieser Vorfall wiederholen wird, solange es Menschen gibt. Gerade erfahre ich sie am eigenen Leib. Vater muss bei diesen Diskussionen taub gewesen sein. Ich bin ihm nicht mehr so freundlich gesinnt, als ich ihm die vollen Einkaufstaschen in den zweiten Stock hochtrage.

      In der zweiten Augustwoche stellt Lena ein Telefon in mein Büro durch. Am Telefon ist John Harding, Vaters Bankberater von der Dorfbank. Nach den üblichen Begrüßungsfloskeln kommt er gleich zur Sache.

      »Ihr Vater will an eine Frau Elsino fünftausend Euro überweisen. Wissen Sie etwas davon? Ich darf Sie informieren, weil Sie für dieses Konto über eine Vollmacht verfügen.«

      Fünftausend Euro? Ich habe es erwartet, aber nicht so schnell und nicht so viel. Rita lässt keine Zeit verstreichen und rührt gleich mit der großen Kelle an. Nach dem ersten Schreck fällt mir ein, dass meine Mutter mir vor Jahren für Notfälle diese Vollmacht übertragen hat, und weil keiner eingetroffen ist, habe ich es vergessen. Mein Herz beginnt zu klopfen. Vater ist sehr sparsam und nun will er dieser Frau diesen wahnsinnig hohen Betrag überweisen. Vermutlich sein ganzes Erspartes.

      »Wie hoch ist der Kontostand?«

      »Fünfundneunzigtausend.«

      Ich bin baff. Ich hatte keine Ahnung, dass er so viel auf der hohen Kante hat. Nach Mutters Tod haben Toni, Robert und ich auf die Auszahlung unseres Erbes von je dreitausend Euro verzichtet und dieses Geld Vater überlassen, weil wir dachten, dass ihm die Renten nur ein bescheidenes Leben ermöglichen. Jedenfalls vermittelte er uns diesen Eindruck. Deshalb haben wir ihm, in unserem Beisein, seine Spesen und sämtliche Kosten übernommen. Wenn ich gewusst hätte, wieviel er zur Seite legen konnte, hätte ich nicht erst an Kellys Geburtstag interveniert. Indirekt habe ich dazu beigetragen, dieses Konto zu füllen.

      Mir