Heidy Fasler

Liebe-VOLL AUSGENOMMEN


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verpassen. Vater legt Rita einen Arm um die Schultern und streicht ab und zu mit einer Hand über ihre Wange. Seltsamerweise lässt sie das jetzt zu. Ist ihr Glas leer, springt Frank wie ein verliebter Gockel auf, greift nach der Flasche und füllt es wieder auf. Alle paar Minuten dreht er den Sonnenschirm nach dem Sonnenstand, damit sie immer im Schatten sitzt, oder legt das Besteck zurück, das sich aufgrund des steten Herumfuchtelns von Senior und Junior auf dem Platz verschoben hatte. Rita zieht nach jeder Aktion ihre Augenbrauen hoch und schießt mir über den Tisch hinweg triumphvolle Blicke zu. Ich weiß nicht, was sie damit bezweckt, ich bin für sie keine Konkurrenz. Gerade wirft sie mir wieder einen dieser überheblichen Blicke zu. Es reicht. Ihre Anwesenheit und das Benehmen meines Vaters und meines Bruders bieten bereits genügend Stoff für Klatsch und Tratsch. Es ist nicht nötig, dass man noch mehr mitbekommt. Ich sehe mich um und entdecke außerhalb des Lokals, in etwa acht Meter Entfernung, am Wegrand eine Sitzbank im Schatten eines Baums.

      »Rita und Frank. Ihr kommt jetzt mit mir, zu dieser Bank dort drüben«, befehle ich leise und stehe, auf die Bank zeigend, auf. Ich wundere mich, dass sie gleichzeitig aufstehen und mir folgen, ohne zu fragen. Frank und ich lassen uns je auf einer Seite der Bank nieder und Rita setzt sich zwischen uns in die Mitte. Frank stützt die Ellbogen auf die Knie und legt den Kopf auf seine zu Fäusten geballten Hände. Rita streckt ihre Beine aus und klemmt ihre Hände unter die Oberschenkel. Beide sehen geradeaus und stellen noch immer keine Fragen.

      Während ich nach den richtigen Worten suche, fällt mein Blick auf Vater und Lore, die synchron mit langen Hälsen ihre Köpfe über den Hag strecken und neugierig zu uns herübersehen. Das Bild ist so lustig, dass ich beinahe laut gelacht hätte. Leider ist mir nicht nach Lachen und ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Nie habe ich deutlicher gespürt, wie tief Mutters Erziehung, jedem Menschen mit Respekt zu begegnen, in mir verwurzelt ist. Jeder normale Mensch würde zu Rita sagen, dass sie ihren Arsch bewegen und dorthin gehen soll, wo der Pfeffer wächst. Leider bin ich zu wenig mutig und zudem diese Ausdrucksweise nicht gewohnt.

      »Weshalb willst du dich um Vater kümmern?«, frage ich höflich und könnte mich ohrfeigen, dass ich nicht fähig bin, das brisante Thema anzusprechen. Rita und Frank drehen einander die Köpfe zu und ich wundere mich, dass Frank an ihrer Stelle antwortet: »Rita ist sehr sozial und sie macht das gern. Sie hat oft alte Leute bis in den Tod betreut.«

      Und nachher kassiert, denke ich. Frank kriecht ihr, genau wie Vater, auf den Leim. Sobald er erfährt, welche Erkundigungen ich über sie eingezogen habe, wird auch er erkennen, mit welcher Absicht sie sich an Vaters Hals geworfen hat, man muss dazu keine Intelligenzbestie sein.

      »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es für dich ein Vergnügen ist, die Freizeit mit einem alten Mann zu verbringen, den du bisher nicht kanntest! Vater kann manchmal sehr schwierig sein«, wende ich mich subtil an Rita, weil ich mich nicht getraue, sie vor Frank zu denunzieren.

      »Ich mache das gern und habe keine Hintergedanken.«

      »Und warum meint Vater, dass du seine neue Frau bist?«, wage ich doch noch einen Vorstoß, in der Hoffnung, sie der Lügen zu überführen.

      »Wenn er es so sieht, kann ich nichts dafür. Für mich ist es ein sozialer Dienst an alten Menschen. Zudem habe ich einen Freund.«

      »Vater braucht keinen sozialen Dienst. Dafür hat er uns. Er geht davon aus, dass du in ihn verliebt bist.«

      »Ich kann nichts dafür, wenn er es so sieht.«

      »Doch. Das hast du ihm selbst gesagt.«

      »Hat sie nicht«, mischt Frank sich mit grobem Ton ein.

      »Warum der Austausch von Zärtlichkeiten? Das war vorhin nicht zu übersehen«, wage ich die Tatsachen anzusprechen. Von der Seite sehe ich zu Frank hinüber und hoffe, dass sich bei ihm endlich ein Misstrauen entwickelt.

      »Die haben nichts zu bedeuten«, entgegnet Rita.

      »Vater sieht das anders!«

      »Das ist nicht meine Schuld.«

      »Sie macht doch nichts. Und Vater erwartet auch nichts«, nimmt Frank sie überraschend in Schutz.

      »Doch macht er. Er meint, Rita ist in ihn verliebt.«

      »Was erfindest du da?«, weist Frank mich zurecht und bringt mich damit endgültig aus dem Konzept.

      Meine Bedenken interessieren ihn nicht im Geringsten, stattdessen plädiert er stets für ihre Interessen. Allerdings war ich beim Ausflug an den Rennsteig nicht dabei und weiß nicht, was dort vorgefallen ist. Aber ich kenne das Ergebnis. Man müsste Rita vor Vater darauf ansprechen, nur würde sie es, wie jetzt, bestreiten. Sie hat im Birkland schon genug Aufsehen erregt und ich will keinen Streit vor Zeugen austragen. Ich stecke im Dilemma.

      »Wieso hast du so viel Zeit für Vater? Arbeitest du nicht?«

      »Doch. Schon. Aber das geht trotzdem«, antwortet Rita, beugt ihren Oberkörper nach vorne und sieht auf den Boden.

      »Bist du verheiratet?«, frage ich desillusioniert, weil Frank alles bagatellisiert und mir nichts mehr in den Sinn kommt, das mich ans Ziel bringen könnte.

      »Nein, ich bin geschieden.«

      »Was ist mit deinen Schulden und Betreibungen?«

      Rita zuckt zusammen und ringt nach einer Antwort. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ich das weiß. Spätestens jetzt müsste Frank hellhörig werden. Aber er starrt nur still geradeaus und äußert sich nicht dazu.

      Nach einer Weile antwortet Rita mit einer abwertenden Handbewegung: »Schulden? Das ist Schnee von gestern.«

      »Woher kennst du sie?«, wende ich mich an Frank.

      Frank erzählt exakt dieselbe Geschichte, die ich von Vater schon gehört habe. Ich glaube es nicht, aber es wäre möglich. Frank ist fast zehn Jahre älter als ich und deshalb bekam ich nicht alles mit, was er als junger Bursche trieb. Frustriert muss ich eingestehen, dass ich nichts erreicht habe. Von Frank bin ich enttäuscht. Bisher haben wir immer am gleichen Strick gezogen. Vermutlich ist er hinter ihrem Rock her, hat anscheinend sein Ziel noch nicht erreicht und will es sich deshalb nicht mit ihr verscherzen.

      »Es darf nie Geld fließen und sei bitte ehrlich zu meinem Vater. Er glaubt, dass du ihn liebst. Nimm Rücksicht auf sein Alter und seine Gefühle, es ist bestimmt nicht in deinem Sinn, ihn zu täuschen«, wende ich mich hoffnungsvoll an Rita. Sie schaut mich weder an, noch erwidert sie etwas darauf.

      Gleichzeitig stehen wir auf und laufen zum Restaurant zurück. Unterwegs lege ich einen Arm um Franks Schultern. Diese Geste ist nichts Ungewöhnliches. Mal umarme ich ihn, mal er mich. Wir haben uns auf diese Weise schon immer unsere Vertrautheit und Zuneigung gezeigt. Jetzt erinnere ich ihn damit daran, was er verliert, sollte er schlechte Absichten haben, denn seine Reaktionen haben mir nicht gefallen. Als wir wieder bei Vater und Lore sind, finden wir Lore in Tränen aufgelöst.

      »Was ist los?«, fragen Frank und ich gleichzeitig, während Rita eine schadenfrohe Miene aufsetzt.

      »Ich durfte nicht mitkommen«, schluchzt Lore und wischt sich mit dem Finger die Tränen ab, die über ihre Backen kullern.

      »Bitte entschuldige. Ich musste mit Frank etwas Vertrauliches besprechen«, besänftige ich sie, während ich mich setze.

      Lore streckt ihren Arm über den Tisch und zeigt mit einem Finger auf Rita. »Die durfte mit und ich nicht! Frank lässt mich in letzter Zeit sowieso sehr viel allein und verbringt mit der viel mehr Zeit, als mit mir«, schluchzt sie.

      Damit bestätigt Lore meine Vermutung, dass Frank an einer schnellen Nummer mit Rita interessiert ist. Seine Untreue ist für uns nicht neu. Neu ist, dass Lore ihm dieses Mal eine Szene macht. Die Wundernasen um uns herum spitzen die Ohren und machen keinen Hehl daraus, wie sensationell sie das Theater an unserem Tisch finden.

      Mit Wehmut denke ich an die himmlischen Zeiten zurück, als sich meine Familie zu benehmen wusste. Unsere Mutter brachte uns Umgangsformen bei, mit denen wir locker von der englischen Queen zum Tee eingeladen werden könnten, wir beherrschen die sogenannte