Heidy Fasler

Liebe-VOLL AUSGENOMMEN


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      »Schon gut. Ich verstehe dich ja.«

      Gemächlich tuckert der Zug durch die Wälder, vorbei an kleinen Dörfchen und schönen Höfen und wir lachen, als der Zugwind den mit Kohlestaub angereicherten Rauch mit dem penetranten Geruch nach Maschinenöl durch die offenen Türen hereinweht und das Abteil in Nebel hüllt. Kurz vor dem Titisee ruft David. »An der nächsten Station steigen wir aus. Ich habe von einem Arbeitskollegen die Adresse eines Schlemmerlokals erhalten. Das ist hier irgendwo. Das suchen wir jetzt und lassen uns kulinarisch verwöhnen. Wir haben es uns verdient.«

      Gut gelaunt fahre ich am Montagmorgen ins Büro und mache mich voller Tatendrang an die Arbeit. Leider führte die Offerte, die ich letzte Woche rausgelassen habe, nicht zu einem Auftrag. Die Konkurrenz war schneller. Mit dem, was ich sonst zu tun habe, komme ich gut voran, bis Lena um halb zehn an die Türe klopft und den Kopf durch den Türspalt streckt.

      »Dein Vater ist da.«

      Ich stehe auf und gehe in die Lobby. Das erste, was mir auf-fällt, ist sein kummervolles Gesicht. Ich ziehe ihn ins Sitzungszimmer und bitte Lena, uns zwei Tassen Kaffee zu bringen. Nachdem sie den Kaffee serviert hat, lässt sie uns allein. Vater nimmt einen Würfelzucker und rührt ihn minutenlang in den Kaffee. Ich stehe auf und schließe die Türe.

      »Was ist los?«

      Er nimmt den Blick nicht von der Tasse.

      »Was ist los?«, wiederhole ich energisch meine Frage, während ich mich hinsetze.

      Vater greift in den Hosensack, zieht ein Taschentuch heraus und wischt sich damit über die Augen. Ich sehe erst jetzt, dass er weint. Genau genommen, sieht er sehr mitgenommen aus.

      »Es ist wegen Lores Geburtstagsfest.«

      »Aha.«

      «Frank und Lore haben mich abgeholt und wir sind zu Rita nach Mattendorf gefahren. Frank ist den ganzen Tag Rita hinterhergedackelt und brachte Lore wieder zum Weinen. Auch ich bin enttäuscht, denn ich hatte erwartet, dass Rita mir ihre Zuneigung zeigt, nachdem ich ihr gegenüber so großzügig war. Aber sie ließ mich die ganze Zeit sitzen und ist zwischendurch mit Frank verschwunden. Auch gegenüber Lores Cousin benahm sich Rita unmöglich. Nur weil er mit seiner Frau früher als erwartet eingetroffen ist, stauchte Rita ihn zusammen. Aus Rücksicht auf Lore sind sie nicht auf der Stelle gegangen. Dafür mussten sie Lore die ganze Zeit trösten, weil sie nur am Flennen war. Es war schlimm. Am Schluss waren alle froh, als diese komische Feier endlich zu Ende war. Was meinst du? Haben Frank und Rita eine Affäre?«

      »Ihr Verhalten ist jedenfalls sehr auffällig«, erwidere ich zögernd, weil es für mich unvorstellbar ist, dass Rita ein Verhältnis mit Vater und Sohn hat. Aber so, wie Vater es beschreibt, ist es nicht mehr von der Hand zu weisen.

      »Frank will mich im Tirol besuchen, Damit stiehlt er mir die Zeit, die ich mit Rita verbringen will. Er kommt an die falsche Adresse, wenn er meint, ich kümmere mich wie letzten Sonntag um Lore, während er sich mit Rita vergnügt«, ereifert er sich.

      Ich bin erfreut zu hören, dass er Frank in die Schranken weisen will und hoffe, er setzt sich dann auch wirklich durch. Aber so wie ich ihn kenne, wird das nicht passieren.

      Vater wird in der letzten Septemberwoche für eine Woche ins Tirol fahren. Er verbringt dort seit vielen Jahren – wie früher mit unserer Mutter - eine Woche Ferien, meist in Begleitung von einem, oder von allen Familienmitgliedern.

      »Du nimmst Rita mit ins Tirol?«, frage ich verwundert.

      »Das ist doch prima, dann bin ich nicht allein.«

      »Du warst nie allein. Wieso sagst du das. Ich fasse es nicht, dass du sie, trotz dieser Erfahrung, mitnehmen willst. Diese Frau ist nichts für dich. Beende diese Beziehung.«

      »Du hast Recht. Ich warte die Ferien ab, dann sehen wir weiter.«

      »Nein, nicht warten. Mach Schluss. Jetzt. Du kannst dich im Tirol erholen. Du bist dort nicht allein, Toni kommt mit.«

      »Rita hat es aber versprochen«, quengelt er.

      »Bezahlt sie, oder du?«

      »Ich bezahle das Zimmer. Ihre Essen und die Getränke muss sie übernehmen.«

      »Besucht sie dich diese Woche wieder?«, frage ich und hoffe, sie lässt sich nach diesem Wochenende nicht mehr blicken.

      »In der Regel am Montag und Freitag. Manchmal auch am Mittwoch. Und immer mit Frank. Wieso ist er immer dabei?«

      »Weil sie eine Affäre haben.« Langsam glaube ich es auch.

      »Das stimmt nicht. Letzte Woche hatte Rita vor dem Bären einen anderen Mann geküsst. Ein Stammtischkollege hatte es gesehen und mir später davon erzählt. Das würde sie nicht machen, wenn sie mit Frank eine Affäre hätte, sie würde ihn ja hintergehen.«

      »Dass sie dich hintergeht interessiert dich nicht?«

      »Doch. Ich habe Rita am Abend angerufen und sie zur Rede gestellt. Sie hat beteuert, dass es die vom Stammtisch erfunden hätten, weil sie eifersüchtig sind. Ich weiß, sie gönnen mir diese junge Frau nicht.«

      »Das hat Rita dir eingebläut. Papa, ich bitte dich, du darfst nicht mit dieser Frau verkehren. Sie ist dubios und behandelt dich nicht fair!«

      Er zuckt kommentarlos mit den Schultern. Nach einer Stunde breche ich das Gespräch ab, weil ich keine Lust habe, meine Arbeitszeit dieser falschen Schlange zu opfern. Wäre Vater einsichtig gewesen, hätte ich mir alle Zeit der Welt genommen. So bringt das nichts. Vaters fehlendes Rückgrat, mit dem er Mutter oft zum Seufzen brachte, bekomme nun ich in voller Bandbreite ab. Soll ich, wie sie, ihm die Leviten lesen? Aber das habe ich doch die ganze letzte Stunde bereits getan.

      »Mach Schluss«, flehe ich ihn auf dem Weg zur Türe an. Als er auf dem Gehsteig steht, frage ich: »Holst du morgen Struppi ab? Du könntest in der Natur deine Seele tanken.«

      Er dreht sich um.

      »Ähm. Darüber wollte ich auch mit dir reden. Ich will mehr Zeit mit Rita verbringen, deshalb….«

      »Ich weiß was du mir sagen willst. Bleibe trotzdem in Bewegung, die tut dir gut«, falle ich ihm ins Wort, um ihm ins Bewusstsein zu führen, dass er im Begriff ist, etwas zu unterlassen, was für seine Gesundheit wichtig ist. Er hält die Hand zum Gruß hoch, dreht sich um und läuft davon. Ich sehe Vater hinterher und mache mir Sorgen. Er ist sich nicht bewusst, dass er mit Vollgas ins Verderben rennt. Die Liebe treibt ihn blind voran.

      9

      Am ersten Dienstag im September fahre ich am frühen Nachmittag in die Stadt, weil ich Vater versprochen habe, ihn dort abzuholen. Jeden ersten Dienstag im Monat trifft er sich mit pensionierten Arbeitskollegen zu einem Mittagessen in einem Lokal in der Stadt, dessen Domizil in der Nähe seiner ehemaligen Firma ist. Vater ist einer der ältesten und sah im Verlaufe der Jahre viele kommen und gehen. Für ihn ist es etwas Besonderes, dass er nun mit seinen früheren Vorgesetzten auf einer Stufe steht und wenn immer möglich, lässt er keines dieser Treffen ausfallen. Die Pensionierten folgen einem ungeschriebenen Gesetz, dass nur Männer und nur diejenigen, die in der Firma das Rentenalter erreicht haben, an diesen Treffen teilnehmen dürfen.

      In jungen Jahren arbeitete Lore für eine kurze Zeit in dieser Firma. Vor einem Jahr tauchte sie an einem dieser Treffen auf und ging mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte sie schon immer dazu gehört, in den dafür reservierten Saal. Sie begrüßte zuerst ihren Schwiegervater, bevor sie sich den anderen zuwandte. Neugierig sahen ihr die Pensionierten zu, aber keiner getraute zu fragen, was sie hier will. Lore lieferte von sich aus die Erklärung und übertrieb dabei so maßlos, dass man hätte meinen können, ihr gehört die Firma.

      Die Anwesenden, die fast ihr ganzes Leben in dieser Firma verbracht haben, kannten Lore flüchtig und erwähnten aus Höflichkeit, man könne sich an sie erinnern. Die anderen traten verlegen von einem Bein aufs andere und wussten nicht, was sie sagen sollten. Fragend schauten