Heidy Fasler

Liebe-VOLL AUSGENOMMEN


Скачать книгу

lässt, dass eine Frau Elsino an der Rezeption steht und ihn sprechen will, lässt er sich verleugnen.

      Am anderen Tag ist Vater auch am Morgen wieder beleidigt, weil Rita mürrisch und schnippisch ist. Ihre Laune wird erst besser, als Toni zum Frühstück erscheint, Frank und Lore im Hotel eintreffen und mit großem Hallo in den Frühstücksraum stürmen. Vater trotzt, als er hört, dass sie durchs Dorf schlendern wollen. Er würde jetzt endlich gern den Ausflug mit der Seilbahn machen. Weil es ein wunderschöner Herbsttag ist, erfüllen sie ihm diesen Wunsch, ziehen sich nach dem Frühstück um und laufen mit ihm zur Talstation der Gondelbahn. Als die Vierer-Gondel in die Station einfährt, lässt Frank Toni und Lore zuerst einsteigen und schiebt sofort Vater hinterher. Als sich die Türe schließt, schaut Vater enttäuscht aus dem Fenster und sieht, wie Rita und Frank in die nächste Gondel einsteigen. Dabei hatte er sich, wegen den engen Sitzplätzen, nicht nur auf die Tuchfühlung mit Rita gefreut, sondern auch auf ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.

      »Nimm es nicht so tragisch. Wir haben hier nicht alle Platz«, tröstet ihn Toni.

      Vater lässt das Argument gelten und im Moment ist seine Vorfreude auf das Wiedersehen mit dem einheimischen Personal im Bergrestaurant grösser, als die aufsteigende Eifersucht. Nach der Gondelfahrt spazieren sie dem Panoramaweg entlang und bewundern die schöne Aussicht. Für Vater ist es der Höhepunkt der Woche, nachdem beim ersten, in Peter Sanders Hotel, der Schuss nach hinten losgegangen ist. Stolz zeigt er Rita die Gipfel, auf denen er gestanden ist. Er kennt jeden Berg mit Namen und hebt besonders das Legerhorn hervor. Die Hütte unterhalb des Gipfels ist nur über eine anspruchsvolle Bergwanderroute zu erreichen. Mit bloßem Auge versucht er die Hütte zu erkennen, mit der er schöne Erinnerungen verbindet.

      Jahrzehntelang ist er jeden Sommer mit seiner Familie zu dieser Hütte aufgestiegen. Seine Kinder, und später seine Enkelkinder, brachten jeweils ihre Freunde mit. Nach dem anstrengenden Aufstieg artete der Abend in der Hütte jedes Mal in ein feuchtfröhliches Fest aus. Zum Schlafen kam man wenig. Obwohl der Weg gefühlsmäßig jedes Jahr länger und steiler wurde, trugen alle den Termin früh im Jahr in die Agenda ein, weil niemand diese zweitägige Tour verpassen wollte. Im Bekanntenkreis kursierte das Gerücht, wer zur Familie Graf gehören will, muss mindestens einmal in der Legerhornhütte gewesen sein. Als die Tour für Mutter zu beschwerlich wurde, blieb sie zu Hause und erwartete dafür die ganze Gesellschaft, nach der Rückkehr am Sonntagabend, zum Spaghetti-Essen an ihrem Tisch. Diese Traditionen fanden erst ein Ende, als auch Vater aus Altersgründen aufgeben musste. Immerhin stand er mit achtundsiebzig Jahren zum letzten Mal auf dem Legerhorn.

      Frank und Toni tauschen Erinnerungen aus, necken sich ungezwungen und passen auf Vater auf, der nur Augen für die Bergwelt hat und über kleine Felsbrocken stolpert, die verstreut auf dem Weg liegen. Auf einer Aussichtsplattform blicken sie auf das weit unten im Tal liegende Dorf, das mit seinem herausragenden Kirchturm aus dieser Entfernung wie ein Spielzeugdorf wirkt. Die Wälder zeigen die ersten Anzeichen des bevorstehenden Herbstes und auch der Himmel hat nicht mehr das intensive blau des Sommers. Die Schwalben sind bereits auf dem Weg übers Meer und bald werden auch die Kühe die Sommerweiden auf den Almen verlassen und in ihre Winterquartiere im Tal ziehen. Es ist um diese Tageszeit bereits kühl und Vater beginnt zu frösteln. Sie drehen um und kehren im Bergrestaurant ein, wo Vater vom Personal erkannt und ihm der Hof gemacht wird. Vater ist darüber sehr erfreut und für einen Moment glücklich. Nach dem Mittagessen beschließen Frank und Rita, zu Fuß ins Dorf hinunter zu laufen und schicken Toni und Lore mit Vater zur Gondelbahn. Kaum sitzen die drei in der Kabine, liefern Vater und Lore ein Eifersuchtsdrama erster Güte ab und schaukeln sich gegenseitig hoch. Das Gejammer geht Toni ans Herz und sie ist froh, dass sie mit den beiden Heulsusen allein in der Gondel ist.

      »Weshalb lässt du dich nicht scheiden?«, wendet sich Toni an Lore.

      »Weil uns das Geld dazu fehlt. Bis jetzt wollte ich euch nichts sagen, aber wir haben finanzielle Schwierigkeiten. Ich habe keine Ahnung, wofür Frank unser Geld ausgibt. Sogar der Steuerprüfer war schon bei uns zu Hause«, schluchzt sie.

      »Das war der Pfändungsbeamte. Die Steuern schicken keinen vorbei«, klärt Toni sie auf.

      »Meinst du?«, fragt Lore.

      Vaters Gesichtsfarbe wechselt von blass auf Rot. »Ich werde Rita nichts mehr bezahlen, das kann sie jetzt vergessen«, ereifert er sich, während er in ein Taschentuch schnäuzt und sich mit einem Zipfel Tränen aus den Augen wischt.

      Als sie ins Hotel zurückkehren, gehen Vater und Lore auf die Terrasse. Sie wollen die Ankunft von Frank und Rita nicht verpassen, weil sie sich vorgenommen haben, den beiden ordentlich die Meinung zu geigen. Als sie eintreffen, vergisst Vater bei Ritas Anblick seinen Vorsatz, nimmt ihr gekünsteltes Lächeln für bare Münze und bestellt beim Kellner eine Flasche Weißwein. Frank, der bei der Aussicht auf ein Glas Wein einen trockenen Hals bekommen hat, weigert sich, Lore aufs Zimmer zu begleiten. Lore geht schließlich allein hinauf, setzt sich aufs Bett und heult sich die Augen aus, während Vater, Frank und Rita eine zweite Flasche Weißen bestellen und zusehen, wie die Sonne langsam hinter den Gipfeln verschwindet. Rita bezirzt Vater, dass sie doch noch einmal seinen Chef besuchen könnten. Ohne Vater, das ist ihr bewusst, hat sie keine Chance, an Peter Sanders heranzukommen. Vater tut, als hätte er es nicht gehört.

      Am nächsten Tag erhalte ich am Freitagabend einen Anruf von Toni. Dass bei ihr der Groschen endlich gefallen ist, merke ich an ihrer Erzählung.

      »Du hast keine Vorstellung, was hier passiert. Vater sitzt mit Frank, Lore und Rita draußen auf der Hotelterrasse beim Aperitif und ich bin in meinem Zimmer. Ganz ehrlich, mir geht das Ganze auf den Wecker. Ich würde am liebsten die Koffer packen und nach Hause fahren. Rita und Vater tauschen in der Bar Zärtlichkeiten aus und ziehen dadurch die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich. Selbst der Hotelier, der einiges gewohnt sein muss, verdreht hinter dem Tresen die Augen und wirft mir mitleidvolle Blicke zu. Gestern Abend haben Frank und Rita beschlossen, eine Bar weiter zu ziehen und Vater ging aus purer Eifersucht mit, obwohl er nach dem Ausflug hundemüde war. Heute Morgen erzählte er mir, dass er vom Barhocker gefallen ist. Er kann von Glück reden, dass er sich nicht verletzt hat.«

      »Aus Rücksicht auf sein Alter wäre es besser gewesen, wenn sie sich mit ihm auf eine Sitzgruppe gesetzt hätten. Vermutlich war er ihnen im Weg und sie wollten ihn, weil er sie nicht alleine ziehen ließ, dafür büßen lassen. Wie auch immer, Vaters Wohl ist für sie Nebensache.«

      »Stell dir vor, Vaters Geldbörse ist in Ritas Handtasche, damit er das schwere Ding nicht mit sich herumtragen muss.«

      »Super. Sieh mal nach, wie viel Geld noch drin ist. Er nimmt immer so viel mit, dass er das Hotel bar bezahlen kann. Bleib dran, die darf man nicht mehr alleine lassen«, bitte ich Toni, bevor wir auflegen.

      Am nächsten Abend rufe ich sie an, neugierig auf die Fortsetzung. Die Geschichte, wie sich alle benehmen und Rita immer dreister wird, wird niemand mehr für möglich halten.

      Toni gibt mir am Telefon das Neuste durch. »Frank und Lore sind abgereist. Dafür tauchte einer auf, den Rita kennt. Sie haben sich zufällig hier getroffen. Er heißt Andy und sitzt jetzt mit Rita vorne auf der Terrasse. Ich bin mit Vater in der Hotelbar und darf ihn wieder trösten. Er hat die Hände zwischen die Knie geklemmt und schüttelt verständnislos den Kopf. Sein Bier rührt er nicht an und will unbedingt aufbleiben. Ohne Ritas Gutenachtkuss will er nicht ins Bett. Ich weiß langsam nicht mehr, was ich tun soll.«

      »Dieses Miststück. Macht sich auf Vaters Kosten eine Woche Ferien und geht nur ihrem eigenen Vergnügen nach. Die soll mir noch mal kommen, sie wäre so sozial«, ärgere ich mich.

      »Ich glaube, Frank und Rita stecken unter einer Decke. Es ist schlimm. Wirklich. Ich rufe dich wieder an, wenn ich zu Hause bin.«

      Als Vater und Rita am Samstag im Hotel auschecken, lässt Rita an der Rezeption für ihres und Vaters Zimmer separate Rechnungen ausstellen. Nächste Woche wird sie Vater zur Post begleiten und sich von ihm, sobald er die Rechnungen am Schalter einbezahlt hat, die Quittung mit ihrer Adresse aushändigen lassen. Dann kann ihr keiner vorwerfen, sie würde dem alten Mann auf der Tasche liegen. Die Quittung ist der perfekte Gegenbeweis. Sie hat aus ihren Fehlern gelernt.

      Am