Heidy Fasler

Liebe-VOLL AUSGENOMMEN


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begegne, wenn ich mit dem Hund unterwegs bin. Wenig später biege ich auf die asphaltierte Straße ein, die direkt zum Birkland führt. Das Restaurant ist bereits in Sichtweite, als ich hinter mir ein herannahendes Auto höre. Ich ziehe Struppi an den Straßenrand und beuge mich zu ihm hinunter. Langsam fährt ein Auto mit offenem Verdeck an mir vorbei. Aus den Augenwinkeln erkenne ich auf dem Beifahrersitz meinen Vater, der mir fröhlich zuwinkt. Perplex richte ich mich auf und blicke dem Cabriolet hinterher, das aufgrund der Marke aus einer hohen Preisklasse stammt. Dieser Frau habe ich aufgrund ihrer Schulden eine alte Kiste, aber niemals einen so teuren Schlitten zugetraut. Sie steuert den Parkplatz vor dem Birkland an und bleibt mit Vater sitzen, bis ich bei ihnen bin. Ich will Vater beim Aussteigen helfen, doch er übersieht es und stemmt sich allein fast sportlich aus dem Sitz hoch. Erstaunt sehe ich ihm zu und stelle fest, dass der gut aussehende Mann, der er einmal war, im Ansatz wieder zum Vorschein kommt. Die Liebe scheint ein echter Jungbrunnen zu sein. Ich hadere mit mir, meinen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Als er vor mir steht, stülpt er die Unterlippe vor, zeigt mit einer Hand auf das Cabriolet und nickt anerkennend. Im Gegensatz zu ihm bin ich nicht beeindruckt. Für Leute, die auf der einen Seite Schulden haben und auf der anderen Seite protzen, habe ich kein Verständnis. Vater ist scheinbar nicht so anspruchsvoll. Auf der Fahrerseite steigt eine sexy angezogene und auf den ersten Blick sehr attraktive Frau aus. Sie knallt die Türe zu, läuft um den Wagen herum, stellt sich an Vaters Seite, schiebt ihre linke Hand in seine rechte Armbeuge und streckt mir ihre andere Hand entgegen.

      »Das ist Rita«, strahlt Vater.

      Wir reichen uns kritisch die Hände und mustern uns gegenseitig, nur bin ich dabei diskreter. Rita ist etwas kleiner, wie ich, hat eine gute Figur und schulterlange schwarze Haare. Sie trägt ein hellblaues Minikleid mit schmalen Trägern, das viel von ihrer braungebräunten Haut sehen lässt und an den Füßen Sandalen mit hohen Absätzen. Das Gesicht ist stark geschminkt und auch die Finger- und Fußnägel sind bunt bemalt. Für meinen Geschmack könnte sie sich, als Fünfundvierzigjährige, etwas eleganter kleiden. Dazu gehört auch der graue Balken auf ihrem Scheitel, der darauf schließen lässt, dass die letzte Tönung ihrer Haare Wochen zurück liegen muss, denn dieser verpasst ihrer aufgetakelten Aufmachung einen ungepflegten Touch. Sie führt keine Handtasche auf sich, die eine Geldbörse enthalten könnte, in den Händen hält sie lediglich ein Feuerzeug und eine Zigarettenschachtel. Mein Vater wird sie heute nicht zum ersten Mal einladen, sie erwartet es bereits. Ein leiser Groll steigt in mir hoch. Nicht weil er sie für ihre Gesellschaft bezahlt, sondern weil er gelogen hat, als er versicherte, sie würde für ihre Auslagen selbst aufkommen. Es gibt keinen Grund, die Wahrheit zu verschweigen, außer, er will etwas vertuschen. Das Gefühl, das sich nicht einordnen lässt, steigt wieder in mir hoch. Auf dem Weg zum Restaurant laufe ich den beiden voraus. Der Garten vor dem Lokal ist mit grünen Hecken umzäunt, an deren Seiten Kletterrosen in die Höhe wachsen. Die einfachen Tische sind mit rotkarierten Tüchern überzogen und dort, wo das Dach keinen Schatten spendet, sind Sonnenschirme aufgestellt. Wegen der guten Küche kommen viele Leute hierher und die meisten Tische sind bereits besetzt. Ich sehe mich um und nicke grüßend ein paar Personen zu, die mich und Vater kennen. Viele sind gerade beim Mittagessen und machen Stielaugen, als Vater und Rita Arm in Arm, in das Gartenrestaurant eintreten. Bei einigen bleiben die Münder offen, als sie dem ungleichen Pärchen hinterher sehen, das an ihnen vorbei zur Mitte läuft. Vater bleibt dort mit geblähter Brust stehen, um den Gästen Zeit und Gelegenheit zu geben, ihn und seine Begleitung zu bewundern. Leider merkt er nicht, dass man ihn und sein Flittchen aus Neugier anstarrt und nicht, weil man ihn für einen heißblütigen Lover hält. Da der verbale Applaus ausbleibt, dreht er sich gekränkt um.

      Als die Wirtin auf ihn zuläuft, beginnt er wieder zu strahlen. Mindestens von ihr erwartet er ein Kompliment zu seiner Eroberung, weil er meint, ihre Stellung müsste sie dazu verpflichten. Sie wischt sich die Hände an einem Zipfel ihrer weißen Schürze ab und schüttelt dann Vaters Hand. Währenddessen mustert sie Rita von oben nach unten. Vater versucht vergeblich, seine Begleitung der Wirtin vorzustellen, da sie ihn nicht zu Wort kommen lässt und Anekdoten aus ihrem Leben erzählt. Mit ihrer Lebenserfahrung weiß sie mit solchen Situationen umzugehen, ohne dass sie heucheln muss.

      »Frank und Lore werden ebenfalls hierher kommen und uns Gesellschaft leisten«, informiert mich Vater, nachdem wir uns an einen Tisch gesetzt und die Bestellung für die Getränke aufgegeben haben. Ich freue mich darüber. Frank muss Rita eine Abreibung verpassen, wenn er begreift, welche Show sie gegenüber Vater abzieht. Patentochter hin oder her. Vater steckt sich eine Zigarre an, reckt das Feuerzeug zu Rita hinüber, die sich eine Zigarette in den Mund gesteckt hat und gibt ihr Feuer. Er zelebrierte damit Manieren, die ich beim ihm längst vergessen glaubte. Beide sitzen nebeneinander, mir vis-à-vis und schauen mich erwartungsvoll an. Vater schmunzelt, während Rita mich wie eine Schlange fixiert. Ohne zu blinzeln starrt sie mich an. Bestimmt will sie herausfinden, ob ich, wie Vater, leicht um den Finger zu wickeln bin, denn bekanntlich fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Vater legt Rita einen Arm um die Schultern, formt einen Kussmund und will sie an sich ziehen. Doch sie dreht ihren Kopf zur Seite und lächelt aus Distanz seine Enttäuschung weg. An Kellys Geburtstagsfest hatte Vater ausführlich geschildert, wie sie sich an ihn heran geschmissen hat und ich bin sicher, dass er in diesem Punkt die Wahrheit sagte. Jetzt weicht sie seinen Zärtlichkeiten aus, denn mit einem offen gezeigten Liebesverhältnis könnte sie sich ihre wahren Absichten gleich auf die Stirn schreiben. Am liebsten würde ich sie darauf ansprechen, aber so, wie sie offenbar alles vermeidet, was den Eindruck einer intimen Beziehung erwecken könnte, wird sie es nicht zugeben. Ich sitze am kürzeren Hebel und überlege, ob ich sie provozieren soll, damit es Vater die Augen öffnet, wenn er aus ihrem Mund hört, dass sie nicht daran denkt, seine Geliebte zu sein. Wenn er von selbst noch einmal darauf hinweisen würde, dass sie seine neue Frau ist, wäre es einfacher, sie der Lügen zu überführen. Aber so sind mir die Hände gebunden, denn die anderen Gäste gaffen inzwischen so interessiert zu uns herüber, dass ich nicht noch mehr Aufsehen erregen will. Gerade weicht Vaters Angebetete seinem erneuten Versuch, sie an sich zu ziehen, wieder aus. Er schaut mich danach mit einer um Entschuldigung bittender Miene an, als wäre meine Anwesenheit der Grund für ihre Zurückhaltung.

      »Und was meinst du?«, spricht mich Vater an. »Sie ist sehr nett, wie ich es gesagt habe«, meint er hoheitsvoll.

      Rita glotzt mich grinsend an. Sie freut sich, weil sie meint, dass ich mich meinem Vater zuliebe gleich positiv über sie äußern werde. Was sie nicht weiß, ich verfüge über gute Antennen und deshalb entgehen mir diese Details nicht. Zudem ist sie leicht zu durchschauen. Man müsste Vater eher kondolieren, statt gratulieren.

      »Ähm, ich kenne sie noch zu wenig«, antworte ich diplomatisch.

      Rita verzieht die Lippen zu einem schmalen Strich, behält mich aber im Visier. Sie ist verunsichert, weil sie mich nicht mehr einzuschätzen vermag. Ich habe nicht so reagiert, wie sie es erwartet hatte. Kein Wunder. Bisher kennt sie nur Frank und Lore, und Lore trägt mit ihrem einfachen Gemüt nicht viel dazu bei, den Durchschnitt der Familienintelligenz zu heben. Nun, Rita wird noch früh genug erfahren, dass der Rest der Familie ein anderes Kaliber ist, das sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt.

      »Siehst du, sie ist sehr nett«, schwärmt Vater ahnungslos.

      Ich erwidere nichts und weiß auch nichts mehr zu sagen. Mir ist diese Frau schon jetzt ein Gräuel ersten Grades. Am liebsten würde ich gehen, aber ich habe hier eine Mission zu erfüllen und brauche dafür Franks Hilfe. Die beklemmende Stimmung wird erst unterbrochen, als er und Lore eintreffen.

      Obwohl Frank die sechzig bereits überschritten hat, zeigt sein braunes Haar keine Anzeichen eines Ausfalls und ist nur an den Schläfen leicht ergraut. Seine Frau Lore, die ein Jahr älter ist als er, trägt eine Brille und ihre rötlichblonden Haare stets kurz frisiert. Sie ist in ihrer Aufmachung eher bieder, aber immer gepflegt. Dass ihre Ehe kinderlos geblieben ist, entsprach nicht ihrem Wunsch.

      Erstaunt sehe ich zu, wie sich Frank und Rita in die Arme fallen und frage mich, was Lore davon hält. Da sie sich aufrichtig zu freuen scheint, sie zu sehen, und sie mit Küsschen links und Küsschen rechts begrüßt, ist die Art und Weise ihrer Begegnung anscheinend normal. Nachdem sie sich gesetzt und mit der Wirtin ein paar freundliche Worte gewechselt haben, nimmt mich Lore wie immer in Beschlag. Mit ihrem Geschwätz geht sie mir