E.R. Greulich

Die Verbannten von Neukaledonien


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flugs unentrinnbares Schicksal nennen.

      Freunde behaupten von mir, auf der Habenseite meines Charakters stehe die Fähigkeit, einem Unglück schnell mit Plänen auf den Leib zu rücken. Ich halte tatsächlich nichts von Lamentationen, weil sie auf andere nur einen komischen Eindruck machen.

      Nach einer Nacht, die mehr mit Überlegungen ausgefüllt war als mit Schlaf, stand mein Entschluss fest, alles daranzusetzen, um Manon zu gewinnen. Offensichtlich war sie keinesfalls davon überzeugt, dass es lohne, sich mit mir abzugeben. Wie sie später gestand, betrachtete sie mich als geistreichen, oberflächlichen Dandy, und es hatte ihr Spaß bereitet, mich wie einen begossenen Pudel stehenzulassen. Bedenklich fand sie auch, mit welcher Nonchalance ich die Dinge der Allgemeinheit betrachtete. Gut einen Monat war es erst her, dass der Volksaufstand die verräterische Thiers-Regierung in die Flucht getrieben und das Zentralkomitee der Nationalgarde die Macht in der Hauptstadt übernommen hatte. Paris glich einem kochenden Riesenkessel, es steckte voller Energien, Meinungen, Tätigkeiten. Am 18. April hatten die Versailler Truppen die Offensive gegen Paris begonnen, am 21. April die Nationalgardisten unter Dombrowskis Kommando bei Clichy Erfolge errungen. Es waren eine Reihe wichtiger Dekrete erlassen, beispielsweise über die Schulgeldfreiheit und über die Requirierung leerstehender Wohnungen. Und in diesen Tagen entscheidender Ereignisse vergeudete der Journalist Paschal Grousset kostbare Zeit beim Flirten mit einer verheirateten Frau!

      Zum Glück wusste ich an jenem Morgen nicht, wie Manon mich damals einschätzte, und beflügelt schrieb ich meinen Artikel für den "Ami du Peuple". Manon geriet stark in den Vordergrund, obwohl ich nach einigen Recherchen, Befragungen und Versammlungen nur in den Frauenklub gegangen war, um das Ganze abzurunden. Das Porträt einer schönen Frau, die innerlich beseelt ist von ihrer Sache, wurde eine, die Pariser bewegende, Arbeit. Da ich Manon weder heroisiert noch idealisiert hatte, sondern Charme, Verstand und Esprit als Attribute einer fortschrittlich engagierten Frau darstellte, kam sie auf diese Weise ins öffentliche Gespräch.

      Ich hütete mich, Manon sofort nach dem Erfolg des Artikels unter die Augen zu kommen, um nicht dazustehen wie ein beflissener Schüler, der Lob und Dank für die brave Arbeit in Empfang zu nehmen hofft. Stattdessen bemühte ich mich, soviel wie möglich über sie zu erfahren. Das war nicht schwierig, denn selbst auf Plakaten und Werbezetteln waren Spuren ihres Wirkens zu verfolgen. So wie sie am 13. April im Amphitheater der Medizinschule den Prolog zu der Veranstaltung gesprochen hatte, auf welcher der berühmte Maler und Präsident der Kunstkommission der Kommune, Gustave Courbet, eine Gewerkschaft der Maler und Bildhauer gründete, so rezitierte sie zu den verschiedensten Anlässen, sang Chansons, trug Manifeste vor oder übernahm die Conference für öffentliche Veranstaltungen.

      Die Dupriaux wohnten in der Rue Tronchet, einer ruhigen Nebenstraße, die in den Boulevard Haussmann mündet und kaum eine Viertelstunde entfernt liegt vom Theatre des Italiens. An diesem Musentempel war Armand Dupriaux Intendant. Merkte denn der Trottel nicht, welch eine Begabung seine Frau war.

      Da ich des Öfteren auch Theaterkritiken schrieb, bekam ich leicht Kontakt zu Schauspielern. Von einem Gerard Lesnour erfuhr ich, dass Manon vor fünf Jahren als Zweiundzwanzigjährige ihr vielversprechendes Debüt im Theatre des Italiens hatte. Bezaubert von Begabung und Anmut der jungen Elevin, hatte sich Armand Dupriaux in sie verliebt. Manon spielte die Celimene in Molieres "Le Misanthrope", die Aufführung hatte Erfolg. Als das Stück nach zwölf Monaten abgesetzt wurde, gab es keine Rolle mehr für Manon am Theatre des Italiens. Die beiden hatten geheiratet, und Dupriaux erklärte, sie hätten es nicht nötig, sich dem Vorwurf der Vetternwirtschaft auszusetzen, da man Manon nach diesem Erfolg in jedem Pariser Theater mit Kusshand engagieren würde. Er hätte es besser wissen müssen, denn welcher Spielleiter hat nicht seine bitteren Erfahrungen mit verwöhnten Intendantengemahlinnen als Schauspielerinnen wie auch mit deren Ehegatten, die gegen jede Aufführung Stimmung machen, welche der geschätzten Gattin nicht den erwarteten Ruhm bringt.

      "Inzwischen könnten die Pariser Theaterdirektoren allerdings bemerkt haben", sagte ich, "dass solche Befürchtungen bei Manon Dupriaux nicht zutreffen."

      "Sie übersehen", antwortete Lesnour, "wer längere Zeit nicht die Bühne betritt, der wird vergessen."

      Da ich Manons Aktivitäten kannte, sagte ich ein wenig spöttisch: "An manchen Tagen betritt sie sogar zweimal die Bühne."

      Lesnour gab den Spott zurück. "Bühne oder Tribüne? Man schätzt Madame Dupriaux als Rednerin, Deklamatorin, politische Chansonette, aber wer weiß heute noch, dass sie das Zeug zur großen Schauspielerin hat?"

      Ich fragte Lesnour, wie er Monsieur Dupriaux einschätze. Lesnour, kaum älter als dreißig Jahre, schien recht versiert im Theaterfach. "Von der Persönlichkeit unseres Intendanten geht eine gemütvolle Ruhe aus, seine Ausgeglichenheit überträgt sich auf das ganze Theater. Er verabscheut übersteigerten Ehrgeiz und mag keine spektakulären Bühnenexperimente. Dagegen liefert er solide Handwerksarbeit und weiß sehr viel über Schauspielkunst. Zum Beispiel, wie man stets mit dem Rücken an die Wand kommt. Noch eine Kunst beherrscht er ausgezeichnet: nicht aufzufallen. Mit einem Wort, Monsieur Dupriaux ist ein französischer Mustermensch und weiß Gott glücklicheren Naturells als die teure Gattin."

      Um mich zu revanchieren, sagte ich Lesnour, er besitze die bemerkenswerte Gabe der Menschenbeobachtung.

      Je mehr ich erfuhr, desto mehr Rätsel gab mir Manons Leben auf. Wie vermochte sie auch nur einen Tag mit diesem Dupriaux zu leben? Weshalb hatte sie sich damals seiner albernen Maxime nicht widersetzt, mit der er ihr Talent eingesargt hatte? Warum verschaffte sie sich nicht selbst dankbare Rollen?

      Wenn Manon mich verdächtigte, ich vergeude Zeit beim Flirten, so stimmte das nicht. Nur weil sie mich so beeindruckte, hatte ich sie angesprochen. Die Tage der Kommune drückten meinem Leben ihren Stempel auf, meine Nächte waren selten länger als sechs Stunden, gern hätte ich zwei Köpfe und vier Hände gehabt. Von den Kollegen der fortschrittlichen Pariser Zeitungen war ich in die Kunstkommission der Kommune delegiert worden, zu viele Probleme, die gelöst werden sollten, nahmen unsere Zeit in Anspruch. Der Vorsitzende, unser guter Gustave Courbet, hatte das Talent, eine Kompanie Publizisten zu beschäftigen. Oft genug bat er mich um ein journalistisches Donnergrollen gegen lederärschige Bürokraten, oder er animierte mich, säumigen Kommandeuren wegen ihres Autoritätsschwunds den Marsch zu blasen. Seine Bitten hatten Gewicht, denn er selbst war seinem berühmten Pinsel untreu geworden, um nur noch für die Angelegenheiten der Kommune da zu sein. So schrieb ich wöchentlich allein für ihn zwei, drei Artikel, die er mir vorher als Paukenschläge, Fanfarensignale, Trompetenstöße umriss. Je schärfer diese Pamphlete ausfielen, desto zufriedener war Courbet, und es lässt sich vorstellen, dass ich mir Freunde erwarb und noch mehr Feinde. Auf die Art eingespannt und stets bekannter werdend, wurde ich von Redaktionen und Herausgebern bedrängt, und ich fragte manchmal, ob sie nicht eine Zaubermühle wüssten, in die oben das Thema hineingesteckt werden könnte und unten die fertige Glosse, das Feuilleton oder der Kommentar herauskäme. Dabei waren die Forderungen der Kollegen nur zu berechtigt. Ein Heer reaktionärer Schreiberlinge überschrie unser Häuflein Progressiver, die Presse im direkten oder indirekten Dienst der Versailler überflutete das bedrängte Paris mit Verleumdungen, Gerüchten und Panikmache. Es gab zwar eine erkleckliche Anzahl fortschrittlicher Publikationen, wie "La Montagne" von Gustave Marotteau; "Le Cri du Peuple" von Jules Valles, "Le Vengeur" oder "La Commune". Blättchen, und Blätter schossen wie Pilze ans Tageslicht, doch ihre Auflagen waren niedrig, und so plötzlich, wie sie erschienen, verschwanden sie meist wieder. Wir lernten den Effekt gezielter Lügen hassen. Unsere Wahrheit war monumental, ehern und unbezwingbar, aber ihre Stimme war zu leise, sie kam nur langsam voran und deshalb meist zu spät. Die Lügen der Boulevard-Journaille und der sogenannten seriösen Tageszeitungen, finanziert vom Bank-, Handels- und Industriekapital, waren flink wie Kakerlaken und zahlreich wie die Termiten, sie unterminierten das Gebäude der Kommune, höhlten die Moral aus und zerfraßen die öffentlichen und privaten Beziehungen. Mit fast selbstmörderischer Großmut sah die Kommune diesem Treiben zu, und als endlich am 18. April vier der reaktionärsten Gazetten verboten wurden, geschah das einen Monat zu spät. An besagtem Verbot glaube ich ein indirektes Verdienst beanspruchen zu dürfen. Ich hatte ein bissig-realistisches Porträt des Advokaten Jules Favre geschrieben - nunmehr Außenminister der Versailler Regierung und serviler Diener seiner selbstherrlichen