E.R. Greulich

Die Verbannten von Neukaledonien


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Paladin? Guillols Eltern - der Vater Flickschuster in Toulon - waren arm wie die Kirchenmäuse. Als sie in seinem sechsten Lebensjahr kurz nacheinander das Zeitliche segneten, wurde er von wohlhabenden Verwandten aufgenommen, die ihm eine solide Schulbildung angedeihen ließen. Sie waren einverstanden, als er bat, nach dem Gymnasium die Marineschule besuchen zu dürfen, es schien ihm die sicherste Art, voranzukommen. Da Guillol die meisten Klassen mit Auszeichnung absolvierte, hatte es neben der kärglichen Verwandtenunterstützung auch bescheidene Zuschüsse von Seiten des Domvikars, der ehrwürdigen Kirche Saint-Francis-de-Paule in Toulon gegeben. Der gütige Monsieur Vikar hatte nicht nur die Aufnahme Guillols in die Marineschule unterstützt, sondern auch dafür gesorgt, dass er dort, als Stipendiat auf eigene Füße gestellt, seinen Verwandten nicht mehr zur Last fiel. Das war einerseits befreiend, andererseits unbequem. Erst mit fünfundzwanzig Jahren, als er sich die Epauletten eines Leutnants mit der entsprechenden Löhnung erdient hatte, konnte er sich erlauben, ab und zu seriöse Restaurants aufzusuchen, Umschau unter den Töchtern des Landes, zu halten. Da nun war ihm Annabelle über den Weg gelaufen. Sie war verwöhnt, selbstbewusst und trotzdem vom ersten Augenblick an verliebt in den schneidigen Marineoffizier. Drei Jahre waren sie verlobt gewesen. Guillol stand nun im Rang eines Oberleutnants, der Brautvater drängte auf Heirat. Es war eine harte Entscheidung. Guillol fühlte sich als Patriot und treuer Anhänger des dritten Napoleon. Für sein persönliches Fortkommen aber musste man leider selbst sorgen, denn das Vaterland ließ sich damit viel Zeit. Die Aussicht, im Greisenalter vielleicht einmal Admiralsschnüre zu tragen, empfand der ehrgeizige junge Offizier als die Taube auf dem Dach, Annabelle mit ihren Erbaussichten als den Spatz in der Hand. So quittierte er den Dienst, reichte das Aufgebot ein, und Saint-Nazaire bereitete sich auf eine glanzvolle Hochzeit vor. Ein Orkan brachte verheerendes Unglück über die malerische Stadt. Zu den auf See Umgekommenen gehörte auch der alte Majeure mitsamt den Besatzungen seiner sechs Fischkutter. Als sei das für ihn ein Signal gewesen, verschwand der Prokurist Majeures mit dem Barvermögen der alteingesessenen Fang- und Handelsfirma. Über Nacht wurde Annabelle zum armen Mädchen. Wohl gab es da noch Immobilienbesitz, doch der war hypothekenbelastet und warf wenig ab. Guillol besann sich rechtzeitig auf seinen Wahlspruch: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Er musterte auf der "Plymouth" an. Die sieben Meere waren das beste Versteck vor einem Mädchen, das energisch auf Heirat bestand.

      Guillol hatte auf ein falsches Pferd gesetzt, und es galt, die Fäden neu zu knüpfen. Sein Ziel war eine Stellung im gehobenen Dienst des Marineministeriums. Die Seefahrt selbst war ihm verleidet, seine Untergebenen mussten es büßen, wobei Guillols Intelligenz ihn davor schützte, Formfehler zu begehen. Noch nie hatte er einen Mann auch nur angerührt, dennoch hassten die Schiffsleute seinen Zynismus, fürchteten seine Strenge.

      Erwartungsvoll bog er in die langgestreckte Straße ein, an deren Ende das Haus des Konsuls lag. Reicher, armer Bartoche, spöttelte Guillol in Gedanken, solltest du schon schlafen, muss ich dich aus dem Bett holen.

      Sie hatten sich zufällig auf dem Hafenamt getroffen, anfangs Floskeln über das Wetter und die Zeitläufte gewechselt und jeder vom anderen das Gefühl gehabt, er könnte ihm irgendwann einmal nützlich sein. Cecil Bartoche hatte das Gespräch bald auf das Fest zum vierzigsten Geburtstag seiner Gattin Mabel gelenkt, zu dem die Spitzen der Gesellschaft von Nouméa eingeladen seien. Er würde sich freuen, auch Guillol als Gast begrüßen zu dürfen.

      Bartoche hatte nicht übertrieben. Sogar der Herr Gouverneur nebst Familie hoffte, auf dem Ballabend des reichen Landsmanns und australischen Wahlkonsuls die Provinzlangeweile totzuschlagen. Das Erscheinen des unbekannten Seeoffiziers Guillol in jener erlauchten Gesellschaft war eine kleine Sensation gewesen. Der General hatte ihn, kaum dass Guillol allen Gästen vorgestellt worden war, mit Beschlag belegt. Es konnte ihm nur recht sein, de Cavalleux war eine wertvolle Bekanntschaft für jemanden, der hochfliegende Pläne hegte. Weniger recht war es der Tochter des Gouverneurs, Daphne. Als die ersten Takte Tanzmusik erklangen, trat sie zu den beiden Plaudernden und machte den Herrn Papa liebenswürdig darauf aufmerksam, dass auch er zumindest zwei Tänze zu absolvieren habe, einen mit der Dame des Hauses, einen mit seiner Gattin. Eine unausgesprochene Aufforderung auch an Guillol, geistesgegenwärtig bat er Daphne um den ersten Tanz. Es war nicht der Letzte, sie verstand geschickt, es so einzurichten, dass Guillol nur mit Mühe zu den Anstandstänzen mit den andern Damen kam. Konkurrentin Daphnes war deren Mutter, Adrienne, die aussah wie die reifere Schwester der impulsiven Gouverneurstochter. Sie sprach viel über Daphne, von deren menschlichen Vorzügen, ihren, Handfertigkeiten und Fähigkeiten, und über das, was sie bei einer Heirat vom Elternhaus mitbekäme. Scherzhaft flocht die kluge Mama ein, dass ihr natürlich ein sympathischer Eidam lieber wäre als ein unsympathischer, und der umschwärmte Seeoffizier geriet ins Schwitzen, wörtlich wie bildlich. De Cavalleux mochte ein nützlicher Leuchtturm sein, dessen Licht ihm womöglich irgendwann den Weg ins Marineministerium weisen würde, doch in den beiden Damen brannte ein Feuer, an dem man sich die Finger verbrennen konnte. Daphne versuchte später, Guillol zu einem Rendezvous zu provozieren. Er redete sich heraus, er werde ihr Botschaft zukommen lassen, sowie er wieder Landgang bekomme. Anfangs hatte sich Guillol über so viel Damengunst gewundert, angesichts einiger lediger Offiziere aus dem Stab des Generals, die als Heiratskandidaten bestimmt mehr zu bieten hatten. Bemerkungen, die ihm andere Damen beim Tanz zuflüsterten, klärten dann das Rätsel. In diesem Krähwinkel Nouméa fühlten sich die temperamentvolleren Damen um den Hauptreiz ihres Lebens gebracht: das Dasein in Glanz und Bewunderung, in der abwechslungsreichen Metropole Paris. Auch Daphne konnte nichts Besseres passieren, als von dieser tristen Insel weggeheiratet zu werden, und Guillol vermutete, das Rendezvous sei als Falle gedacht. Sollte der Herr Papa sie beide 'zufällig' zusammen treffen, dann bliebe kaum anderes, als sich zu erklären. War es nicht äußerst verlockend: Einheirat in die Königsfamilie? Obendrein war die Königstochter hübsch und nicht hässlich wie im Märchen. Daphne besaß Klugheit, Bildung und eine passable Mitgift. Guillol hatte es bedacht und nochmals bedacht, und auch jetzt überlegte er. Das Leben war eine Mathematikaufgabe mit zu vielen Unbekannten, sein Pech mit Annabelle hatte es ihn gelehrt. Die de Cavalleux werden hier in Neukaledonien versauern. Sie wollen es nicht wahrhaben, doch sie wissen es. Aber meine Ziele sind nur in Paris zu verwirklichen, wusste Guillol, und nie würde der Papa die Tochter mit ihrem Gatten in das Sündenbabel gehen lassen, das man dem General mit einem Orden versiegelt hatte. De Cavalleux war sich klar darüber, dass dann die Gattin öfter bei der Tochter weilen würde als bei ihm im trostlosen Nouméa. Fast alle diese Leute waren tropenmüde, und jeder versuchte dem Dilemma auf seine Weise zu entrinnen. Auch Albert de Cavalleux' Antrag auf Ablösung war das kaschierte Bemühen gewesen, sich an ein besseres Ufer zu retten. Die Flucht der beiden Deportierten dürfte das gefundene Fressen für ihn sein. Jetzt kann er den aufgespeicherten Tatendurst stillen. Agil und unternehmungslustig macht er keine Ausnahme von allen pensionierten und abgeschobenen hohen Militärs, die stets meinen, dass sie die verlorenen Schlachten der anderen gewonnen hätten. Er ist fest überzeugt, wäre er im Mutterland gewesen und hätte auch nur ein Armeekorps zu befehligen gehabt, der Krieg mit Preußen-Deutschland hätte einen anderen Ausgang genommen.

      Als Guillol sich dem Hause der Bartoches näherte, sah er, dass die kleinen Fenster hinter den Ziergittern im Erdgeschoß noch erleuchtet waren. Wahrscheinlich verkonsumierten die Domestiken jetzt die Reste des Festmahls. Wenn der Herr schläft, dachte Guillol, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Er zog den bronzenen Klingelgriff unter dem maurisch-spanischen Torbogen. Ein Bediensteter öffnete, führte ihn in die Halle, deren Interieur an die Häuser des spanischen Adels erinnerte, und bat ihn, in einem mit Schaffell bespannten Sessel Platz zu nehmen.

      Im Gegensatz zum Abend hatte Guillol jetzt Muße, sich umzuschauen. Zwar wirkte die Halle beinahe spartanisch, trotzdem roch es, hier nach Reichtum. Insgeheim rümpfte Guillol die Nase über den wendigen Bartoche, einen Pragmatiker, der stets wusste, wie er den Mantel hängen musste. Das Beste an ihm war seine Gattin Mabel, blond, schlank, intelligent, einst eine umschwärmte Dame der australischen High-Society. Wie Guillol erfahren hatte, war ihr Vater Besitzer von mehreren Fleischfabriken und Tausenden von Rindern.

      Als Bartoche erschien, begrüßte er den späten Gast mit erstaunt-besorgtem Gesicht und bat ihn in sein Arbeitszimmer. Nachdem Guillol berichtet hatte, entschied der Konsul: "Wir gehen beide zum General." Er werde sich sofort ankleiden und bitte um wenige Minuten Geduld.

      Guillol hatte mit Wenn und Aber gerechnet,