E.R. Greulich

Die Verbannten von Neukaledonien


Скачать книгу

- Das ist ein Befehl, Kenton!"

      Während der Auseinandersetzung war Kervizic langsam die Stufen hinaufgestiegen, winkte Grousset, ihm zu folgen, und flüsterte: "Wenn wir jetzt verschwinden, könnte Brissac Kenton die Schuld geben, und das Komplott mit Darnbridge bleibt geheim."

      Kenton hatte die Vertäuung wieder gelöst, stieß das Boot von der Plattform ab und höhnte: "Du wirst nicht mehr zurückkommen zur 'Plymouth', Musjö Brissac. Ich werde dem Käpt'n sagen, du hast, dich mit deinen Kumpanen aus dem Staub gemacht." Kenton wirtschaftete heftig, er war dabei, das Steuerruder aus der Aufhängung zu heben, um das Boot allein, besser dirigieren zu können. "Denk ja nicht, dass der Alte dir Glauben schenkt, solltest du wieder auf der 'Plymouth' aufkreuzen. Du hast dich verraten. Mich hast du kujoniert, aber mit den Strolchen gemeinsame Sache gemacht."

      Wir haben den Hundsfott unterschätzt, fuhr es Kervizic durch den Kopf, und anstatt etwas für uns zu tun, müssen wir nun Brissac helfen. Er nahm kurz Anlauf und jumpte mit langem Hechtsprung ins Wasser. Nicht weit vom, Boot kam er hoch, mit wenigen Schwimmstößen erreichte er es am Bug und begann es mit schneller Beinarbeit der Plattform zuzutreiben. Das hatte Kenton am wenigsten erwartet, er geriet in Panik. Anstatt sofort gegenzurudern, hob er ein Ruder, um es Kervizic über den Kopf zuschlagen. Er traf die Bordkante, das Ruder splitterte. Kervizic war zum Heck getaucht und trieb das Boot der Plattform näher. Kenton sprang zum Heck, aber er erwischte den zum Bug tauchenden Kervizic wieder nicht.

      Jetzt ist das Boot nahe genug, dachte Grousset und sprang. Er verfehlte sein Ziel. Das Wasser schmeckte nach faulem Fisch und toter Katze. Nun hatte es Kenton mit zweien zu tun, die vereint das Boot an die Plattform zu bringen trachteten. Es gelang, Brissac warf sich auf Kenton, und sie rauften verbissen, bis die Freunde ins Boot gelangt waren. Ein Kinnhieb Kervizics machte Kenton still und friedlich, vorsorglich banden sie ihm die Hände.

      "Der Käpt'n dürfte höllisch erfreut sein, wenn er hört, was dieser Franzosenfresser ausgeheckt hat", bemerkte, Grousset und fragte bekümmert, wie Brissac mit einem Ruder zum Schiff zurückgelangen wolle. Er werde halt wriggen, erwiderte der Bootsmann, noch immer schnaufend vom Kampf. Verlegen entschuldigte er sich, als letzter eingegriffen zu haben. "Ich kann nämlich nicht schwimmen", gestand er kleinlaut.

      Eine Gruppe angetrunkener Seeleute tauchte oben auf der Kaimauer auf, und einer rief: "Ist jemand, in den Bach gefallen?“

      "Er hat zu viel puren Rum geladen", antwortete Brissac scheinbar belustigt, „wollte ihn mit Hafenwasser verdünnen!"

      „Schade", kam es von der Kaimauer, "wir dachten, es gibt was zu keilen, hätten gern dabei geholfen!"

      "Spart es euch auf. In Sydney und Yokohama gibt es auch noch Schnaps. - Macht's gut, Jungs!" Brissac stieß das Boot ab, und wriggte zur nächsten Treppe, um den Krakeelern aus dem Blickfeld zu kommen. Dort wies er auf den bewusstlosen Kenton, "Er ist uns auf die Schliche gekommen;" Ärgerlich fuhr er fort: "Klar, ich sollte euch laufenlassen, aber ohne Zeugen. Kenton war die schwache Stelle in der Rechnung. Er hat noch was auf dem Kerbholz, deshalb dachte der Alte, er würde am fügsamsten sein. Der Käpt'n wollte alles so arrangieren, dass er gegenüber den Behörden in Nouméa gedeckt ist und damit auch gegen seinen Ersten, Guillol. Sollte aber in England ruchbar werden, er habe dem Thiers-Regime zwei Gefangene ans Messer geliefert, dann hätte er mich als Zeugen gegen diese Behauptung."

      Kervizic sagte ärgerlich: "Darnbridge laviert, aber uns bringt er in eine verteufelte Lage. Als ob wir uns jederzeit unsichtbar machen könnten."

      Obwohl er die Bitterkeit Kervizics begriff, bemühte sich Brissac um Gerechtigkeit. "Nach der Gefangennahme bin ich den Versaillern wieder entwischt, konnte mich durchschlagen bis Boulogne und auf der 'Plymouth' anheuern. Der Alte hat gerochen, was mit mir los war und ich musste ihm versprechen, kein Wort über meine Vergangenheit zu verlieren. Mit euch ist das heikler. Damals, gab, es noch keinen Guillol an Bord. Er ist ein übles Subjekt, würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, euch ans Messer zu liefern. Und wenn es auch belämmert ausschaut, im Augenblick hat der Käpt'n die beste Lösung gefunden."

      "Wobei wir den interessantesten Teil der besten Lösung auf dem Buckel haben", bemerkte Kervizic. Um keinen Disput zu entfachen, sagte er, dass noch drei Schiffe auf dem Wasser der Bucht schaukelten, die für das Vorhaben in Frage kämen, ein norwegischer und ein dänischer Schoner, sowie eine amerikanische Viermastbark. Sollte man nicht versuchen...?

      Brissac schüttelte den Kopf. "Was die Teerjacken in den Hafenkneipen von ihren Prinzipalen erzählen, spricht Bände. Denen traue ich zu, dass sie euch ausliefern. Könnte sein, es springt dabei eine nette Belohnung heraus."

      Kervizic wurde ungeduldig. "Aber die Zeit brennt uns auf den Nägeln, und ..."

      "Ich bleib bei meinem Vorschlag Yate", unterbrach ihn Brissac. "Ganz sicher nimmt euch der Käpt'n da lieber als hier im vermaledeiten Nouméa. Und womöglich kriegt ihr schon einen Eimer nach Europa, bevor wir dort anlegen, Die Chaussee nach Yate soll eine der ordentlichsten auf Neukaledonien sein, es ist in drei, vier Tagen zu machen."

      "Falls uns ab und an gebratene Taube oder andres Nahrhaftes in den Mund fliegt", bemerkte Grousset.

      Brissac fuhr sich sorgenvoll durch das Haargewuschel. "Ihr müsst es schaffen, euch einen Tag zu verbergen. Morgen Abend würde ich euch etwas Proviant für den Fußmarsch bringen."

      Von Zweifeln geplagt, wiegte Kervizic den Kopf. "Sowie sie unsre Flucht entdeckt haben, ist hier der Teufel los. Man wird den letzten Winkel Nouméas nach uns durchstöbern."

      Brissac legte .den Finger an die platte Nase. "Das sollen sie ja gerade. Dann haben sie sich morgen Abend ausgetobt und glauben, ihr seid längst über alle Berge. Dabei habt ihr außerhalb der Stadt im Dickicht, in irgendeiner Höhle oder einem Maisfeld den Abend abgewartet."

      Die Freunde schwiegen unentschlossen. Grousset knurrte der Magen, ein Hungeranfall machte ihm die Knie weich, sein Gehirn assoziierte das Wort Mais mit anderen Früchten des Bodens, und scheinbar zusammenhanglos erklärte er, dass er notfalls auch rohe Kartoffeln essen würde.

      "Morgen nach Dunkelwerden kommt ihr wieder zur Treppe. Im Mauerwerk dahinter sind Löcher und Nischen. Für den Fall, dass wir uns verpassen sollten, hinterlege ich, was ich auftreiben kann, und auch, wann wir auslaufen werden - sollte das Datum inzwischen bekannt sein." Brissac hob die Schultern. "Was Besseres weiß ich nicht."

      Kervizic, dem ihr Plaudern schon zu lange gedauert hatte, bekräftigte: "Also ab durch Nouméa und hinein in die nahrhafte Landschaft."

      Die Freunde wollten eben die Treppe hinauf, als Brissac etwas einfiel. "Einen Augenblick!" rief er und kramte in seiner Hosentasche, darauf legte er Grousset einige Geldstücke in die Hand. "Mehr habe ich leider nicht bei mir, aber für Brot und Speck reicht es erst mal."

      Ein wenig gerührt, dachte Grousset, zu dumm, dass nachts kein Laden geöffnet hat. Kervizic war nicht weniger beeindruckt von der kameradschaftlichen Geste. Er stand neben Grousset, sie sahen zu, wie Brissac niederkniete und Kenton den Puls fühlte.

      "Er schläft noch", sagte der Bootsmann, „hoffentlich träumt er schlecht." Energisch stieß er das Boot ab. "Bis morgen Abend!" Er spuckte sich in die Hände, packte das Ruder und wriggte davon.

      DRITTES KAPITEL

      Vom Unglück, nicht füsiliert worden zu sein (Aus dem Tagebuch des Paschal Grousset)

      Gibt es einen verlässlicheren Freund als das Tagebuch? Wer brächte so viel Langmut für Abrechnungen mit sich und den andern auf; wer hätte so viel Geduld für die Bekenntnisse, Gedanken- und Erinnerungen eines Abenteurers wider Willen? Ich, Paschal Grousset, -Pamphletist und verhinderter Romancier, Zeitungsschreiber und Kommunard, würde ersticken, könnte ich nicht schreiben. Dieses zerflederte Bändchen ist mein einziges Kapital, gut für etliche Novellen und Romane. Allerdings würde enttäuscht sein, wer einen chronologischen Abriss vom Entstehen und Untergehen der Pariser Kommune erwartete oder, den Bericht eines Barrikadenkämpfers. Ich habe nicht mit der Waffe in der Hand gekämpft. Was ich bei Verhaftung, Verurteilung und Verbannung erleben musste,