E.R. Greulich

Die Verbannten von Neukaledonien


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ihm den ganzen Schiet erzählen, und ich gehe in den Bunker." Kenton spielte den Fatalisten. "Macht nichts, der Smutje wird mich hinterher schon herausfuttern. Ein paar Tage ausruhen ist auch was wert."

      "Ja", bestätigte Brissac, "aber im Arrestbunker ist es heiß und stickig, die Hölle."

      "Hölle hin, Hölle her. Dort habe ich Zeit zu überlegen, was ich mit dir mache, wenn wir uns allein begegnen."

      Brissacs Stimme klang versöhnlich. "Wenn du nicht so verbohrt wärst, könnten wir uns Ärger ersparen."

      Kenton witterte einen Vorteil. "Nämlich?"

      Der Bootsmann hielt das Ruder still, leicht schaukelte die Schaluppe auf den Wellen. Brissac räusperte sich. "Wenn du versprichst, nicht mehr gegen mich zu stänkern, könnte ich vergessen, wozu du dich hast hinreißen lassen. Von mir würde der Käpt'n nichts erfahren, und natürlich müsstest auch du das Maul halten."

      Vor Kurzem handfest belehrt, dass es nicht immer ratsam ist, seinen Hass deutlich kundzutun, ließ sich Kenton Zeit zum Überlegen. Schließlich fragte er: "Welche Garantie hab ich, dass du Wort hältst?" "Wenn du schwörst, nehme ich dir die Fessel ab", schlug Brissac vor.

      Kenton bequemte sich zu einem brummigen "All right!" und sagte, während Brissac ihm die Handgelenke befreite: "Ich schwöre."

      An Bord wurden die beiden vom Zweiten Offizier Simsdale in Empfang genommen, der anordnete, Kenton solle noch einmal zum Kai rudern und den Ersten Offizier Guillol abholen. In Kenton begann es zu brodeln: Gern hätte er dem schweigsamen Simsdale mit dem gutmütigen Schafsgesicht Schmähworte an den Kopf geworfen, doch er wusste, es war ein Befehl des Kapitäns.

      Brissac beschaffte ein Ersatzruder, und Kenton zeigte sich ehrlich überrascht. "Hätte nicht gedacht, dass du so kameradschaftlich sein kannst."

      Erstaunt über das Lob, erwiderte Brissac: "Auf See braucht einer den andern."

      Schweigend legte Kenton wieder ab. Ein Satz ohne jeden Hohn, ohne jeden Vorwurf. Es stieß ihm auf wie nach einer verdorbenen Sauce. Er war in den Londoner Elendsquartieren von Whitechapel aufgewachsen, und nur weil er früh genug gelernt hatte, um sich zu schlagen, war er am Leben geblieben. Mit wildem Instinkt hasste Kenton die generösen Gentlemen, die mildtätigen Ladies. Er hatte eine uneingestandene Sehnsucht, selbst generös zu sein, und wusste, wie unmöglich das für einen seiner Herkunft war. Er hasste alle, die über ihm standen, denn die wollten nur treten, entweder auf smarte oder auf brutale Art. Auf die smarte Tour versuchte es der Bootsmann. Kenton fluchte vor sich hin. Ich brauche deine Episteln nicht, wenn ein Kahn kentert, ist die Moral ohnehin im Eimer. Ich will nichts geschenkt von diesem Jesus mit der Brigantenfresse, ich werde es ihm heimzahlen. Ein Gedanke machte ihn heiß. Das Stinktier Guillol steht doch auf Kriegsfuß mit dem Alten, und den Brissac hat er auch gefressen. Wenn ich dem Ersten die Geschichte aufs Butterbrot schmiere, beißt der bestimmt an. Der setzt sonst was in Bewegung, dass die beiden Coyoten geschnappt werden, denn damit haut er den Alten und auch den Bootsmann in die Pfanne.

      Kenton verlangsamte sein Tempo beim plötzlichen Bedenken. Zu schade, Guillol ist auch ein Scheißfranzose, eigentlich kann man ihm den Spaß nicht gönnen - ach Schiet, ist eigentlich schön, wenn eine Krähe der andern doch ein Auge aushackt, wenn ein Franzose gleich zwei Landsleute an den Galgen bringt.

      In Hochstimmung versetzt durch die eigene Pfiffigkeit, legte sich Kenton wieder ins Zeug. Nachdem er das Boot an der Kaitreppe vertäut hatte, wartete er ungeduldig. Was werden die beiden Strolche getan haben? Wahrscheinlich sind sie sofort hinausmarschiert aus Nouméa. Nach Nordwesten oder Südosten? Berittene Polizei wird sie auf jeden Fall einholen. Und wenn sie sich im Urwald verbergen? Der Gedanke machte Kenton unruhig, und er fluchte, dass Guillol sich so viel Zeit ließ, noch könnte man die beiden in oder bei Nouméa einfangen.

      Als der Erste endlich auftauchte, wirkte er weniger streng als sonst, wahrscheinlich hatte er einige Gläser Champagner gekippt, und überhaupt schien er bei diesem Landgang auf seine Kosten gekommen zu sein. Beinahe jovial fragte er: "Nun, Kenton, wie bekommt Ihnen der Extradienst, den ihnen der Kapitän zudiktiert hat?"

      "Glänzend, Sir", Kenton tat, als sei er bester Laune. "Es ist schon der zweite Törn. Beim Ersten habe ich ein Ding erlebt, das Sie mir bestimmt nicht glauben werden."

      "Reden Sie schon", sagte Guillol reserviert.

      Haarklein berichtete Kenton, was sich mit den angeblichen Schiffbrüchigen zugetragen hatte.

      Guillol tat gelassen, doch die Indizien dünkten ihn eindeutig. Er kannte die Abneigung des Kapitäns gegen die Thiers-Regierung. Anstatt die beiden Verbrecher der Polizei zu übergeben, half ihnen der Alte bei der Flucht. Es passte zu Darnbridge. Auch, dass er seinem Protektionskind Brissac die Angelegenheit anvertraut hatte. Und wenn der Bootsmann seinen Widersacher Kenton so billig davonkommen ließ, dann nur, damit alles fein begraben blieb. Jetzt musste gehandelt werden. "Kehren Sie um", befahl Guillol.

      Kenton folgte der Anweisung nur zu gern.

      Auf der Kaitreppe sagte Guillol: "Bestellen Sie Mister Simsdale, ich hätte bei Konsul Barroche etwas vergessen, er soll in zwei Stunden wieder ein Boot schicken." Er machte eine unmissverständliche Geste. "Zu wem auch immer, Kenton, kein Sterbenswort von dem, was Sie mir mitgeteilt haben. - Kapiert?"

      „Yes, Sir!" Kenton legte ab. Muss der Lackaffe mir nicht erst klarmachen, räsonierte er, würden sie auf der "Plymouth" erfahren, welchen Gefallen ich ihm getan habe, ich kriegte es außer mit Darnbridge und Brissac auch mit allen andern zu tun. Bei diesem Gedanken wich seine Hochstimmung beklommener Nachdenklichkeit. Dein kluges Köpfchen hat den hochnäsigen Guillol fein in Trab gesetzt, was aber, wenn es schiefgeht? Kenton legte die Ruder ein und wischte sich Schweiß von der Stirn. Fangen sie die beiden nicht, werde ich es büßen müssen. Der Erste wird durchblicken lassen, wer ihm die Geschichte aufgetischt hat. Dann habe ich keine gute Zeit mehr auf der "Plymouth".

      Guillol schlug den Weg zum Haus des Konsuls ein in der Hoffnung, dort könnte noch jemand wach sein. Zwar hatte er auf der erlesenen Gesellschaft heute Abend den ersten Mann Neukaledoniens, Albert de Cavalleux, kennengelernt, aber er wagte nicht, ihn nachts in seiner Residenz aufzusuchen. Der General war Statthalter und Kommandierender der französischen Streitmacht auf Neukaledonien in einer Person. Guillol schmeichelte noch nachträglich der ausgezeichnete Eindruck, den er offenbar auf de Cavalleux gemacht hatte. Ein nützlicher, wenn auch leicht errungener Erfolg, denn sie waren ja gleicher Gesinnung. De Cavalleux, überzeugter Royalist, fand die Thiers-Regierung noch zu schlapp, er war im Jahr einundsiebzig um seine Ablösung eingekommen. Thiers hatte ihm dann einen Orden verliehen mit der Bitte, in Neukaledonien auszuharren. Bald würde sich Ducos mit gefangenen Kommunarden füllen, und da bedürfe es eines besonders ergebenen und umsichtigen Mannes, der im Notfall hart durchzugreifen sich nicht scheuen würde. Das hatte dem General eingeleuchtet, wie Guillol dem Gespräch entnahm, und de Cavalleux's Kummer bestand im Augenblick darin, dass diese Anbeter des Aufruhrs noch keinen Aufstand auf Ducos ausgeheckt, ihm bisher keinen Anlass geboten hatten, mit eisernem Besen dazwischenzufahren.

      Stets um Selbstkontrolle bemüht, wehrte sich Aristide Guillol gegen seine euphorische Stimmung. Der Gedanke, irgendwer könne, ihn für einen Drückeberger halten, bereitete ihm Unbehagen. Das Dokument war ihm heilig, das besagte, er sei auf eigenen Wunsch als Offizier der französischen Marine in Ehren entlassen worden. Für fünf Jahre hatte er auf der "Plymouth" angeheuert, es war die beste Gelegenheit gewesen, der Misere zu entfliehen, die begonnen hatte, als er Annabelle Majeure kennenlernte. Sie war die einzige Tochter des reichsten Fischers von Saint-Nazaire jenem Hafenstädtchen, welches zehn Kilometer entfernt von der Marineschule des Kriegshafens Toulon liegt, in der Guillols Laufbahn begann. Vater Majeure besaß ein halbes Dutzend Fischkutter. Der früh Verwitwete las Annabelle jeden Wunsch von den Augen ab, doch in einem war er unnachgiebig: Der Künftige seiner einzigen Tochter müsse Seemann sein, damit er ihm dereinst das Steuerruder aus den alt gewordenen Händen nehmen könne. Guillol hatte es früh genug von Annabelle erfahren, sonst hätte ihn das Mädchen nach der ersten Nacht nie wieder gesehen. Die Aussicht, bald reich und Kommandeur einer kleinen Fangflottille zu sein, bewog ihn, sich mit Annabelle zu verloben. Es war nicht leicht gewesen, einen ehrenhaften Abschied zu bekommen. Staat und Kirche hatten