Nadja Christin

Fatalis


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sich Luisa, aber daraus wird nichts werden, heute habe ich dir etwas Interessantes zu erzählen. Heute will ich keine Neuigkeiten über deine Bücher, über deine Arbeit oder über dich wissen, heute habe ich dir etwas zu berichten.

      Luisa lehnt sich auf den Zaun aus Gusseisen und blickt zu dem kehrenden Mädchen.

      »Hallo, Vivien«, sagt sie lächelnd, »warum kehrst du heute selbst? Deine Putze macht das doch sonst?«

      Vivien fegt unbeirrt weiter, sie murmelt nur:

      »Die hat heute frei. Weiß auch nicht genau warum. Aber ich schätze, ich werde auch mal selbst sauber machen können.« Sie hebt den Blick und dunkle Augen sehen amüsiert in Luisas feistes Gesicht.

      »Oder meinst du, es erregt die Gemüter der Nachbarschaft, wenn ich meine eigene Einfahrt kehre?«

      Luisa legt den Kopf in den Nacken und lacht kurz gackernd wie ein Huhn.

      »Alles was du tust, erregt die Gemüter unserer ach so feinen Nachbarn. Selbst wenn du ausatmest, wird darüber geredet.« Vivien lächelt schief und widmet sich erneut dem Schmutz ihrer Einfahrt.

      Luisa kann es kaum erwarten, ihr die Neuigkeit zu erzählen, so fängt sie auch ohne Einleitung einfach an zu plappern.

      »Hör mal, hast du schon den neuen Mieter aus dem Orangen gesehen?«, mit erwartungsvoll geweiteten Augen sieht sie Vivien gespannt an.

      Das sogenannte orange Haus ist das einzige Mehrfamilienhaus in der Siedlung. Es hat vier Stockwerke und fünf Wohnungen. Es ist ganz in orange gestrichen und wird von allen nur als das Orange bezeichnet. Es steht nicht weit von ihren Häusern entfernt, gut sichtbar, an der Kreuzung.

      Einige Zeit hat die oberste Wohnung leer gestanden, nun ist sie scheinbar wieder vermietet worden.

      Vivien stellt das Kehren ein und sieht ihre Nachbarin an, sie runzelt leicht ihre Stirn.

      »Nein, sollte ich das?«, fragt sie mit einem spöttischen Lächeln.

      »Aber unbedingt, Mädchen. Er hat sich bei allen hier schon vorgestellt. Er war auch bei dir, ich habe es gesehen, er hat geklingelt. Du hast aber nicht aufgemacht.« Luisa schämt sich kein bisschen dafür, dass sie ihre Neugier so unumwunden zugibt.

      Wiederum lächelt das schwarzhaarige Mädchen, arbeitet jedoch weiter.

      »Ich hab’s gehört, hatte aber zu tun. Was wollte er denn?«

      Verschwörerisch lehnt sich Luisa noch weiter über den Gartenzaun und flüstert:

      »Er hat uns alle zu seiner Einweihungsparty eingeladen. Samstag in zwei Wochen, im Garten vom Orangen Das ist aber total unerheblich.« Luisa winkt ärgerlich ab.

      »Ihn musst du dir ansehen. Ein Traum von einem Kerl, so was hab ich noch nicht gesehen. Wie für dich geschaffen, Mädchen.«

      Vivien stützt sich auf ihrem Besen und schiebt düster die schön geschwungenen Brauen zusammen.

      Sie hat zwar schon vor einiger Zeit aufgegeben sich über Luisa zu ärgern, aber über ihre Kupplungsversuche kann sie sich doch jedes Mal fürchterlich aufregen. Zumal Luisa genau über ihre Vergangenheit Bescheid weiß, über ihre Kindheit, was geschehen ist damals.

      »Luisa«, sagt sie langsam, »lass das bitte sein. Du weißt genau, dass ich das nicht mag.«

      Genervt verdreht Luisa ihre Augen nach oben.

      »Ja, ja, ich weiß. Aber hier zählt das nicht. Der Typ ist so toll, so klasse, so … so … «

      Sprachlos hält Luisa kurz inne, mit der Beschreibung eines gutaussehenden Mannes ist sie wirklich überfordert.

      »Du weißt schon, wie ich das meine«, fährt sie fort.

      »Adonis ist wahrscheinlich ein Dreckklumpen gegen ihn.« Vivien, noch auf ihren Besen gestützt, lacht kurz auf. Den Vergleich findet sie wirklich komisch.

      Von ihrem Lachen angespornt, spricht Luisa rasch weiter.

      »Er ist ungefähr in deinem Alter, schätze ich. Und du glaubst gar nicht, wie er aussieht, und so charmant. Mit einem Lächeln hat er die alte Bentke für sich eingenommen. Sogar die redet nur in den höchsten Tönen über ihn. Und du weißt, was das heißt, die zerreißt sich sogar über die Spatzen hier ihr Maul.«

      Luisa holt kurz Luft, dabei wirkt sie, wie ein Vulkan, der jeden Moment ausbricht, alles an ihr bebt.

      »Du musst ihn einfach kennen lernen. Er ist so ein unglaublicher Kerl, selbst ich würde ihn nicht von der Bettkante schubsen.« Vivien hebt amüsiert eine Augenbraue und Luisa holt lächelnd nochmals Luft.

      »Wobei sich die Frage selbstverständlich nicht stellen würde, da er mich natürlich nicht in seinem Bett haben will, so nett und charmant er auch zu mir war«, schließt sie, nun breit grinsend.

      Vivien schüttelt mit dem Kopf und beginnt erneut, die Einfahrt mit dem Besen zu bearbeiten.

      Erstaunt reißt Luisa ihre Augen auf, sie kann Vivien nicht verstehen, warum interessiert sie sich überhaupt nicht für Männer, egal wie sie aussehen. Wobei der Typ die Krönung von allen ist, von allen Kerlen, die sie selbst in ihrem langen Leben schon zu Gesicht bekommen hat.

      »Ach übrigens«, ergreift Luisa erneut das Wort, »er heißt Micki, kannst du dir das vorstellen, so ein klasse Kerl heißt wie eine Zeichentrickmaus«, abermals lacht Luisa gackernd.

      Das Mädchen lächelt vor sich hin, sie verspürt keine Neugier auf diesen angeblich so tollen Typ. Auch weiß sie jetzt schon, dass sie nicht auf diese Einweihungsparty gehen wird. Sie nimmt grundsätzlich keine Einladungen an, eine Lebensmaxime von ihr.

      Frustriert stöhnt Luisa laut auf.

      »Oh, Vivien, interessiert dich der Typ denn kein bisschen? Bist du gar nicht neugierig, willst du nicht mehr wissen? Was er gesagt hat, oder was ich ihm erzählt habe? Gar nichts?«

      Kurz hebt Vivien den Kopf.

      »Nö«, meint sie knapp und schwingt unbeirrt weiter den Besen.

      Luisa schlägt mit der flachen Hand auf den Gartenzaun, sie kann solch ein Desinteresse einfach nicht fassen, und weiß im Moment nicht, wie sie darauf reagieren soll. Vivien hat ihr sozusagen den Wind aus den Segeln genommen. Luisa hätte zu gerne vor ihr damit geprahlt, wie lange sie sich mit dem wunderbaren Kerl unterhielt, vor allem, wie lange sie über ihre schöne, schwarzhaarige Nachbarin mit ihm redete. Aber vielleicht ist die Idee nicht so gut, überlegt sich Luisa, vielleicht wird Vivien doch noch ärgerlich, wenn sie das erfährt.

      Unschlüssig, was sie jetzt tun oder sagen soll, bleibt Luisa einfach am Gartenzaun stehen und sieht der kehrenden Schönheit zu.

      *

      Auch etliche Meter weiter blickt jemand auf das schwarzhaarige Mädchen und ihre dicke Nachbarin, die fast den Zaun mit ihrem massigen Körper niederdrückt.

      Im obersten Stockwerk, des sogenannten Orangen, steht jemand und beobachtet die Szenerie durch das geschlossene Fenster. Eine weiße, dichte Gardine schützt ihn, vor allzu neugierigen Blicken.

      Wie eine Statue steht er hinter dem Fenster, kein Muskel an ihm rührt sich, kein Atemzug bewegt seinen Brustkorb. Wie aus Stein gehauen steht er dort, nur seine scharfen Augen zucken leicht, als er jede Bewegungen der beiden Nachbarinnen beobachtet.

      Es ist finster in dem kleinen Zimmer. Hinter ihm sitzt jemand in einem Sessel und liest ein Buch. Trotz der Dunkelheit, die in dem Zimmer herrscht, huschen seine bernsteinfarbenen Augen über die Seiten, er braucht scheinbar kein Licht.

      Micki, der am Fenster steht, runzelt plötzlich seine Stirn, wendet etwas den Kopf und sagt, ohne die beiden Frauen aus den Augen zu lassen.

      »Sie ist wirklich hübsch, die Kleine. David, komm mal her und sieh sie dir an.«

      David legt aufseufzend sein Buch auf die Armlehne des Sessels, stemmt er sich mit übertriebener Langsamkeit hoch und geht gemächlich zum Fenster.