Jo Jansen

Nach(t)Sicht


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      Jo Jansen

      Nach(t)Sicht

      Gute-Nacht-Geschichten für Erwachsene

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Allein allein

       Der wichtige Mann

       Die Quelle

       Die Tante

       Wer fürchtet sich vorm Schwarzen Mann?

       Der Neue

       Damenwahl

       Der Mantel

       Copii Romania

       Nur noch ein Kilogramm

       Der kleine Kobold

       Tanz mit dem Klabautermann

       Ein ganz normaler Tag, oder?

       Weihnachtsaugen

       Nach(t)wort

       Danksagung

       Impressum neobooks

      Allein allein

      „Noch eine Runde Ramazzotti!“

      Zustimmendes Gelächter erklang, als Michi sich wieder zu uns setzte und der Kellnerin zuwinkte.

      Er legte sein Handy auf den Tisch und zuckte die Schultern: „Sorry, war wichtig.“

      „Du warst eine halbe Stunde weg und hast die besten Witze verpasst,“ versuchte ich dem Bruder meines Freundes ein schlechtes Gewissen einzureden.

      „Ja, wir haben nur von dir gesprochen“, pflichtete Frank mir bei und alle lachten.

      „Sechs Ramazzotti, bitteschön.“ Die Bedienung war schnell, erhoffte entweder ein gutes Trinkgeld oder dass wir bald verschwänden. Vielleicht auch beides. Immerhin waren wir die einzigen Gäste, wenn man von einem älteren Ehepaar absah, das gleich nach dem Abendessen auf seinem Zimmer verschwunden war, wo vermutlich das „Musikantenstadl“ wartete. Zu dieser Jahreszeit war nicht mehr viel los im Schwarzwald. Umso mehr Spaß hatten wir heute gehabt, bei bestem Spätherbstwetter über die Höhen zu wandern, mit den Füßen raschelndes Laub aufzuwirbeln und immer wieder das herrliche Panorama zu fotografieren.

      Frank und ich waren erst seit wenigen Wochen zusammen und auf diesem Ausflug lernte ich die ersten Mitglieder seiner Familie kennen. Michi, den jüngsten Bruder, und seine Freundin Anna. Beate, die große Schwester, mit ihrem Lebensgefährten Robert. Sie alle waren nett, unsere Gespräche jedoch über Belanglosigkeiten nicht hinausgegangen. Fast so, als hielte ein unausgesprochenes Misstrauen sie noch zurück.

      „Prost, auf die Familie“, rief mein Freund. Während wir alle unsere Gläser erhoben, dachte ich: Wie süß, er zählt mich wohl schon mit dazu. Dass ich mit diesem Gedanken völlig daneben lag, sollte ich bald merken.

      Der Ramazzotti brannte in meinem Hals, ich konnte spüren, wie er heiß die Kehle hinablief und sich in meinem Magen wohlige Wärme ausbreitete. Robert erzählte einen weiteren Witz, doch ich hatte Mühe, ihm zu folgen. Mein Kopf fühlte sich seltsam an, wie in Watte gepackt, sodass nicht nur die gesprochenen Worte schwer zu mir durchdrangen, sondern auch meine Gedanken wie in Zeitlupe zu laufen schienen. Mir wurde schlecht.

      „Ich glaub, ich muss mal“, flüsterte ich Frank zu, während ich mich langsam erhob. Schwindelig war mir nun auch noch. Frank strich einmal kurz über meine linke Hand und folgte weiter Roberts Erzählung.

      Der Weg von der Gaststube zu den Toiletten kam mir endlos und wahnsinnig anstrengend vor. Ich schwitzte mehr, als bei der Besteigung des Feldbergs heute Mittag. Allerdings war es kalter, Gänsehaut verursachender Schweiß, der mir in kleinen Bächen den Rücken hinab rann. Wie lange ich in der kleinen Kabine hockte, weiß ich nicht mehr. Das schachbrettartige Muster des Fußbodens, winzige schwarze und weiße Karos, grub sich jedenfalls unauslöschlich in mein Gedächtnis ein.

      Nachdem ich mein Gesicht gewaschen und den Mund ausgespült hatte, um den Geschmack des Erbrochenen loszuwerden, erblickte ich im Spiegel ein beinahe fremdes, blasses Gesicht. Die dunkelblonden, schulterlangen Haare hingen strähnig herab. Meine Beine fühlten sich an wie Pudding, ich wollte nur noch ins Bett.

      Unser Tisch in der Gaststube stand leergeräumt da, die anderen waren wohl schon aufs Zimmer gegangen. Wie im Fieber bewegte mich in Richtung Treppe, um Frank zu folgen.

      „Moment junge Frau.“ Die Bedienung kam hinter dem Tresen hervor. Stumm reichte sie mir den Zimmerschlüssel. Ich war so fertig, dass ich mir gar nicht die Frage stellte, warum Frank nicht mit dem Schlüssel hinaufgegangen war. Mühsam schleppte ich mich bis in die zweite Etage, jede Stufe ein Kampf, den mich nur die Aussicht auf das warme Bett und Franks starke Arme gewinnen ließ.

      Schwankend stand ich vor der Zimmertür und stellte fest, dass der Schlüssel nicht passte. Ich klopfte. Nichts passierte. Legte mein Ohr an die Tür, vielleicht verriete mir das Rauschen der Dusche, dass Frank im Bad war. Lediglich das Rauschen des Blutes dröhnte in meinem Kopf.

      „Kann ich Ihnen helfen?“ Die Kellnerin kam um die Ecke, nahm mir den Schlüssel aus der Hand und fasste mich vorsichtig am Arm.

      „Die 217 ist da vorn, zwei Türen weiter.“ Bevor ich mich darüber wundern konnte, hatte sie bereits das Zimmer aufgeschlossen und mich sanft hinein geschoben.

      „Gute Nacht.“

      „Gute Nacht“, murmelte ich, stolperte im Dunklen vorwärts, bis ich an das Bett stieß und lang darauf hinfiel. So blieb ich liegen und musste sofort eingeschlafen sein.

      Spatzen schilpten und tippelten vor dem Fenster und, wie es sich anfühlte, auch in meinem Kopf.

      „Frank?“ Meine Hand glitt suchend über das Bett, auf dem ich immer noch bäuchlings lag, in meinen stinkenden Klamotten von gestern Abend. Nachdem ich ins Leere griff, schlug ich langsam die Augen auf, blinzelte. Mein Blick fiel auf eine schräge Wand mit Dachgaube. Die Vorhänge waren zugezogen und ließen nur diffuses Licht ins Zimmer scheinen. Es genügte, um mich zwei Dinge erkennen zu lassen: Das Bett war schmal und außer mir lag niemand darin. Und, dies war nicht unser Zimmer.

      Die Spatzenbande in meinem Kopf hinderte mich daran, vor Schreck aufzuspringen. Ich wollte zu Frank. Sofort. Er musste mich doch schon vermisst haben und Gott weiß was von mir denken.