Jo Jansen

Nach(t)Sicht


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und meinen beiden kleinen Nichten. Zum Glück beschäftigten die quirligen Kleinen die Familie so sehr, dass niemandem auffiel, wie wenig ich sagte. Erleichtert, dem heile-Welt-Gedudel entronnen zu sein, fuhr ich bereits am Morgen des zweiten Feiertages wieder nach Hause. Zu Silvester schlug ich alle Einladungen aus, wollte keine bunte Party, sondern vergrub mich in meiner Wohnung. Öffnete eine Flasche Rotwein, zündete eine Kerze an, legte klassische Musik auf und dachte über mein Leben nach. Was war nur schief gelaufen?

      Die Sache mit Frank war ein Desaster, die größtmögliche Verarsche, die ich mir vorstellen konnte. Irgendwie hatte ich mit Männern kein Glück. Verliebte ich mich in die Falschen oder verliebten sich die Falschen in mich? Holger zum Beispiel. Wir waren uns vor einem Jahr beim Eislaufen auf dem See begegnet, wo ich ihn fast über den Haufen gefahren hatte. Statt sauer zu sein, hatte er sich für die stürmische Begrüßung bedankt und mich auf einen Glühwein am Ufer der Reichenau eingeladen. Danach hatten wir uns zum Kartfahren und Klettern verabredet, uns auf den Hegauvulkanen wilde Schneeballschlachten geliefert, waren gemeinsam durch Kneipen gezogen und hatten jede Menge Spaß gehabt. Bis er eines Tages von Heiraten sprach. Da wurde mir bewusst, dass er nicht der Richtige war, ich ihn nie lieben würde. Nachdem ich ihm das unmissverständlich gesagt hatte, hörte ich nie wieder von ihm. Ein bisschen schwermütig holte ich mein Fotoalbum hervor. Von Holger und mir besaß ich noch Bilder. Ich lächelte, als ich die Fotos nun wieder sah. Holger war wie ein Clown, der mich immer wieder zum Lachen gebracht hatte. Aber wer will schon einen Clown heiraten?

      Angenehme Erinnerungen stiegen in mir auf, als ich die Bilder vom Hohentwiel betrachtete. Wir hätten von mir aus gerne Freunde bleiben können. Moment, was war das? Auf der nächsten Seite hatte ich Fotos eingeklebt, die Holger mir geschenkt hatte. Sie waren entstanden, bevor wir uns kennengelernt hatten, und zeigten alle sein typisches, lausbubenhaftes Lächeln. Er am Strand von Hurghada, mit einem süßen, streunenden Hund. Holger auf dem Empire State Building, im Hintergrund die Wolkenkratzer von New York. Er als Pirat geschminkt, wobei eine gewisse Ähnlichkeit zu Johnny Depp nicht zu leugnen war. Ein kahler Apfelbaum, an dem ein einziger roter Apfel hing. Das letzte Foto war definitiv nicht von Holger. Das hatte ich gemacht, im Herbst, kurz bevor ich Frank begegnet war. Es hatte, mit anderen Naturfotos zusammen, lose vorn im Album gelegen, da war ich mir sicher. Meine Gedanken tanzten Pirouetten, ich bekam sie nicht zu fassen. Welches Foto fehlte hier und war durch das Apfelbild ersetzt worden? Warum und vor allem, von wem?

      Ich fröstelte, obwohl die Heizung voll aufgedreht war. Hatte dieser Fototausch etwa auch mit den Ereignissen um Frank zu tun? Seit dem folgenschweren Abend im Schwarzwald hatte ich keinen Alkohol mehr angerührt. Es mag an dem Glas Rotwein gelegen haben, dass ich nun plötzlich mutig wurde. Alles in mir drängte danach, Holger anzurufen. Unbedingt. Jetzt. Zwar hatte ich seine Nummer längst aus meinem Handy gelöscht, doch kannte ich seinen Namen und wusste von der Wohnung im Haus seiner Eltern in Ravensburg. Wobei Haus untertrieben war, Villa traf es eher. Einmal waren wir gemeinsam dort gewesen und Holger hatte von früheren Kindergeburtstagspartys im riesigen Garten der Villa geschwärmt. Er bewohnte das ehemalige Gärtnerhaus, einen Anbau mit eigenem Zugang. Unbemerkt von seiner Familie hatten wir uns spätabends hinein und am Morgen wieder hinausgeschlichen.

      Der Computer blinkte einladend, ich rief das Onlinetelefonbuch auf, Ravensburg, Samson … Da, Federburgstraße, das waren sie. Automatisch griff ich zum Telefon und gab die Nummer ein. Während am anderen Ende der Wählton erklang, überlegte ich, was ich sagen sollte, wenn jemand von seiner Familie abhob. Es war Silvester, kurz nach 22 Uhr. Ich könnte mich damit herausreden, ihm alles Gute zum neuen Jahr wünschen zu wollen.

      „Samson?“, eine fragende, schon etwas älter klingende Frauenstimme meldete sich, wahrscheinlich seine Mutter.

      „Hallo, hier ist Nadine“, gab ich mich fröhlich. „Ich würde gern mit Holger sprechen.“

      „Nadine ...“ wurde mein Name am anderen Ende wiederholt. Dann war es still. Ich wartete, doch nichts passierte. Gerade wollte ich mich wieder in Erinnerung bringen, aber das Hallo blieb ungesagt auf meinen Lippen kleben.

      „Holger ist tot. Rufen Sie nie wieder hier an.“ Aufgelegt.

      Ich war wie betäubt, hielt noch lange den Hörer ans Ohr, bis das Tuten des Besetztzeichens endlich bis in mein Hirn vordrang.

      Holger war tot? Der fröhliche, lachende Holger? Das wollte ich einfach nicht glauben.

      Was war passiert? Wie war es passiert? Nur zu gern hätte ich seine Mutter danach gefragt. Vielleicht war er erst vor Kurzem gestorben und der Schmerz saß noch so tief in ihr, dass sie deshalb nicht mit mir reden wollte? Während ich noch vor mich hin grübelte, flogen meine Finger wie von selbst über die Tastatur, tippten Holgers Namen ein. Google lieferte zehn Seiten voller Suchergebnisse. Ich reduzierte auf drei Seiten, indem ich Ravensburg hinzufügte. Aktuelle Beiträge zuerst. Da war etwas. Ein Nachruf seines Arbeitgebers, datiert auf Ende März, also kurz nach unserer Trennung. Von einem tragischen Unglücksfall war die Rede. Völlig aufgewühlt durchforstete ich die Polizeinachrichten und Unfallmeldungen der lokalen Presse aus dem fraglichen Zeitraum. Tränen schossen mir in die Augen, als ich Berichte über den Sturz von einer hohen Brücke lesen musste. Von Holger S., 32 Jahre, war die Rede und dass Selbstmord nicht ausgeschlossen sei. Um Himmelswillen, war das etwa meine Schuld? Weil ich ihn zurückgewiesen hatte, nicht heiraten wollte?

      Während mir die Tränen nun in Strömen die Wangen hinab liefen, fingerte ich in meiner Bürotasche herum, die unter dem Schreibtisch stand. Dabei fand ich nicht nur die gesuchten Papiertaschentücher, sondern auch den Memorystick, auf dem ich mir manchmal Arbeit vom Büro mit nach Hause nahm. Nachdem ich mich kräftig geschnäuzt und die Tränen abgewischt hatte, wurde mein Blick wieder klar und ich überlegte. Hatte ich nicht damals die Fotos von Holger auf den Stick kopiert, um in der Mittagspause zum Fotoladen zu laufen und die Papierabzüge anfertigen zu lassen? Kaum war der Gedanke zu Ende gedacht, steckte auch schon der Stick in meinem Computer. Tatsächlich, die Fotos waren noch da, unter Privat abgespeichert. Eine innere Stimme sagte mir, dass ich kurz vor der Lösung all der Rätsel des zu Ende gehenden Jahres stand. Während draußen Glockengeläut und das Knallen und Pfeifen der Silvesterraketen den Beginn des neuen Jahres verkündeten, klickte ich mich durch Holgers Fotos. Fand das eine, das in meinem Album ersetzt worden war. Es zeigte Holger im Garten der Villa mit seiner Familie. Hinter ihm, die etwas ältere Frau, musste seine Mutter sein. Sie lächelte stolz in die Kamera. Neben ihr vermutlich Holgers Vater. Er hatte den Arm liebevoll um die Schultern seiner Frau gelegt. Rechts von Holger erkannte ich Frank und Michi, links Beate.

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