Jo Jansen

Nach(t)Sicht


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er mich nun auslacht und sagt, dass unsere Beziehung nur ein Irrtum war?“, jammerte ich.

      Angelika legte mir beruhigend den Arm um die Schulter.

      „Ich bin ja bei dir.“

      Bevor ich es mir eventuell anders überlegen konnte, streckte sie die Hand aus und drückte auf den Klingelknopf neben der Haustür.

      Nichts passierte. Jetzt schob ich mich vor, drückte ebenfalls, Dauerklingeln. Er schlief sonntags gern lang, doch das sollte ihn aus dem Bett treiben.

      Keine Reaktion. Enttäuscht und ratlos sah ich meine Freundin an. Sie visierte kurzerhand die beiden anderen Klingelknöpfe an und schellte dort.

      „Ja?“, tönte es fragend und misstrauisch von oben. Wir blickten hinauf und sahen eine ältere Dame, die sich in der zweiten Etage gefährlich weit aus dem Fenster lehnte, um einen Blick auf uns zu werfen.

      „Wir wollten eigentlich zu Herrn Egermeier, aber vielleicht können Sie uns auch weiterhelfen“, flötete Angelika mit zuckersüßer Stimme.

      Die Alte streckte ihren Hals noch weiter heraus, sodass ich unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. Dann verschwand sie im Inneren des Hauses und wenige Augenblicke später kündete der Summer davon, dass uns Einlass gewährt wurde. Schwerfällig stieg Angelika die Stufen empor und ich folgte ihr. In der ersten Etage blieb sie kurz stehen, um zu verschnaufen, strich sich dabei über den Bauch. Nun konnte ich nicht anders und klopfte vorsichtig an die Tür. „Frank?“ Keine Reaktion.

      Stattdessen klang es von oben: „Da ist niemand.“ Die alte Dame kam uns langsam entgegen, wobei sie auf jeder Stufe so komisch wackelte, was auf eine kaputte Hüfte hindeutete. Mit unverhohlener Neugier musterte sie Angelikas Babybauch.

      „Was wollen Sie denn von Herrn Egermeier?“ Dabei blickte sie Angelika argwöhnisch und neugierig zugleich an.

      „Also“, meldete ich mich stattdessen zu Wort, „ich bin seine, ähm, Freundin.“

      Nur unwillig wandte die Alte ihren Blick von Angelika zu mir. Das Misstrauen darin schien noch stärker als vorher.

      „Dann sollten Sie wissen, dass er schon seit Mai in Amerika ist, junge Frau.“

      „Sind sie sicher?“ entfuhr es mir und damit hatte ich in ihren Augen völlig verspielt. Vorsichtig schob Angelika sich weiter in den Vordergrund, strich schon wieder über ihren Bauch, was jetzt ziemlich theatralisch wirkte. Nun fasste sie sich auch noch an die Stirn, wie in einer billigen Komödie, und seufzte: „Ach, mir wird so komisch. Könnte ich wohl einen Schluck Wasser haben, bitte?“

      „Kommen Sie Kindchen, kommen Sie!“ Die alte Dame lief die Treppe schneller hinauf, als sie hinunter gewackelt war, und bedeutete Angelika immer wieder mit der Hand, ihr zu folgen. Meine Freundin blinzelte mir kurz zu und ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. An ihr war eine Schauspielerin verloren gegangen.

      „Hier entlang, in die gute Stube.“ Frau Pötsch, so las ich auf dem Türschild, ließ uns auf einem roten Plüschsofa Platz nehmen. Eine braun getigerte Katze strich neugierig um unsere Beine. Angelika erholte sich nach ein paar Schlucken Wasser erstaunlich schnell und lenkte das Gespräch vorsichtig wieder fort von Schwangerschaft und Baby und hin zu Frank Egermeier. Die alte Dame erhob sich und nahm ein gerahmtes Foto von der Anrichte. Liebevoll strich sie darüber, bevor sie es Angelika reichte. Ich war für sie Luft, wie es schien.

      „Das ist er.“ Stolz schwang in ihrer Stimme mit, als sie auf einen kräftigen, blonden, vielleicht achtzehnjährigen jungen Mann mit Sakko und Schlips zeigte. Meine Freundin sah sie verständnislos an: „Wer?“

      „Na, Frank. Mein Enkel. Da hat er gerade Abitur gemacht. Er studiert Medizin und ist jetzt für ein Jahr in Chicago.“ Ich schüttelte den Kopf und Angelika knuffte mich unauffällig in die Seite, dass ich jetzt bloß meinen Mund halten sollte.

      „Wie alt ist ihr Enkel denn jetzt?“ Wieder diese zuckersüße Stimme, sie hatte es echt drauf.

      „Vierundzwanzig.“

      „Und ihr Enkel war nicht zwischendurch auf Besuch hier, zum Beispiel im Oktober?“, hakte Angelika vorsichtig nach.

      „Ach nein, er kann ja nicht einfach herfliegen, das ist zu teuer.“ Die alte Dame seufzte. „Dabei habe ich ihn gerade im Oktober sehr vermisst, als ich für zwei Wochen im Krankenhaus lag.“

      „Oh je, wer hat sich denn da um ihre Katze gekümmert?“, fragte Angelika mitleidig.

      Frau Pötsch lächelte. „Wissen Sie, Kindchen, ich habe eine große Familie – Kinder, Enkel, Großnichten und -Neffen. Auf die ist Verlass.“ Sie stellte das Foto auf die Anrichte zurück und blieb neben der Tür zum Flur stehen. Angelika deutete dies als Zeichen, dass die Fragestunde beendet war, und verabschiedete sich. Ich trottete wie ein Depp hinterher.

      „Kommen Sie ruhig mal wieder, Kindchen“, rief Frau Pötsch ihr im Treppenhaus nach. „Und passen Sie auf Ihre Freundin auf.“ Das klang wie: Aber bringen Sie die bloß nicht wieder mit.

      „Das war nicht Frank!“ platzte ich heraus, kaum das wir um die nächste Häuserecke gebogen und somit außer Hörweite waren.

      „Mein Frank ist schlank, hat schwarze Haare, arbeitet irgendwo in der IT. Und“, triumphierend sah ich meine Freundin an, „er ist sechsunddreißig.“

      „Aber er heißt wohl nicht Frank. Du warst wirklich in seiner Wohnung? Hier in dem Haus?“

      „Ja, ich könnte Dir genau beschreiben, wie es dort aussah. Alles ziemlich klein und praktisch eingerichtet.“

      „Was ja auch einen Sinn ergibt, wenn es sich um eine Studentenbude handelt.“ Angelika ging langsam weiter und ich folgte ihr, wollte nur noch weg, fort aus Heidelberg.

      „Hm, dann muss dein Prinz irgendwie an den Schlüssel von diesem Frank gekommen sein. Vielleicht ist er ja jemand aus der großen Verwandtschaft, von der sie sprach, der dir von Anfang an Theater vorgespielt hat. Bleibt immer noch die Frage nach dem Warum.“

      Seltsamerweise war ich zunächst ruhiger nach dem Gespräch mit Frau Pötsch, bei dem ich nur Zuhörer gewesen war. Wollte ich wirklich noch wissen, was hinter dem ganzen Theater steckte oder wollte ich einfach in Ruhe gelassen werden? Angelika akzeptierte das und so drehte sich unser Gespräch während der Rückfahrt um sie, ihren Mann Martin, das Baby, die Schweiz …

      Natürlich bestätigte sich meine Vermutung, dass Angelika gar nichts in Konstanz zu erledigen hatte und nur meinetwegen hergekommen war. So brachte ich sie am nächsten Morgen zum Zug, bevor ich zur Arbeit ins Büro fuhr. Der Alltag hatte mich wieder. Zwar versuchte ich, jeden Gedanken an Frank, wie ich ihn immer noch nannte, zu verdrängen, doch es gelang mir nicht. Tagsüber vergrub ich mich in Arbeit und lenkte mich damit ab. Spätestens abends im Bett kamen die Fragen, tanzten wie kleine böse Geister in meinem Kopf herum und hinderten mich am Einschlafen. Wenn ich dann irgendwann für kurze Zeit in einen unruhigen Schlaf fiel, erwachte ich wenig später wieder, nur um mich für den Rest der Nacht im Bett hin und her zu wälzen und kein Auge mehr zu zu tun.

      Mit Angelika telefonierte ich regelmäßig, aber wir sprachen nie mehr über Frank. Ich vermied das Thema, da es nichts Neues zu berichten gab. Und sie? Glaubte sie mir wirklich? Immerhin hatte sie sich nach ihrem Besuch mit dem freundlichen Rat verabschiedet, ich sollte vielleicht einen Therapeuten aufzusuchen. Ich war wie besessen davon, ein winziges Zeichen dafür zu finden, dass Frank existierte, mir selbst zu beweisen, dass ich nicht verrückt war. Da ich aber nicht einmal seinen richtigen Namen wusste, machte es wenig Sinn, ihn per Google zu suchen oder Heidelberger Firmen nach ihren IT-Mitarbeitern zu fragen. Bei Frau Pötsch brauchte ich es schon gar nicht versuchen. Ihn bei der Polizei als vermisst melden? Lächerlich. Mister X war ja nicht wirklich verschwunden, sondern wollte nur von mir nicht gefunden werden. So blieb ich allein mit meiner Grübelei, die mich mehr und mehr gefangen nahm. Mir schmeckte kein Essen mehr, ich magerte ab, schminkte mich nur noch sehr nachlässig, wählte meine Kleidung lustlos aus, hatte an nichts mehr Freude.

      Es