Heinz Plomperg

Alter Postplatz


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sich ein Fleischhauer, im anderen eine Bäckerei. Die sonstigen Wohnungen waren eng und dunkel, die Mieter eher bescheidener Herkunft.

      Es waren Häuser, wie zu jener Zeit oft abgerissen wurden, um durch elegantere Neubauten mit großstädtischerem Flair ersetzt zu werden.

      Gleich daneben fand man ein solches Beispiel. Bis in die Herzoghofgasse hinein reichend, die über den Platz hinweg führte, erhob sich die Baustelle für das neue Hotel „Zur Eisernen Krone“, das eines der besten Häuser in der Stadt werden sollte, wenn nicht das beste, wie diverse Annoncen kundtaten, welche jetzt schon die bekannte Table d’hôte ebenso anpriesen, etwas Neues namens„Business Lunch“ oder schlicht „Internationale Speisen a´la carte“. Weiters wurden Suiten mit eigenen Telephonanschlüssen angekündigt, ein hauseigenes Telegraphenamt, ein Ballsaal, sowie private Gesellschaftsräume.

      Einen Gasthof „Zur Eisernen Krone“ hatte es bereits seit langer Zeit gegeben, nun hatten die neuen Besitzer, - im Ursprung gerüchteweise alteingesessene Weinhauer aus Grinzing -, das alte Haus und zwei Nachbarhäuser abgerissen, die Altmieter in ein neues Zinshaus in Ottakring abgesiedelt und damit begonnen, einen großartigen Hotelneubau hinzustellen, dessen neobarocke, etwas überladene Prachtfassade mit der vis-a-vis gelegenen Kirche zu konkurrieren gedachte, jedenfalls den veröffentlichten Plänen nach zu schließen, denn hinter dem Gerüst erkannte man noch nicht sehr viel.

      Der Neubau war gegenüber der alten Baulinie jedenfalls ein wenig zurückgesetzt worden, so dass sich der Platz in die Herzoghofgasse erweitert hatte, wo erst nach dem Hotel die alten Häuser die Gasse wieder mittelalterlich verschmälerten.

      Diese Erweiterung des Platzes und der Gasse brachte die bis dahin dort kaum beachtete Seitenfront vom Palais Arlington neuerdings besser zur Geltung, eines Barockbaus mit zurückhaltender Fassade, der die gesamte Westfront des Alten Postplatzes einnahm, mit einem kurzen Seitenflügel in die Falknergasse ragte und mit einem langen in die Herzoghofgasse.

      Das Palais dominierte den ganzen Platz und sein unregelmäßiger Grundriss hatte sich daraus ergeben, dass jener Bau im Laufe der Zeit über einige mittelalterliche Häuser gewachsen war, die dem ursprünglich dort bestehenden Falknerhof oder Herzoghof benachbart gewesen waren. Die Zeitgenossen des Jahres 1869 vermochten sich kaum noch vorzustellen, dass jenes Jagdhaus der Babenberger Herzöge oder das erste Kloster St. Nicola sich zum Zeitpunkt seiner Erbauung vielleicht noch vor den Stadtmauern im freien Feld und selbst nach der ersten Stadterweiterung unter den Babenbergern immer noch eine Weile in recht unverbautem Gebiet befunden hatten.

      Die Chronisten waren sich über die Jahrhunderte nicht und nicht einig geworden, den Platz nach St. Nicola zu benennen, oder eben Falknerplatz, oder Herzoghofplatz. Mit dem Einzug der Post ins ehemalige Kloster im Jahre 1783, war der Platz „Postplatz“ genannt worden, um früheren Verwirrungen Herr zu werden.

      Mit der Übersiedlung der Post im Jahre 1851 in die frühere Bockgasse und nunmehrige Postgasse, - übrigens ebenfalls in ein ehemaliges Klostergebäude -, hatte der bisherige Postplatz seinen heutigen Namen „Alter Postplatz“ erhalten.

      Es war also ein alter Platz mit einem reichlich neuen Namen. Die Erinnerung an die Falkner der Babenberger und deren ehemaliges Quartier, den Herzoghof, hielt sich immerhin noch in den beiden Nebengassen.

      Das Anwesen des jetzigen Palais Arlington war als Stadthaus für Franz Stephan von Lothringen über dem alten Herzoghof damals neu adaptiert und prächtig ausgestaltet worden, der sich – am Hofe Maria Theresias ohne echte Aufgabe – immer wieder dorthin zurückgezogen hatte, um, - fernab vom Protokoll -, seinen wissenschaftlichen Leidenschaften zu frönen, dem Kartenspiel, welches seine Gattin gar nicht goutierte, sowie um seine Freunde aus Freimauerkreisen zu treffen und seine diversen Freundinnen.

      Nach seinem Tod hatte die Witwe Maria Theresia das ihrerseits reichlich ungeliebte „Lothringerhaus“ einem ihrer Günstlinge zu einem äußerst wohlmeinenden Preis überlassen, dem Minister Arlington, den sie eben erst in den Grafenstand erhoben hatte. Die Arlingtons hatten England als treue Katholiken verlassen, so hieß es, ein Arlington hatte jedenfalls für die Habsburger im Dreißigjährigen Krieg gekämpft und war nach dem Tode Wallensteins mit den Gütern eines seiner Parteigänger, dem Schloss Jungwaldt der Barone de Brösau in Böhmen belohnt worden.

      Anders als die Namen Gordon, Butler oder etwa Piccolomini, hatte der Name Arlington jedoch nicht mittels Schillers Wallenstein-Trilogie Einzug in die Literaturgeschichte gehalten.

      Innerhalb der Wiener Gesellschaft war der Name Arlington jedoch ein fester Begriff geworden.

      Das Palais am Alten Postplatz war der Familie schon immer groß gewesen, einen Teil hatte man bereits in früheren Tagen abgetrennt und der Familie Delanoix verkauft, aber in Wien war es darüber hinaus ohnehin Tradition, dass die Eigentümer und namensgebende Familien allgemein nur die Beletage bewohnten und den Rest ihrer Häuser vermieteten. Hier beschränkte man sich zusehends auf den Mitteltrakt.

      Mit dem Balkon über dem Hauptportal, das von zwei Wandbrunnen flankiert wurde, den kolossalen Säulen, die von der Beletage über ein Mezzanin bis zum zweiten Stock reichten, worüber sich noch ein Halbgeschoss befand, wirkte es sehr elegant und beeindruckend, wiewohl es einige größere Häuser dieser Art in der Stadt gab.

      Über allen drei Eingängen, am Platz und in den beiden Seitengassen, war das Wappen der Arlingtons angebracht worden, in Sandstein gehauen, jedoch im Gegensatz zur allgemein üblichen Wiener Tradition, bunt bemalt, ein silberner Greif auf blauem Grund, der eine goldene Harfe hielt.

      Darunter befand sich der Wahlspruch, in griechischen Lettern, „’“, das heißt phonetisch übersetzt „namaste“ und bedeutet soviel, wie „Hier sind wir“.

      Da die Arlingtons dem manischen Drang unterlagen, - wie sonst nur Neureiche -, allenthalben wo ihr Wappen anzubringen, klang es bei ihnen immer etwas besitzergreifend, eher wie „Das gehört uns“.

      Vielleicht inspiriert durch den Hotelneubau, hatten sich die letzten zwei oder drei Jahre sowohl die Grafen Arlington, wie auch der amtierende Pfarrer und die Betreiber der Schule im ehemaligen Kloster dazu aufgerafft, wenigstens die Fassaden ihrer Anwesen aufzufrischen.

      Man hatte in Wien mit der ersten Volkszählung zwar noch knapp die Millionengrenze verpasst, dennoch fühlte man ganz allgemein einen neuen Anfang.

      Alles war so neu, alles glänzte.

      1873, Weltausstellung

      Wie und wann eine anglo-irische, katholische Adelsfamilie zu einem griechischen Wahlspruch gekommen war, verschweigt die Fama.

      Arlingtons behaupteten gerne, die ältesten Barone Englands zu sein. Sie behaupteten dies ungefragt und unbewiesen und egal, in welche Weltgegend sie die Geschichte verschlagen hatte. Alte Arlington-Tanten mahnten oft mit drohendem Unterton ihre Großnichten und –neffen, es habe bereits eine Geschichte der Arlingtons gegeben, ehe es eine Geschichte Englands gegeben habe.

      Um dann mit aristokratischer Nonchalance hinzuzufügen, leider, leider, sei diese Geschichte aber verloren gegangen.

      So manches Kind der Arlingtons aber träumte von römischen Vorfahren mit griechischen Wahlsprüchen im alten England, die den wahren Glauben an der Seite König Artus gegen die heidnischen Angeln und Sachsen verteidigt hatten. Daher brachten es die Arlingtons in jeder Generation auch zu mindestens einem Privathistoriker. Seltsamerweise hatte sich jedoch noch niemand von denen dazu aufraffen können, die englischen Ursprünge zu erforschen, oder gar die Legende zu verifizieren, selbst der amerikanische Nationalfriedhof „Mount Arlington“ resultiere aus der eigenen Familiengeschichte, aufgrund eines amerikanischen, wenn auch leider, leider protestantisch gewordenen Familienzweiges.

      Abgesehen von den böhmischen Besitzungen, einem Palais in Prag und einer Brauerei in Mähren, besaßen die Arlingtons noch Güter in der Steiermark inklusive noch einer Brauerei, eine Mineralwasserquelle in Westungarn, sowie ein Jagdhaus, Schloss