Heinz Plomperg

Alter Postplatz


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gemacht, beeinflusst vom umschwärmten Lieblingsmaler der Wiener Gesellschaft, Hans Makart, von dem die Zeitgenossen nicht wissen konnten, dass sein Name ihn als Modeerscheinung in der Möblierung eher überdauern würde als seine Gemälde.

      Ganz Wien sprach vom „Makart-Stil“ und meinte damit üppigen Luxus vom Feinsten, schwere Bordüren, welche die Fenster verdunkelten und den Blick beeinträchtigen, orientalische Teppiche, großformatige Bilder mit Historienszenerien, Allegorien oder überwältigenden Stilleben, riesige Topfpflanzen, feuervergoldete Bronzestatuten, die Lampen oder Blumenschalen oder auch gar nichts hielten. Den Großen Salon schmückte dazu noch ein lebensgroßes Porträt der Gräfin Eugenie von der Hand des Meisters.

      In Graf Ludwigs Arbeitszimmer hatten sich darüber hinaus neben einem massiven Mahagonischreibtisch noch englische, lederbezogene Clubsessel breit gemacht, sowie ein völlig sinnloses Klavier, das nur als Unterlage diente für einen enormen Bronzeleuchter und eine Anzahl von in Silber gerahmten Familienphotos. Sinnlos, weil es zum Charakter eines Arbeitszimmers nicht so recht passen wollte und andrerseits, weil die Arlingtons notorisch unmusikalisch waren.

      Gräfin Eugenie aber hatte es bei Fürstin Pauline Metternich ähnlich gesehen, für originell befunden und bedeckte überhaupt laufend sämtliche adäquaten Möbelstücke mit gerahmten Photographien von Verwandten, Freunden, Kindern in allen Lebensaltern, Hunden und Pferden.

      Jetzt saß sie mit ihrem Mann beim Nachmittagskaffee und ofenwarmen Guglhupf, zur Jause, zu der jeden Moment ihre Tochter Amelie stoßen sollte, wenn sie aus der vis-a-vis gelegenen Schule kam.

      Graf Ludwig rätselte über eine Visitenkarte, die gestern beim Prokurist Brauner im Weltausstellungspavillon abgegeben worden war.

      „Comte Sergej Arlington, St. Petersbourg”, war darauf zu lesen, auf der einen Seite natürlich kyrillisch, auf der anderen Seite in lateinischen Buchstaben und der Adelstitel eben französisch.

      „Ich weiß nicht, ob es ein Bruder oder ein Cousin vom Paul war, der damals nach Russland gegangen ist.“, hatte Ludwig eben zu seiner Frau gemeint.

      Man hatte aus Ehrerbietung gegenüber dem ersten Grafen der Familie niemals wieder einen Sohn des Hauses Paul genannt. Wenn man also von einem Paul sprach, meinte man immer den einen, den ersten eben.

      „Ich glaube, er war mit Potemkin auf der Krim oder so ähnlich. Ob das wirklich sein Nachfahre sein kann?“

      „Nun, ihr Arlingtons wart doch früher so reiselustig.“, antwortete seine Frau, „Arlingtons in England, Arlingtons in Böhmen, in Frankreich, sogar in Amerika! Hör ich doch dauernd von Amelie, unserer Familienhistorikerin. Ich weiß von den Arlingtons mehr als von meiner Familie.“

      Gräfin Eugenie entstammte einer alteingesessenen steirischen Landadelsfamilie, Franck von Osterrode, die nach eigener Überlieferung „seit vierhundert Jahren nicht mehr das Haus gewechselt hat“. Die Familie war ihrerseits dadurch auch nie über den Freiherrentitel hinausgelangt, hatte es nie zu einem Stadtpalais in Graz oder sonstigen ausgedehnten Besitzungen gebracht, auch nicht zu einem Schloss im Tal, war immer auf der alten Burg hoch droben am Berg verblieben.

      Dennoch galt die Ehe als absolut standesgemäß und Eugenie hatte sich rasch in die Wiener Verhältnisse eingefügt. Sie hatte bloß nie einen besonderen eigenen Geschmack entwickelt. Sah sie etwas in den Häusern bei Metternich, Kinsky, Harrach, Wilczek und Konsorten, was von jenen Damen des Hauses als en vogue betrachtet wurde, nahm sie es ebenso unbefangen wie unbenommen für ihren Haushalt auf. Dies galt auch für die Auswahl ihrer Schneiderin, ihrer Modistin, des Photographen, der Restaurants, Ausstellungen und Opernaufführungen, die „man“ besuchte, wie für die Zusammenstellung ihrer Buffets. Sie wirkte zurückhaltend aristokratisch wie die meisten Wiener Damen ihres Schlages.

      Lediglich einem Hang zu Schmuck gab sie gerne etwas leichtfertig nach, ging bei Köchert und anderen Juwelieren ein und aus. Sie hatte außer einem Complet an Diamanten aus der Zeit des Grafen Paul und seiner Gräfin Ludovika nicht viel mehr an Familienschmuck vorgefunden als eine Perlengarnitur ihrer früh verstorbenen Schwiegermutter und sie selbst hatte als Aussteuer auch nicht viel mitbekommen.

      Sie jedoch legte sich eine regelrechte Schmucksammlung zu und war bekannt dafür, zu jedem Hofball etwas großartig Neues zu präsentieren. Es war der einzige echte Luxus, den sie sich gönnte und dem ihr Gatte auch gerne nachkam.

      In Fragen der Garderobe hingegen war sie ausgesprochen sparsam, ließ ihre Toiletten andauernd umarbeiten, neu färben oder sonst wie auffrischen. Und so gerne sie Gesellschaften gab, war sie auch in Fragen der Bewirtung eine gute Rechnerin.

      Sie bezog das meiste an Weinen oder Fleisch im großen Umfang von den Gütern ihres Mannes oder ihres Vaters, kaufte eher österreichischen Sekt bei Schlumberger, bevor sie französischen Champagner kredenzte und stellte lieber einen Pâtissier fest an, als dass sie Süßigkeiten bei Demel oder Gerstner orderte.

      Auch in der Auswahl ihrer Gäste folgte sie nicht so ohne Weiteres den engen Grundsätzen der Damen der „Ersten Gesellschaft“.

      Sie hatte von den steirischen Jagdgesellschaften ihrer Eltern eine bodenständige Unvoreingenommenheit übernommen, sammelte eifrig und bei jeder Gelegenheit Visitenkarten ein, um ihre Gästeliste zu bereichern.

      Sie, ihr Mann, die Tochter Amelie und die Söhne Stephan und Niklas hatten ihre Geburtstage herrlich über das Jahr verteilt, dazu kamen noch die Namenstage, der Hochzeitstag, ein Hausball im Fasching, mindestens eine wirklich große Jagd, ein Sommerfest in der Villa am St. Zeno See und dergleichen mehr.

      Eugenie liebte Gesellschaften jeder Art, vor allem aber solche mit gemischtem Publikum und sie verstand sich wie kaum eine anderen der tonangebenden Wiener Gastgeberinnen darauf, ihre Gesellschaften interessant zu arrangieren.

      So verkehrten bei ihren Abenden auch jüdische Industrielle wie Baron Todesco, oder die griechischstämmigen Banquiers Dumba und Lakis, aber auch bürgerliche Unternehmer, Universitätsprofessoren, Offiziere und hohe Ministerialbeamte.

      Eugenie war offen in Dingen des Glaubens – wiewohl katholisch, aber nicht besonders fromm, sie war offen in Angelegenheiten des Standes, - wiewohl selbst durch und durch altadeliger Abstammung, - sie war offen in Fragen der Herkunft, - wiewohl sie außer Französisch keine Fremdsprache beherrschte und dies daher auch bei ihren Gästen voraus setzen musste.

      Sie war nicht offen in Fragen der Kunst. Sie war nicht nur unmusikalisch wie ihr Mann, sondern völlig amusisch und an Künstlern als Menschen absolut desinteressiert. So blieben ihre Häuser etablierten Burgschauspielern und gefeierten Hofopernsängerinnen, Komponisten oder Schriftstellern ebenso verschlossen, wie die meisten Wohnungen ihrer Standesgenossen. Wenn sie eine der Aufführungen in der vor wenigen Jahren neuerbauten Hofoper oder im altehrwürdigen Burgtheater besuchte, die „man“ eben allgemein besuchte, döste sie meist vor sich hin, im Kopf die übernächste Gästeliste oder das Buffet der nächsten Einladung.

      Angesichts der Tatsache, dass sie am selben Tag unter Umständen mit einer jüdischen Baronin zu Mittag speisen konnte, um abends den griechischen Gemeindevorsteher neben Kardinal von Rauscher und dem päpstlichen Nuntius zu Gast zu haben, erschien ihr Umgang dennoch beinahe gewagt und vielen ihrer hochadeligen Freundinnen geradezu fragwürdig.

      Dass ihre Söhne, der vierzehnjähriger Stephan und der zwölfjährige Niklas das Gymnasium im Schottenstift besuchten, ging ja noch durch, wiewohl Grafensöhne allgemein eher ins Theresianum oder zu den Jesuiten nach Kalksburg geschickt wurden, die mittlerweile sechzehnjährige Amelie aber in dieses neumodische Mädchenlyzeum zu geben, das wurde bei so manchem Damenkränzchen bei Kaffee und Kuchen beredet.

      Aber hinterfragt wurde auch ihr Mann, der Graf Ludwig, vor allem jetzt, wo er während der Weltausstellung mit seiner Glasmanufaktur so protzte.

      Er hatte tatsächlich jedem einzelnen in Wien akkreditierten ausländischem Botschafter eine Auswahl an Arlington-Kristall präsentiert. Er hatte auch von der Hofkanzlei die Bewilligung erhalten, jedem ausländischen Staatsgast, sei es der Schah von Persien oder der russische Zar, ein entsprechendes Präsent zukommen zu lassen, lediglich die alte Arlingtonsche Tradition, jeder