Heinz Plomperg

Alter Postplatz


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untergebracht, so dass sie die Wahl hatte, wen von beiden sie interessanter finden mochte.

      Dass jener eventuell ihre eigene Tochter interessant finden und zum Objekt seiner Verehrung ausersehen sollte, war ihr nicht in den Sinn gekommen.

      Ihr erschien Amelie noch zu jung, verglichen mit der vierundzwanzigjährigen Helene, die bald über bleiben würde, so sie nichts unternahm, trotz ihres leidlich guten Aussehens und unübersehbar großen Vermögens.

      Außerdem hätte Eugenie ja gar keine andere Möglichkeit gehabt als den jungen Russen von ihrer Tochter zu Tisch begleiten zu lassen. Es hätte Eugenie jedoch insgesamt keineswegs gestört, ihre Tochter vielleicht nach St. Petersburg zu verheiraten. Sie und Ludwig hatten Schwestern, Cousinen und Nichten in Salzburg und Graz, in Prag und Olmütz, in Dresden und München, in Triest und in Pola.

      Hätte sie etwas bemerkt, Eugenie wäre freilich an und für sich nicht gegen eine Entwicklung gewesen, die ihre Tochter vielleicht nach Russland führen könnte.

      Sie sollte an diesem Abend freilich noch so manches übersehen.

      Alles in allem waren fünfzig Personen zu Tisch, mehr hätte das große Esszimmer auch nicht verkraftet, in einem daran anschließendem kleineren Esszimmer, das ansonsten en famille genutzt wurde, tafelte Herr Vorhofer mit den Buben und Mademoiselle Louise, sowie die Gesellschafterin der früh verwaisten Helene, die jüngere Tochter der Brauners und der dreizehnjährige Sohn des Herrn von Valenta.

      Während Frau Wotruba samt der Köchin im Hintergrund agierte und höchstens im Anrichtezimmer auftauchte, Herr Wotruba bei solchen Gelegenheiten sowieso unsichtbar blieb, glitt Wotruba junior sicher durch die Gesellschaftsräume, trotz seiner Jugend alles und jeden im Blick. Heute war seine Konzentration besonders gefordert, denn gut die Hälfte der Gäste, wenn nicht mehr, war das erste Mal und zugleich wohl auch meist das letzte Mal da, also musste man um so besser in Erinnerung bleiben, durfte einem nicht der kleinste Schnitzer unterlaufen.

      Jetzt, gegen Ende der Weltausstellung, war die Stimmung wieder gut. In einer gewissen Euphorie waren Dutzende neuer Hotels entstanden und die Großbaustelle der Ringstraße, die „Palast-Umkränzung“ der alten Stadt, war als großstädtische Entwicklung von den Besuchern goutiert worden.

      Auf über 200 Hektar Ausstellungsfläche im Prater, dem alten kaiserlichen Jagdrevier, hatte das geneigte Publikum auf 1.700 Kilometern Wegstrecke ungefähr das Fünffache an Fläche und Wegstrecke zu bewältigen, wie 1867 in Paris geboten worden war. Vier große Haupthallen, die sich um die „Rotunde“ gruppierten, - dem momentan höchsten Kuppelbau der Welt - , waren der Industrie, dem Maschinenbau, der Landwirtschaft und der Kunst gewidmet. Daneben gab es Hunderte Einzelpavillons, bewohnte Bauernhäuser, exotische Bauten, Kaffeehäuser und Restaurants zu besichtigen. Den höchsten Anklang fanden der tunesische Basar, der japanische Garten und die ägyptische Baugruppe. Ja, es machte sich in Wien eine ganz neue Mode breit, die Parkettböden mit orientalischen Teppichen zu bedecken, die dem Wiener allgemein als „persisch“ galten.

      Der Börsenkrach war wie ein Blitz in die glanzvolle Stimmung gefahren, die Choleraepidemie im Frühsommer hatte den Besucherstrom gehemmt. Man konnte getrost von einem Defizit der ganzen Veranstaltung ausgehen. Dennoch hatte Wien sich das erste Mal als Metropole von Rang erwiesen. Während der sechs Monate der Ausstellung hatten 33 regierende Fürsten, 13 Thronfolger und 20 Prinzen dem Wiener Hof einen Besuch abgestattet. Die Stadt war mittlerweile wirklich über den barocken Festungsgürtel hinausgewachsen, der solange jede städtebauliche Entwicklung behindert hatte. Man war ins Zentrum Europas gerückt.

      Heute Abend jedenfalls war die Stimmung gut, man übersah das eine Menetekel namens Börsenkrach genauso gerne, wie das andere , genannt Cholera, wollte die flammenden Schriftzeichen an der Wand nicht erkennen, sondern vergessen.

      Auch war dieses Dîner, einen Monat vor dem Ende der Weltausstellung eine der letzten Möglichkeit für Graf Ludwig, seine internationalen Kontakte zu vertiefen. Abgesehen von den russischen Arlingtons, dem belgischen Industriellenehepaar und jenem schwedischen Banquier, waren also auch noch Damen und Herren aus Deutschland, England, Italien, Frankreich und der Schweiz zu beeindrucken. Angesichts des erst zwei Jahre vergangenen Krieges zwischen Deutschland und Frankreich, musste man noch dazu etwaige Animositäten zwischen reichsdeutschen und französischen Gästen ins Kalkül ziehen.

      Man servierte jedenfalls Austern mit Zitrone, Suppe a´la Reine, farcierte Trüffeln, Kuchen a´la Chambord, Filet a´la Jardinière, Hummer mit Sauce Tartare und Aspik, gebratenen Aal mit Zitrone, Lammbries mit Champignonpüree, Fasan und Poularden mit Kompott und Salat, Kapaunsoufflée, Gansleber, eingelegten Spargel mit Buttersauce, weißes Zitronenkoch, Samtcreme, Kastanienpudding und Früchtegefrorenes. Zum Mokka folgte statt der sonst üblichen Bäckerei eine Torte, Herrn Brauners Lieblingstorte á la Chantilly, aus der Konditorei Gerstner und daher als einziges geliefert und nicht im Haus zubereitet.

      Nach dem Essen verteilte man sich von den hofseitig gelegenen Speiseräumen in die Rokoko-Enfilade zum Platz hin, inklusive der Bibliothek, wo die Herren gelegentlich eher unter sich und bei ihren Zigarren verblieben und dem Biedermeierappartement, wohin es aus unerklärlichen Gründen stets die jungen Leute zog.

      Die Damen mittleren Alters, sowie die ausländischen Gäste hielten sich diesen Abend hauptsächlich im Großen Salon auf.

      Eugenie war nicht entgangen, dass die Russen schon allein vom Haus beeindruckt waren, erst recht von der internationalen, wenn auch eher bourgeoisen Gästeliste und dem superben Dîner. Ebenso nahm sie wahr, dass Cousin Philipp sich wunschgemäß angeregt mit Cousine Helene unterhielt, die sich beide zuletzt als halbe Kinder gesehen hatten.

      Eben als sie sich nach Amelie umsehen wollte und zugleich den jungen Grafen Sergej suchte, kam Herr Vorhofer mit den Buben, um sich für die Einladung zu bedanken, - was er immer bei solchen Gelegenheiten tat, wiewohl es nicht erwartet wurde -, und um sich mit den Buben zugleich zu verabschieden.

      Dann verabschiedete sich auch noch der verwitwete und sehr zurückgezogen lebende Herr von Valenta samt Sohn und der jüngeren Brauner-Tochter, die er nach Hause bringen würde, die Gesellschafterin von Helene, eine altjüngferliche Ungarin, zog sich in ihr Gästezimmer zurück und Louise meinte, sie würde zur Wotruba und zur Köchin gehen, um sich jetzt schon in Eugenies Namen für das gelungene Essen zu bedanken.

      Eugenie bewilligte eine Flasche Sekt für das Küchenpersonal, wohl wissend oder wenigstens ahnend, dass daraus auch deren zwei oder auch drei werden würden. Jedenfalls hatte sie bald ihr ursprüngliches Vorhaben vergessen, noch dazu, wo sie von Frau Brauner in ein Gespräch verwickelt wurde.

      Für den Moment einigermaßen enerviert, entging ihr daher, wie Amelie mit hochrotem Kopf aus dem Biedermeiersalon eilte und sogleich ein hastiges Gespräch mit Mimi Brauner und deren Verlobten, dem Linienschiffsleutnant begann.

      Kurz darauf folgte aus der selben Richtung Graf Sergej Sergejewitsch, der sich betont zwanglos zu seinen Eltern begab, die eben feststellten, dass eine Petersburger Bekannte mit einem Cousin des schwedischen Banquiers verheiratet war.

      Noch mehr entging Eugenie, dass Wotruba Junior ebenfalls aus der Biedermeierecke des Palais kam und ein ernstes, beinahe besorgtes Gesicht machte.

      Hannes Wotruba, allgemein Junior genannt, überlegte, wieso die Komtess Amelie so mit wehenden Fahnen zu den anderen geeilt, ja geradezu geflohen war.

      Sie war im Ägyptischen Kabinett gewesen, dem letzten Raum des Biedermeierappartements, schon in der Falknergasse gelegen, einem Zimmer, eigentlich aus der Zeit des Empire, das zwar während größerer Gesellschaften beleuchtet wurde, aber dessen Türen man geschlossen gehalten hatte, aus Angst, die Gäste könnten sich zu sehr verlieren. Es wurde bloß gerne der ausgefallenen Möblierung wegen gezeigt. Man hatte zwar während der Zeit von Kaiser Franz I. den ungeliebten, Napoleon bekriegt, dennoch hatte sich die Kaiserin Maria Ludovika damals, - der französischen Mode folgend -, ein Ägyptisches Kabinett eingerichtet und das der Arlingtons stellte eine verkleinerte Ausgabe jenes Raumes dar, der in der Hofburg längst wieder einem anderen Stil hatte weichen müssen und schon längst im Depot abgestellt worden war.

      Jetzt, wo die ersten Gäste sogar