Heinz Plomperg

Alter Postplatz


Скачать книгу

abzuleugnen.

      Für einen kurzen Moment befürchtete sie, Sergej Sergejewitsch habe vielleicht etwas übereilt gleich um ihre Hand angehalten, hielt das zugleich für übertrieben, denn so in Verlegenheit hatte er sie ja wieder auch nicht gebracht und war im nächsten Moment enttäuscht, da sie aus den ersten Sätzen ihrer Mutter nichts derartiges entnehmen konnte, ja offenbar war es so, dass niemandem etwas aufgefallen war.

      Eugenie gratulierte Amelie – auch im Namen des Papa – für ihr Benehmen während des gestrigen Dîners, um dann quasi en passant zu bemerken, sie, Amelie, käme jetzt in ein Alter, wo die jungen Herren sich dank ihres Namens und ihres Aussehens für sie zu interessieren begännen, sie, Eugenie, sei eine moderne Frau und Amelie möge sie doch über etwaige Aspiranten oder gar Avancen einzelner Herren ruhig ins Vertrauen ziehen.

      „Der Papa und ich haben nicht vor, dich an den Erstbesten zu verheiraten, bloß weil er in Frage kommt. Dass heißt, wenn du uns wen vorstellen willst, der in deinen Augen vielleicht nicht unbedingt in Frage kommt, dann tu´ es trotzdem. Vor allem aber, wenn dir einer der jungen Herrn vielleicht zu nahe tritt, oder du ein gewisses Avancement nicht erwidern kannst, dann erzähl´ uns erst recht davon.“, so begann Eugenie, denn sie beschloss, ihre Tochter wenigstens in diesem Punkt von heute an wie eine Erwachsene zu behandeln.

      „Kind, du schaust gut aus und vor allem wirst du in ein oder zwei Jahren gut aussehen, du hast einen guten alten Namen und du wirst nicht mittellos ins Leben gehen, das weißt du. Verhalt´ dich deiner Herkunft entsprechend, aber verlass´ dich net drauf. Es liegt auch an dir, was du draus machst. Schau dir nur die Helene an, alles Geld der Welt, blendendes Aussehen, aber entre nous gesagt, stinkfad und kein Mann in Sicht.“, Eugenie seufzte.

      „Was, aber, Maman“ begann Amelie, mit neugewonnener, achso erwachsener Kühnheit, „was aber, wenn die Helene gar keinen Mann will? Wie Sie ganz richtig sagen, Maman, hat sie alles Geld der Welt, sie muss sich nicht versorgen. Vielleicht will sie warten?“

      „Wie lang´ denn noch?“, Eugenie stöhnte jetzt beinahe, „Bis alle in Frage kommenden Männer ihres Alters sich anderweitig engagiert haben? Kind, ich will nicht, dass du was überstürzt, aber gestern hab´ ich die Helene ganz absichtlich zwischen Philipp und Sergej Sergejewitsch platziert, aber hat sie einen von den beiden für sich interessieren können? Nein, net wirklich.“

      Eugenie unterdrückte im Geiste dabei das Malmot einer welterfahrenen Tante, Philipp würden seine konkreten Regimentskameraden vielleicht näher am Herzen liegen, als alle eventuellen Komtessen und Baronessen, denn sie wollte nicht abschweifen. Der Name des jungen Russen war nun einmal gefallen, also meinte die Gräfin leichthin: „Was halts´t du denn von ihm?“

      „Von Philipp?“, Amelie bereitete es plötzlich eine diebische Lust, sich dümmer zu stellen.

      „Nein, von Sergej Sergejewitsch, ma petite. Ich würde dich eher nach St. Petersburg verheiraten, als mit dem Philipp!“, womit sie irgendwie zwar ihre Cousine desavouierte.

      Daraufhin meinte Amelie nur gleichgültig, sie fände den Russen zwar „de façon amusante“, aber nicht weiter aufsehenerregend.

      Man begab sich gemeinsam zum Familienfrühstück. Die Buben schlossen aus Eugenies Hut am Frühstückstisch gar nichts, Herr Vorhofer nahm an, sie habe verschlafen. Stephan machte ohnehin eben eine ausgesprochen aufsässige Phase durch, die sich bei ihm hauptsächlich in einem gewissen Antiklerikalismus bemerkbar machte. An keinem der Patres im Schottengymnasium ließ er ein gutes Haar und den sonntäglichen Gottesdienst hätte er am liebsten verweigert, band sich die Krawatte schlampig um und lümmelte unlustig am Frühstückstisch. Er war neuerdings ständig irgendwie beleidigt und kam damit erstmals seinem jüngeren Bruder Niklas nahe, der schon beleidigt zur Welt gekommen war und entschlossen schien, sie in der selben Stimmung zu verlassen.

      Niklas war völlig desinteressiert an der Welt, die er sich nur mittels Heldensagen und den Berichten von Entdeckern und Abenteurern in sein Zimmer holte. Im Übrigen schien er schwer von Begriff, hörte vielleicht auch bloß schlecht, oder nur das, was er hören wollte, niemand wusste es so genau. Eugenie seufzte manchmal bei dem Gedanken, vielleicht eine Prinzessin, einen Rabauken und ein Tschopperl großzuziehen, wie man in Wien liebevoll etwas zurück gebliebene Kinder nannte.

      Abgesehen von jenem Gottesdienst und anschließendem Mittagessen im so schönen und neuen Hotel „Zur Eisernen Krone“, begegnete man den russischen Arlingtons in der nächsten Zeit häufig. Die Russen hatten entschieden, ihren Wien-Aufenthalt zu verlängern und gewissen Gesprächen zwischen den Grafen Ludwig und Sergej, sowie Herrn Brauner konnte man entnehmen, dass man am besten Wege war, sich über eine St. Petersburger Vertretung von Arlington-Glas handelseinig zu werden.

      Amelie blieb dabei bei allen Gelegenheiten gegenüber Sergej Sergejewitsch formvollendet damenhaft freundlich und zurückhaltend.

      Dann aber ergab es sich eines Nachmittags, dass der junge Russe allein ins Palais kam und Amelie die einzige aus der Familie zu Hause war. Nach einer etwas spröden Konversation über gewisse Missverständnisse und Fehlinformationen jenes Tages, - denn Sergej Sergejewitsch hatte seine Eltern im Palais vermutet und Amelie ihre Eltern irgendwo in Gesellschaft der seinen -, ging man in medias res.

      Es geschah irgendwie, irgendwann, auf jeden Fall im Biedermeiersalon, auf dem Kanapee, eben erst von Backhausen neu mit blauer Moiréseide bezogen.

      Amelie hatte danach nicht einmal die Ausrede parat, er wäre über sie hergefallen, denn sie war genauso über ihn hergefallen.

      Beide waren überrascht und noch überraschter von der Wiederholung des Geschehenen und der nächsten Wiederholung.

      Irgendwann später machte sich Personal in den Nebenräumen bemerkbar und sie bedeckten sich rasch, beseitigten schleunigst alle Spuren des Vorgefallenen, so gut es in der Eile ging. Dass man in Häusern wie diesem aber auch nie für sich sein konnte!

      Nachdem man sich einigermaßen gesammelt hatte, versicherte ihr Sergej Sergejewitsch in seinem schönen Französisch, - viel reiner als das ihre, wie Amelie bemerken musste -, „alle jetzt notwendigen Schritte“ einzuleiten.

      „Einen Schmarrn werden Sie tun!“, entfuhr es Amelie auf gut Wienerisch und dann musste sie das auch noch ins gewählte Französisch transponieren. Jedenfalls versicherte sie ihm zum Abschied, er müsse, nein, er dürfe nichts überstürzen, er müsse, nein er dürfe nichts übereilen, es sei zwar etwas geschehen, doch in ihren Augen verpflichte ihn das zu nichts, er möge, bitte sehr, denn doch abwarten.

      Graf Sergej Sergejewitsch ging also, wenn auch etwas verblüfft, mit einem kurzen und etwas besorgtem Gruß und entschwand verwirrt in Richtung Hotel „Métropole“.

      Amelie, nachdem sie schon etwas ungehöriges, ja ungeheuerliches getan, setzte dem Geschehenen noch etwas drauf , schenkte sich einen Cognac ein und dachte nach.

      Sie empfand sich mit den Ereignissen zu Recht allein. Mit wem konnte sie sich jetzt noch austauschen? Nicht mit ihrer Mutter, nicht mit Louise, nicht mit ihren unbedarften Schulfreundinnen. Sie war eine Frau geworden uns sie machte sich – vorerst wenigstens - nicht das geringste daraus.

      Nach dem einen Cognac entschied sie, - plötzlich ganz wagemutig -, ihr Leben anders zu gestalten, als ihr vorherbestimmt zu sein schien. Sicherheitshalber bediente sie sich dazu eines weiteren Cognacs. So Gott nicht will, so dachte sie, dass ich nach diesem einem Mal, na gut nach diesem ersten Mal inklusive Wiederholungen, gleich in die Hoffnung komm´, - was ich nicht wünsche - , werd´ ich gar nicht heiraten, weder jenen Sergej Sergejewitsch, noch sonst wen.

      Und nach dem dritten Cognac, beschloss sie, nie Kinder zu kriegen. Sie würde sich zwar bald den Kopf kalt waschen müssen, um ihren Eltern zum Abendessen gegenüber treten zu können, aber ansonsten stand ihr Entschluss fest. Sie hatte einen Weg zur Unabhängigkeit entdeckt und den würde sie sich nicht mehr so bald nehmen lassen.

      Wenn sie an Sergej Sergejewitsch dachte, so musste sie lachen. Heiraten will er mich, bloß weil er mir dir Unschuld geraubt hat! Was sich die Männer nicht alles so einbilden auf dieses erste Mal!