Heinz Plomperg

Alter Postplatz


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ungeliebte Stiefneffen.

      „Würd´ sie´s wegmachen lassen? Das könnt´ man schon arrangieren. Keine Angst, ich zahl´s.“, fragte der Graf jetzt.

      „Aber, des wär jo a Sünd.“, plötzlich verstand Rosi sehr genau, dass sie angesprochen wurde.

      Amelie meinte, ihren Vater, förmlich lächeln zu spüren, während die Wotruba irgendetwas von wegen, als ob des bisher ka Sünd g´wesen wär, monierte.

      „Gut,“ sagte Graf Ludwig, „ich wollt´ sie keineswegs schockieren. Gut, dann gibt´s aber nur eine Möglichkeit – die Steiermark.

      Rosi, ich will sie nicht ´rausschmeißen, aber ich will sie auch nicht mehr hier im Haus haben. Ich will hier keine Gschrappen haben, von denen irgendwann keiner mehr weiß, wo sie hing´hören. In der Steiermark kann sie ihr Kind kriegen und eine Stellung behalten. Aber das eine sag´ ich ihr: selbst am Land is´s beim nächsten Gspusi vorbei. Such´ sie sich am Land an anständigen Burschen, der sie auch heiratet. Wegen dem Kind mach´ sie sich keine Sorgen, die Burschen am Land sind net so, es wird sie auch einer samt dem Gschrappen nehmen. Aber ein zweites Kind ohne Ehemann dulde ich nicht! Hat sie das verstanden?“

      Unter zig gestammelten „Herr Graf“ bestätigte Rosi alles und bedankte sich unerträglich viele, viele Male, bis die Wotruba ihr endlich Herr wurde und sie bei der Tür hinaus schob.

      „Auch ich möcht´ mich bedanken, Herr Graf.“, begann sie, „Herr Graf wissen, wie ich aufpass´, was die Menscher tun, aber an den freien Abenden ... Es is a Unglück mit den freien Abenden. Nur, weil sie hierher nie wen mitbringen können, heißt des ja no lang net ...“, sie unterbrach sich, weil sie merkte, dass dem Grafen ihre Ausführungen zu lange dauerten.

      „Schon gut, Wotruba, schon gut. Sie führt mir den Haushalt exzellent und das merkt man auch daran, dass wir so was wie das hier nur alle heiligen Zeiten haben. Wie lang eigentlich schon nicht mehr?“

      Jahre, meinte die Wotruba, Jahre und ein schwangeres „Mensch“ noch viel länger nicht, das letzte Mal habe einer der Hausburschen einer Wirtstochter ein Kind gemacht. Wenn sich Herr Graf erinnerten, so habe Herr von Valenta damals den Vater des Mädls leicht dazu überreden können, einer Ehe zuzustimmen und jener Hausbursch sei jetzt Oberkellner im schwiegerväterlichen Betrieb.

      Amelie blickte ein wenig ins Leere, während dieses Gesprächs, sah nur den mittlerweile verlassenen Sessel vor dem Schreibtisch und fühlte sich wie die intrigante Duchesse de Chevreuse, am Hofe Marie de Medicis, die von einem Fehltritt König Louis XIII Wind bekommen hatte.

      „Wotruba, sie ist mit mir für alle Mitglieder dieses Haushalts verantwortlich. Ich wünsche keine Skandale. Kein Mitglied des Hauses Arlington landet wegen eines unehelichen Kindes auf der Straße. Dazu haben wir schließlich die Häuser am Land. Sie erkundigt sich, am besten gleich heut´ oder morgen, beim Herrn von Valenta, wo wir die Rosi am besten unterbringen. Er soll sich überlegen, wo sich auch ein paar ledige Burschen finden, von denen sie vielleicht einer nimmt. Die tendiert mir dazu, sonst ein leichtfertiges Ding zu werden. Ich will schließlich net, dass sie in der Steiermark als Wirtshausflitscherl endet. Die Hebamme wird bezahlt, ein Doktor wird bezahlt, das Kind kommt in die Schule und wird auch in den Dienst genommen. Und wie bei allen anderen Kindern, die in meinen Diensten auf die Welt kommen, kriegt es auch ein Postsparkassenbuch, das es in die Hand kriegt, wenn es einundzwanzig ist. Valenta weiß schon, was ich da sonst so zahl. Und noch eins: die Rosi geht mir auch noch hier in Wien zum Doktor.

      Zum Neuländer freilich, nicht zum Mittermayer, wo die Gräfin hingeht, der Neuländer schuldet mir noch was und macht´s auch weg, so es sich die Rosi doch noch anders überlegt. Wotruba, sie haftet mir dafür, ich will noch Ende der Woche die Arztrechnung sehen, verstanden?“

      „Sehr wohl, Herr Graf und nochmals danke, Herr Graf.“, die Wotruba wollte schon ab, da hielt Graf Ludwig sie noch einmal zurück.

      „Aber auch wenn sie´s wegmachen lasst, will ich sie hier nicht mehr sehen.“

      Er repetierte kurz noch einmal die Möglichkeiten für die unglückselige Rosi: Kind, Stellung und Sparbuch für das Kind in der Steiermark, Kind wegmachen und Stellung in der Steiermark, oder Kind wegmachen, zwei Monatslöhne, wohlmeinendes Zeugnis und Schluss.

      Das nahm Amelie aber nur mehr undeutlich wahr, denn sie eilte bereits auf Zehenspitzen aus der Bibliothek. Sie würde ein anderes Mal noch wegen dem Kinderkriegen nachschlagen, was ihren Vater betraf, hatte sie genug gehört.

      Wir werden ja sehen, ob er auch so modern und so gelassen reagiert, wenn es um mich geht, dachte sie. Sie wusste, dass andere Herren, oder vor allem die allgemein strengeren Damen, ihre Dienstmädchen bei derlei Gelegenheiten ohne viel Federlesens an die Luft setzten und bewunderte ihren Vater ein wenig, war sich jedoch zugleich im Klaren, dass er bei ihr wohl nicht von vornherein so kühl agieren würde.

      Interessant fand sie auch die Wahl des Arztes. Obermedizinalrat Mittermayer, Ritter von Friedenthal, der Hausarzt ihrer Mutter, Universitätsprofessor und sehr en vogue bei den besseren Damen, kam offenbar nicht in Frage für die arme Rosi.

      Dr. Casari, Arzt ihres Vaters, Amelies eigener Arzt und der ihrer Brüder scheinbar auch nicht. Nein bestenfalls der Dr. Neuländer, ein noch recht junger Jude, zu dem die Wotrubas und das restliche Personal gingen, respektive, der im Fall der Fälle ins Haus geholt wurde. Und – so erinnerte sich Amelie – jener Dr. Neuländer schuldete ihrem Vater also etwas? Sehr interessant. Ich müsste also nur etwas Geld lukrieren und könnte auf die Verschwiegenheit von Dr. Neuländer bauen.

      Während sie sich zum Abendessen umzog, - die Wirkung des Cognac hatte sich gefahrlos verfestigt und zeichnete sich nur mehr mittels großer Gelassenheit aus -, fielen Amelie freilich diverse weitere Schwierigkeiten ein.

      Zwar waren die Gedanken, von wegen ein Kind in der Steiermark großzuziehen, offenbar nicht gar so abwegig, auch musste sie im allerschlimmsten aller Fälle nur bis zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag durchhalten, bis das ihr hinterlassene Konto der lieben, guten Tante Melly für sie greifbar wurde, jetzt im Moment hatte sie aber nicht einmal die Möglichkeit, eine etwaige Rechnung dieses Dr. Neuländer zu bezahlen. Höchstens mit einem Schmuckstück, mit irgendwas, das mir zwar gehört, was ich aber ohnehin nie trage. Auf Anfrage hab ich es halt verloren.

      Amelie bewunderte sich selbst ob ihrer kühnen Ideen und war froh, soviel über längst vergangene Hofintrigen gelesen zu haben. Wenn die La Motte den Kardinal Rohan hinters Licht geführt hat, dachte sie, wird es mir doch wohl noch gelingen, diesen Juden, Dr. Neuländer zu bezahlen!

      Es ist ja schon einigermaßen grotesk, dass ich eigentlich zwar Geld hab' und doch wieder nicht, dachte sie kopfschüttelnd.

      Innerhalb der nächsten Tage, so schwor sie sich, musste sie sich dennoch in der Bibliothek nach einschlägiger Literatur umsehen. Und gleich heute nach dem Abendessen werde ich meinen Schmuck durchsehen. Natürlich wusste sie weder, wie hoch eine Arztrechnung ausfallen konnte, noch wie viel ihre wenigen Schmuckstücke wert waren. Auch ging sie seufzend davon aus, jener Dr. Neuländer würde sicher ihre Situation ausnützen und sie übervorteilen, aber was sollte sie machen?

      Was geschehen war, war nun einmal geschehen.

      Dies brachte sie zu Sergej Sergejewitsch. Im Wien des Jahres 1873 war es für eine eigentlich wohlbehütete Tochter aus gutem Haus, aus sehr gutem sogar, durchaus leichter, die Unschuld zu verlieren, oder mittels des einen oder anderen Schmuckstücks die Diskretion eines jungen aufstrebenden Arztes zu erkaufen, als es möglich war, den Mitschuldigen überhaupt allein wieder zu sehen.

      Bevor ich mir überlege, was ich ihm schreibe, muss ich mir überlegen, wie ich ihm überhaupt ein Billet zukommen lasse, so überlegte Amelie. Vom Haus kann ich niemand schicken, egal was ich ihnen einschärfe, die sind imstand und geben meinen Brief dem Vater und nicht dem Sohn. Kein österreichischer Domestik begreift den Unterschied zwischen Sergej Alexandrowitsch und Sergej Sergejewitsch und den Portiers des Hotel „Métropole“ misstraute Amelie desgleichen. Die Wotrubas kamen erst recht nicht in Frage. Zwar konnte der Junior