Heinz Plomperg

Alter Postplatz


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Osten bis eben nach Wien vorgearbeitet hatten, waren die Kampthalers vom Norden her von Generation zu Generation immer näher nach Wien gelangt, bis sich vier von fünf Brüdern mehr oder weniger zeitgleich dort niederließen, als Wirte, als Fleischhauer und im besten Falle als beides zugleich.

      Hermines Vater, Albin Kampthaler, war beides, Gastwirt und Fleischhauer und nicht einer der ärmsten. Man hatte schließlich sogar eine eigene Wurstsorte erfunden, die „Kampthaler“ eben, die es in einer feinen und einer groben Variante gab.

      Für Hermine hatte es immer etwas eigenartig geklungen, wenn jemand „10 Deka Kampthaler“ bestellte und sie dann fragen musste: „Die feine, oder die grobe, gnä´ Frau?“. Genau genommen, hasste sie es.

      In der gutbürgerlichen Kaiserstraße besaß die Familie ein eigenes Haus, links von der Einfahrt die Fleischerei, rechts davon das Gasthaus, das unter dem alten und vorgefundenen Hausnamen „Zum Mohren“ weitergeführt wurde.

      Vom Hinterzimmer der Gastwirtschaft gelangte man über eine Wendeltreppe direkt in die Wohnung, die den ganzen ersten Stock einnahm. Die darüber liegenden drei Stockwerke - eben hatte man um eines aufgestockt - waren gewinnbringend vermietet, unterm Dach war das eigene Personal untergebracht. Dass man seitens des Lokals schon über Personal verfügte, war praktisch, denn die Abwäscherinnen konnten gleich auch die Wohnung putzen.

      Für die Kinder, Hermine und ihren jüngeren Bruder Herfried, leistete man sich ein Kindermädchen und Magda Kampthaler, Gattin und Mutter, ebenfalls aus einer Gastwirtsdynastie, die sich über ganz Wien verteilte, wachte über allem, vielleicht noch herrischer als ihr Mann.

      Magda war sozusagen die grobe und Hermine die feine Kampthaler.

      Hermine wurde allgemein Hermi gerufen, bevorzugte es jedoch bald, sich Herma zu nennen. Sie war ganz vernarrt in ihren Toni, aber sie strebte nach Höherem, all ihrer rundlichen Freundlichkeit zum Trotz. Auch war die mühsame Arbeit im Weingarten auf Dauer nichts für sie. Sie liebte schöne Kleider und schöne Möbel zu sehr, dass es ihr auf Dauer im alten Weinhauerhaus gefallen hätte. Sie hatte nur eine mäßige Schulbildung genossen und erweiterte ansonsten ihr Weltbild lediglich mittels gewöhnlichster Kitschromane.

      Es passte in ihr einigermaßen beschränktes Weltbild als gottgegeben, dass sie, aus dem Haus des Mohren, sich mit dem Erben des Türkenkopfes verbunden hatte.

      Zunächst träumte sie von einem eleganten Kaffeehaus in der Stadt, wo sich Mohrenkopf und Türkenkopf zur höheren Ehre des Kaffees über dem Eingang verbinden würden, dann aber fiel ihr aus dem reichen Erbe ihrer mütterlichen Familie eine ganz andere Möglichkeit in den Schoß.

      Im selben Jahr, in welchem Herma den alteingesessenen Gasthof „Zur Eisernen Krone“ in der Herzoghofgasse samt dem dazugehörigen Haus von einer kinderlosen Tante geerbt hatte, welche diesen nach dem Tod ihres Mannes mehr schlecht als recht betrieben hatte, in eben demselben Jahr war Anton das Erbe eines unverheirateten Großonkels zugefallen, ein Weingut in der Wachau.

      Da man nur schlecht Grinzinger Weinberge, einen Gasthof in der Stadt und ein Weingut in der Wachau zugleich bewirtschaften konnte, hatte Hermine oder Herma sich durchgesetzt, mit ihren neuen Ideen. Der Wachauer Besitz wurde verkauft, mit dem Erlös wurden zwei Nachbargebäude am Alten Postplatz und in der Herzoghofgasse erworben und für die Altmieter und - andere - ein schlichtes, aber zeitgemäßes Zinshaus in Ottakring erbaut. Auf die Grinzinger Weinberge nahm man eine Hypothek auf und mit einem weiteren Kredit wurde dann das neue Hotel „Zur Eisernen Krone“ errichtet, ein neues, modernes Haus mit altem Namen, auf dem Grund der insgesamt drei Häuser, das man pünktlich zur Weltausstellung von 1873 hatte eröffnen können. Der Türkenkopf fand sich nur mehr auf Antons privatem Briefpapier.

      Das Haus war klein, gemessen an anderen der neuen Hotels, wie etwa dem „Métropole“ mit 400 Zimmern, aber fein und immer noch größer als so manches innerstädtisches Hotel älteren Jahrgangs, wie das „Klomser“ oder das Hotel „Zum Römischen Kaiser“. Es verfügte über achtzig Zimmer, ein Dutzend kleinerer Suiten und deren fünf wirklich großen. Dazu kam noch eine Anzahl einfacherer Zimmer für das die Gäste begleitende Personal und eher bescheidene Kammern für das hauseigene.

      Im Parterre waren ein Café und ein Restaurant untergebracht, darüber hinaus betrieb man eine ganze Anzahl an Gesellschaftsräumen verschiedener Größe und Ausstattung, die jederzeit für private Runden von der Taufe im Familienkreis bis zu Hochzeiten in großer Runde vermietet wurden, sowie den mittlerweile leidlich bekannten Ballsaal. Auch lieferte man gerne Buffets außer Haus.

      Man machte Reklame in allen größeren Bahnhöfen der Monarchie, arbeitete aber auch von Anfang an mit Thomas Cook und anderen internationalen Reisebureaus zusammen, konzentrierte sich etwas mehr auf den Mittelstand der Kronländer, ließ aber die reisenden Kosmopoliten auch nicht außer Acht.

      Das Haus lief gut, die Raten konnten pünktlich bezahlt werden und Kupferwiesers vermochten noch einiges an Gewinn einzustreichen. Sie bewohnten eine Zimmerflucht im Hotel und leisteten sich bald eine Villa in Döbling, nahe der Grinzinger Weingärten, das erste Haus der Kupferwiesers ohne Türkenkopf.

      Herma war von Anfang an in ihrem Element gewesen und Anton fand sich allmählich in die Rolle als Hotelier hinein.

      Jetzt, im Jahre 1881, war Anton bereits fünf Jahre verwitwet und seine Tochter Antonie, allgemein Toni genannt, wie er in jungen Jahren, mit achtzehn Jahren eben aus einem Schweizer Internat nach Wien zurückgekehrt. Herma war schon seit Jahren leidend gewesen, lungenkrank, was so gar nicht zu ihrer rundlichen und lebhaften Freundlichkeit und Neugier passen wollte.

      Sie hatte sich so sehr verausgabt in ihrem Streben nach den höheren Gipfeln der Gastronomie, dass es ihr kaum länger denn drei Jahre vergönnt gewesen war, als Hotelbesitzerin und Herrin über 120 Dienstnehmer agieren zu können.

      Die Villa hatte sie eben noch fertig möblieren können, als sie starb.

      Es war ihr größter Wunsch gewesen, der Toni, dem einzigen Kind, eine fundierte Ausbildung zukommen zu lassen, weshalb man sie in die modernste Hotelfachschule der Schweiz geschickt hatte. Neben den Kenntnissen in puncto Küche und Service, hatte Toni dort vor allem Fremdsprachen gelernt, parlierte fließend Französisch, Italienisch und Englisch, nahm Privatstunden in Russisch.

      In zwei Jahren würden die Grinzinger Weinberge schuldenfrei sein, in sieben Jahren das Haus selbst. Dann wäre Toni fünfundzwanzig Jahre alt und er, Anton, der seine Herma spät gefunden hatte, deren fünfundsechzig und würde sich zurückziehen und ihr das Hotel übergeben, so war sein Plan.

      Er wollte ihr die Wohnung, vielleicht auch die Villa überlassen und sich in sein Elternhaus zurückziehen, die Weingärten an einen Neffen verpachten. Natürlich würde er sehr darauf achten müssen, dass sie einen geeigneten Ehemann fand, Hoteliersöhne und Weinhauer kamen dabei eher nicht in Betracht, höchstens jüngere, die nicht ihr Erbe über das seine stellen würden.

      Seit einigen Jahren war es eine liebgewonnene Tradition geworden, dass der Haushalt der Grafen Arlington das sonntägliche Mittagessen im Hotel „Zur Eisernen Krone“ einnahm. Es war auch zu einer gewissen Gewohnheit geworden, sich die Buffets von dort ins Palais liefern zu lassen.

      Graf Ludwig Arlington war ein Jahr älter als Kaiser Franz Josef, also schon Anfang Fünfzig. Er war eine stattliche Erscheinung geworden, hatte zugenommen und sich einen würdevollen Vollbart stehen lassen. Gräfin Eugenie, ein Jahre jünger als Kaiserin Elisabeth, war auch mit Anfang Vierzig die schlichte Schönheit geblieben, die sie immer gewesen war. Sie alterte langsam und schnürte sich eng. Komtess Amelie, ein Jahr älter als Kronprinz Rudolf, hatte bereits vor Jahren ein gewisses Erbe angetreten, lebte mit ihren vierundzwanzig Jahren allein mit einer Gesellschaftsdame in einer eigenen Wohnung im familieneigenen Zinspalais am Parkring. Sie führte einen eigenen Salon, noch ungezwungener und weltoffener als der ihrer Mutter und kümmerte sich des weiteren, trotz geringer räumlicher Entfernung, nicht besonders um ihre Eltern oder Brüder. Sie dachte offenbar nicht daran, sich zu verheiraten.

      Alle im Haus ahnten, was der Grund dafür war, wenn es auch niemand laut aussprach. Freilich erschien sie jeden Sonntag nach dem Frühstück im Palais, besuchte